Kunstaktion zum Katholikentag kritisiert die Nähe des Staates zu den Kirchen

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"Moses" beim evangelische Kirchentag in Stuttgart 2015. Im Hintergrund grüßt die katholische Kirche den evangelischen Kirchentag.
"Moses" beim evangelische Kirchentag in Stuttgart 2015.

Mit einer religionskritischen Figurenparade demonstriert die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vom 25.–29. Mai in der Stuttgarter Innenstadt anlässlich des Katholikentags gegen die zahlreichen Missstände im Verhältnis des Staates zu den Kirchen. Vergleiche mit anderen öffentlichen Subventionen zeigen, dass dieses Glaubensfest massiv bevorzugt wird. Die Frage, wo genau die Versammlung stattfinden darf, muss jedoch erst noch im Klageweg vor dem Verwaltungsgericht geklärt werden.

Mit gleich 3 Großplastiken wird die humanistische Denkfabrik nicht nur dem Katholikentag, sondern auch den zahlreichen Politiker*innen, die das Glaubensfest besuchen, eine Denkanregung mit auf den Weg geben. Seit dem Frühjahr 2022 sind erstmals weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland Mitglied in der katholischen oder evangelischen Kirche. In Stuttgart haben beide Kirchen zusammen sogar nur noch einen Anteil von 45,2 Prozent an der Bevölkerung. Und doch:

  • werden Kirchen- und Katholikentage immer noch mit Millionen aus allgemeinen (!) Steuergeldern bezuschusst,
  • zahlt der Staat knapp 600 Millionen Euro sogenannte (althistorische) Staatsleistungen an die beiden großen christlichen Kirchen und
  • noch immer greift der Staat nicht ein und lässt die katholische Kirche ihren Missbrauchsskandal selbst aufarbeiten.

Jedem der drei Themenkomplexe widmet sich die gbs mit einer eigenen Figur.

Moses und das 11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!

Der Katholikentag in Stuttgart wird insgesamt mit 4,35 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gefördert. Im Einzelnen gibt das Land Baden-Württemberg 2 Millionen Euro, der Bund 500.000 Euro und die Stadt Stuttgart 1,5 Millionen Euro. Die Stadt fördert das religiöse Sommerfest laut Ratsbeschluss aber zusätzlich auch in Form von Sachleistungen und Gebührenbefreiungen im Wert von 350.000 Euro (letztere fehlen in den Berichten über die Finanzierung des Katholikentags oftmals). Von den Gesamtkosten in Höhe von 10,65 Millionen Euro trägt die öffentliche Hand daher 40,8 Prozent.

Hiergegen wendet sich die Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem notorischen Kirchentagsgänger "Moses". Die fast drei Meter hohe Großplastik verkündet seit 2014 regelmäßig auf einer ebenso großen "3. Steintafel" das "11. Gebot": Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen! Selbstverständlich gibt es für dieses alttestamentarische Gebot auch einen Anknüpfungspunkt im Grundgesetz: Nach Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 1 WRV besteht "keine Staatskirche". Wenn man sich aber die Dichte der Politprominenz auf dem Katholikentag ansieht und sich vor Augen hält, dass Veranstaltungen anderer Weltanschauungen nicht vom Bundespräsidenten, Bundeskanzler oder Bundeswirtschaftsminister besucht werden, dann wirken Kirchen- und Katholikentage insbesondere auf konfessionsfreie Menschen gerade doch wie die Inszenierung einer Staatskirche.

Nach Artikel 3 Absatz 3 GG darf niemand wegen "seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden." – Wie sehr der Katholikentag aber im Vergleich zu anderen Veranstaltungen oder öffentlichen Einrichtungen bevorzugt wird, zeigen die folgenden Zahlen:

Kirchentage sind für Nicht-Christen uninteressant: Nach seiner eigenen Statistik sind nur zwei Prozent der Besucher keine Christen. Dies wird auch dieses Jahr nicht anders sein: Nach unserer Zählung sind über 50 Prozent der Programmpunkte sehr religiös geprägt. Von rund 1.500 sind allein 366 Gebete und Bibelarbeiten. Rund 400 weitere Veranstaltungen betreffen rein kircheninterne Fragen (wie zum Beispiel die Ökumene oder der Dialog mit anderen Religionen). Gerade gegenüber diesen Themen muss sich der Staat weltanschaulich neutral verhalten – was bedeutet, dass er diese Veranstaltungen auch nicht fördern darf.

