Zur aktuellen Veröffentlichung des "Bündnisses für Selbstbestimmung bis zum Lebensende"

"Mein Ende gehört mir" – Protest gegen den § 217 StGB

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Hinweisschild zum ersten Bündnistreffen 2016
Hinweisschild zum ersten Bündnistreffen 2016

BERLIN (hpd) Am 6. November 2015 stimmten 602 Bundestagsabgeordnete über das "Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" ab. Mit 360 Ja-Stimmen (9 Enthaltungen) wurde damit das Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen und mit § 217 in das StGB eingeführt. Kommentiert wurde sofort, u. a.: "Dieses Gesetzt wird vor Gericht keinen Bestand haben."

Zuvor gab es in den Jahren 2014 und 2015 Warnungen und Proteste, u. a. hieß es, das im Grundgesetz verbürgte Recht auf Selbstbestimmung sei nicht anzutasten. Der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages kritisierte, der Entwurf wolle "geschäftsmäßige Sterbehilfe mit den Mitteln des Strafrechts in einem neuen § 217 StGB-E sanktionieren" und gerade das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit sei nicht hinreichend bestimmt.

Im Laufe des Jahres 2015 hatte eine selten gewordene Aufklärungsbewegung die Öffentlichkeit erfasst. Diskussionen und Umfragen zeigten, die deutsche Bevölkerung sagte mehrheitlich, "Mein Ende gehört mir" und die Politik hat sich aus dem privaten Lebensende rauszuhalten. Bei der Statistik stieg die Zustimmung dafür auf mehr als 80 Prozent. Dennoch, das Parlament hat sich mit Stimmabgabe am 6. 11. 2015 dagegen ausgesprochen. Lange, so die Vermutung, wird sich eine Regierung jedoch nicht dem Willen ihrer Bürger entgegensetzen können.

Die Diskussion um das Gesetz ist eröffnet: Beim Bundesverfassungsgericht Karlsruhe liegen vier Beschwerden vor, weitere nehmen Gestalt an. Das "Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende" machte heute seinen Protest öffentlich und gibt damit das Signal: Wir sind noch da und wir denken über den § 217 nach und gehen die juristisch Klärung an.

Die Erkenntnisse der Vergangenheit nützen wenig, um die noch immer offenen Fragen zu klären:
Wussten die Bundestagsabgeordneten wirklich zu wenig über die entscheidenden Punkte und folgten deshalb den Kirchen, den lautesten Befürwortern des verbietenden Gesetzentwurfes? Halten wir fest, der § 217 ist der Dominanz der Kirchenlobbyisten im Hintergrund zu "verdanken"; vielleicht auch der Gleichgültigkeit oder Unfähigkeit von Bundestagsabgeordneten, die Selbstbestimmung nicht ernst zu nehmen und diese zu beschneiden. Auch die Einflussnahme der Fraktionsvorsitzenden ist nicht zu unterschätzen: Sich deren Empfehlung in einer namentlichen Abstimmung eventuell zu widersetzen, bedarf der Zivilcourage.

Dabei nimmt die Autonomie in unserer Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert ein. Wissen das die Politiker nicht oder wollen es nicht wahrhaben?
Es gibt einen Wandel der Kultur. Die negative Bewertung des Suizid änderte sich, eine emanzipatorische Bewegung entsteht bzw. ist entstanden. Der einzelne Mensch in der Bevölkerung, hauptsächlich Menschen um Hochbetagte und Schwerstkranke, wissen darum. Suizid hat für diese Gruppe eine positive Bewertung. Es ist eine Bewegung zu mehr Selbstbestimmung am Lebensende entstanden. Zudem wissen die Menschen, welche Rechte sie haben.

Der Brand/Griese-Entwurf baut darauf auf, das Sterbehilfe-Organisationen Menschen zu einem falschen Schritt führen, vor dem sie diese Menschen schützen müssten.

"Das neue Suizidhilfe-Verbot ist eine schreckliche Fessel für alle Menschen, die aufgrund ihrer Leiden bewusst und entschieden nicht mehr länger leben wollen", sagte Erwin Kress, Vizepräsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands und Sprecher für Autonomie am Lebensende.

Erwin Kress führt fort, "viele leidende Menschen, aber auch ihre Ärzte - besonders im Palliativbereich -, Hospizhelfer und Suizidkonfliktberater schauen jetzt in Sorge und mit Hoffnung nach Karlsruhe. Sie hoffen sehr, dass das Gesetz mit seiner falschen und schlecht gemachten Begründung vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben wird. Man muss sich einmal vorstellen, dass führende Juristen inzwischen davor warnen, Menschen beim Sterbefasten als letztem Leidensausweg zu unterstützen. Wer eine zwei- oder dreiwöchige Todesreise auf sich nimmt, ist sicher nicht dazu von anderen verleitet worden, und man darf ihm Hilfe nicht verwehren."

In der Schweiz haben deutscher Staatsbürger Sterbe-Begleitung in Anspruch genommen:
2011 – 72 Menschen,
2012 – 86 Menschen,
2015 – 84.
Das sind die Zahlen von Exit und Dignitas – sie zeigen in einem Zeitraum über fünf Jahre einem kleinen Trend nach oben. Nicht zu sehen ist der sogenannte "Dammbruch", der von Politikern vorhergesagt wurde für den Fall, dass Suizidbegleitung freigegeben werden würde. Doch ganz das unterstellt die Brand/Griese-Vorlage, die zum § 217 StGB wurde.

Die Gefahr des Bedrängens eines Schwerstkranken durch seine Angehörige, die ihn nicht mehr pflegen können oder wollen, war ebenfalls ein Argument, damit der § 217 angenommen wird. Doch gerade die Angehörigen werden durch das Gesetz nun privilegiert. Wie soll man das begreifen.