Über das neue Buch von Hamed Abdel-Samad

Ein Marshallplan zur Integration

hamed.png

Hamed Abdel-Samad

Der Islamwissenschaftler und Publizist Hamad Abdel-Samad legt mit "Integration. Ein Protokoll des Scheiterns" kritische Betrachtungen zur Gegenwart des "Multikulturalismus" vor und präsentiert die Grundlagen eines Marshallplans zur Integration. Auch wenn das Buch mehr auf Gesprächen basiert und manche Pauschalisierung aufweist, formuliert der Autor doch wichtige Ideen zur Integration auf der Grundlage individueller Menschenrechte, wobei sein Forderungskatalog an Migranten wie den Staat eine ausgezeichnete Grundlage zu weiteren Reflexionen ist.

Kaum ein anderes Thema wird gegenwärtig so emotional und polarisiert diskutiert wie "Integration". Während die eine Seite diese doch eher als Erfolg betrachtet, geht die andere Seite stärker von einem Scheitern aus. Die einschlägigen Auffassungen sind aber häufig mehr von Bekenntnissen und weniger von Differenzierungen geprägt. Letzteres bedeutet auch, Bewertungsmaßstäbe zu haben und Messkriterien zu nutzen. Diese finden sich in entwickelter und systematischer Form auch nicht in dem Buch "Integration. Ein Protokoll des Scheiterns", das der Islamwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad vorgelegt hat. Es trägt außerdem einen schiefen Untertitel. Denn die historische Entwicklung der "Integration" wird nur in einigen Kapiteln nachgezeichnet. Der Autor kommentiert vielmehr bestimmte Gegebenheiten des "Multikulturalismus" in der Gegenwart. Gleich zu Beginn äußert Abdel-Samad auch seine Skepsis gegenüber den sozialwissenschaftlichen Studien zum Thema. Er stützt sich eher auf Erkenntnisse aus Gesprächen mit Betroffenen und Experten.

Gleich zu Beginn formuliert der Autor seine eigene Grundposition: "Integration kann (…) nur gelingen, wenn das Individuum sich vom Würgegriff des Kollektivs befreit und seinen eigenen Weg in die freie Gesellschaft beschreitet. Sie kann nur gelingen, wenn der Einzelne alle moralischen und gesellschaftlichen Mauern zwischen sich und der Gastgesellschaft eliminiert und sich ohne Wenn und Aber mit seiner neuen Heimat und deren Werten identifiziert. Geschieht dies nicht, findet keine Integration statt (…)" (S. 18). "Integration" vollziehe sich auf verschiedenen Ebenen, wozu eben auch eine emotionale, kulturelle und soziale und nicht nur eine strukturelle Integration gehöre. Eine Fixierung auf die letztgenannte Perspektive verkenne reale Probleme. Und genau die will der Autor in seinem Buch behandeln, das insbesondere über Begegnungen berichtet und diese kommentiert. Dabei durchzieht die Ausführungen das Plädoyer, das in einem Bruch mit traditionellen Kollektiven und in der Herausbildung eines aufgeklärten Individuums münden soll.

Cover

Abdel-Samad berührt dabei viele Konfliktthemen: Er geht auf das Entstehen von Parallelgesellschaften ein, erörtert die Bedeutung der Kopftuchfrage, fragt nach den Gründen für die Radikalisierung von jungen Muslimen, spricht das Konfliktverhältnis von Orient und Okzident an, thematisiert den Umgang mit den Flüchtlingen und skizziert sowohl eine positive Utopie wie negative Dystopie für die Zukunft. Dabei wechselt die Darstellungsperspektive von Gesprächsberichten zu Kommentaren und wieder zurück. Er stellt dabei auch immer wieder reflexionswürdige Fragen: Warum sind asiatischstämmige Migranten besser integriert als muslimischstämmige Migranten? Wieso soll Religion Vorrang vor Frauen-, Kinder- oder Tierrechten haben? Oder: Welche Maßstäbe legen eigentlich Linke an die "Multikulti"-Frage an? Er schreibt z. B.: "Es ist kein Beitrag zu einer ehrlichen Debatte (…) wenn Linke sich einerseits nicht gegen Auftritte von Salafisten und Hasspredigern wehren, andererseits aber das 'Foyergespräch' mit Thilo Sarrazin (…) verhindern" (S, 204).

Das bedeutsamste und lesenswerteste Kapitel dürfte aber "Integration ist möglich. Ein neuer Marshallplan für Deutschland" sein. Hier entwickelt der Autor inhaltliche Grundlagen für eine Integration, die er ja will und nicht ablehnt, wie ihm manche Kritiker fälschlicherweise unterstellen. Er betont dabei gleich zu Beginn: "Wir brauchen nicht nur Integrationsangebote, sondern auch Integrationsgebote" (S. 236). Und dann formuliert er Appelle an die entscheidenden Akteure: den Staat, die Justiz, die Polizei, die Wirtschaft, die Schulen, die Zivilgesellschaft, die Linken, die Rechten, die Medien, die Islamverbände, die Kirchen, die Migrationsforschung und die Flüchtlinge. Es geht darin nicht um Detailforderungen, sondern um Grundpositionen. Diese findet man in einer solchen Eindeutigkeit, Stringenz und Weite nur selten. Sie gründen auf der Individualität und Würde des Menschen. Das macht die Auseinandersetzung damit so notwendig und sinnvoll. Man mag sich an mancher Pauschalisierung stören, Abdel-Samald legt hier aber einen innovativen Ansatz vor.

Hamed Adel-Samad, Integration. Ein Protokoll des Scheiterns, München 2018 (Droemer-Verlag), 271 S., ISBN: 978-3-426-27739-3, 19,99 Euro (E-Book: 17,99 Euro)

Hinweis: Hamed Abdel-Samad wird heute Abend (12.04.2018) in der URANIA mit Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani (Abteilungsleiter im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen) und Cem Özdemir, (MdB Bündnis 90/Die Grünen) über das neue Buch diskutieren.