Die Stadt Stuttgart will allein bis 2026 neue Schulden in Höhe von 1.287 Milliarden Euro aufnehmen. Der Stuttgarter Bürgermeister für Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen, Thomas Fuhrmann, kündigte daher an, dass die Stadt "gegensteuern" und "Prioritäten setzen" müsse – nur beim Katholikentag will man nicht sparen, obwohl viel weniger Besucher kommen werden als ursprünglich erwartet: In der Begründung für die Zuschüsse ging man von "weit mehr als 50.000 Teilnehmern" aus. Stattdessen werden es nun nur zwischen 20.000 und 30.000. Jeder Teilnehmer wird daher mit 145 bis 217 Euro aus Steuermitteln subventioniert. Eine absurd hohe Summe. Zum Vergleich:

  • Die Stadtbibliothek wird mit rund 26 Mio. Euro pro Jahr gefördert und hat ca. 3 Mio. Nutzer bzw. über 5 Mio. Entleihungen. Jeder Nutzer wird mit gerade einmal 8,67 Euro gefördert.
  • Die Stuttgarter Philharmoniker werden 2022 mit rund 6,5 Mio. Euro bezuschusst. Geteilt durch 90.000 Besucher ergibt dies sogar eine noch niedrigere Förderquote von 7,22 Euro je Gast.
  • Als das Land Baden-Württemberg 2013 die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit ausrichtete, gab es dafür 3,5 Millionen Euro aus. Wegen einer "Kostenexplosion" stand diese Summe bereits massiv in der Kritik – dabei ging es hier (im Gegensatz zum Katholikentag) wirklich um ein gesamtgesellschaftliches Ereignis. Daher kamen auch über 500.000 Menschen! Jeder Besucher wurde also mit gerade einmal 7 Euro gefördert. Der Katholikentag in Stuttgart wird nun mit fast einer ganzen Million zusätzlich gefördert und wird nicht einmal ein Zehntel der Besucherzahlen am Tag der Deutschen Einheit erreichen.
  • Im städtischen Haushalt sind nur etwas über 2 Mio. Euro für die "Projektförderung" durch das Kulturamt vorgesehen – für das ganze Jahr 2022! Der Katholikentag allein erhält von der Stadt 1,5 Mio. Euro in bar und weitere 350.000 Euro in Form von Sachleistungen und Gebührenbefreiungen.

David Farago, Versammlungsleiter und Initiator der Aktion "11. Gebot", meint daher: "Die Subventionierung von Kirchen- und Katholikentagen aus allgemeinen Steuergeldern stellt eine vollkommen überzogene und nicht mehr zeitgemäße Privilegierung kirchlicher Veranstaltungen dar."

Auch der Vergleich mit städtischen Kultur- und Sportveranstaltungen, die ebenfalls gefördert werden, greift zu kurz: Es ist ein allgemeiner Grundsatz des Haushaltsrechts, dass öffentliche Förderungen nur vergeben werden, wenn der Veranstalter die Kosten nicht selbst decken könnte. Während Kultur- und Sportvereine jedoch in aller Regel unterfinanziert sind, hat allein die Diözese Rottenburg-Stuttgart Rücklagen von über einer Milliarde Euro und plant für 2022 die Erhöhung dieser Rücklagen um weitere 34 Millionen Euro (siehe Haushaltsplan 2021/2022 der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Seite 14 der PDF). Um sich diesem Argument zu entziehen, schiebt die Kirche das angeblich arme ZdK als Veranstalter vor – doch dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Diözese Rottenburg-Stuttgart überall als Mitveranstalter genannt wird.

Hierzu noch einmal David Farago: "Bevor man etwas anspart, sollte man erst seine Kosten selbst tragen und nicht auf die öffentlichen Haushalte abwälzen. Anders als bei vielen Kultur- und Sporteinrichtungen sind hierfür bei der Kirche ausreichend Finanzmittel vorhanden."

Geldhamster statt armer Kirchenmaus

Teil der religionskritischen Figurenparade sind auch der "Geldhamster" und der "Hängemattenbischof". Der dicke Hamster im Bischofsgewand, der sich auf seinem Geldberg sitzend vor die gekreuzigte arme Kirchenmaus drängt, soll noch einmal verbildlichen, welchen unermesslichen Reichtum die Kirchen "gehamstert" haben – nicht zuletzt auch, weil entgegen dem verfassungsrechtlichen Auftrag die altrechtlichen Staatsleistungen seit über 102 Jahren nicht abgelöst, sodern vielmehr immer weiter erhöht wurden. Entgegen den Vorstellungen zahlreicher Abgeordneter haben die Kirchen daher gar keinen Anspruch mehr auf eine Ablösesumme im zweistelligen Milliardenbereich.

Klage gegen die Stadt Stuttgart anhängig

Mit dem "Hängemattenbischof" prangert die Giordano-Bruno-Stiftung in Kooperation mit dem "Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen sexueller Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche" an, dass der Staat die Kirche seit über zwölf Jahren gewähren lässt, ihren eigen Missbrauchsskandal "in der goldenen Hängematte" auszusitzen, anstatt die Taten schonungslos aufzuarbeiten.

Wo genau das Team vom 11. Gebot gemeinsam mit den Missbrauchsbetroffenen demonstrieren kann, ist noch nicht sicher. Obwohl die Versammlung vor vier Wochen angemeldet wurde, wartete die Versammlungsbehörde der Stadt Stuttgart bis gestern Nachmittag ab, um den angemeldeten Standort vor dem Kunstmuseum zu verbieten. Stattdessen soll die Versammlung ins Abseits gedrängt werden. Hiergegen hat die Giordano-Bruno-Stiftung vor dem Verwaltungsgericht Klage eingereicht. (Siehe dazu auch diesen Artikel.)

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