Kommentar

Das Millionengrab der Kirchentagsfördergelder

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Auch in Frankfurt demonstrierte die Kunstaktion "11. Gebot" gegen die staatliche Kirchentagsfinanzierung
"11. Gebot" auf dem Frankfurter Römer

Beim Ökumenischen Kirchentag 2021 rechnet man mal wieder mit mehr Besuchern – auch wenn in den letzten Jahren die Erwartungen wiederholt unterboten wurden. Mehr Besucher bedeuten auch mehr Fördergelder. Praktischerweise ist der Kirchendezernent gleichzeitig auch der Kämmerer. Aber warum ist der Kirchentag überhaupt förderungswürdig? Die Antworten der Stadt sind erstaunlich.

Wenn ein nicht erfüllter Superlativ den anderen jagt, liegt Kirchentag in der Luft: Die katholischen und evangelischen Sommerfeste finden immer abwechselnd im Jahresrhythmus statt. Das Jahr 2020 muss ganz ohne Kirchen-PR-Veranstaltung auskommen, dafür lässt man es dann aber im Jahr darauf so richtig krachen: Der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt steht an. Bis zu 200.000 Gäste werden erwartet. Damit werde er doppelt so groß wie erwartet. Man habe sich an den Besucherzahlen des ersten Ökumenischen Kirchentages 2003 in Berlin orientiert. Damals kamen 200.000 Besucher, bei der zweiten gemeinsamen Kirchenparty waren es lediglich 160.000. Die Frage, warum der Kirchendezernent der Stadt Frankfurt, Uwe Becker von der CDU, davon ausgeht, dass jetzt wieder mehr Besucher kommen, blieb unbeantwortet. Es wurde gegenüber dem hpd lediglich auf die hervorragende geographische Lage der Finanzhochburg verwiesen: "In der Mitte Deutschlands gelegen, bietet Frankfurt nach Berlin und München ideale Voraussetzungen für die Austragung für die 200.000 zu erwartenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer."

In den letzten Jahren waren die Besucherzahlen bei Veranstaltungen dieser Art rückläufig, die Erwartungen wurden wiederholt nicht erfüllt: In Leipzig erwartete man bis zu 60.000 Besucher, es kamen aber nur 40.000. Hinterher wurde die Bilanz dann schöngeredet. Beim Kirchentag 2017 gab es Ungereimtheiten, was die Besucherzahlen anging. Die Frage, ob der Veranstalter die mit 120.000 angegebene Besucherzahl beim Abschlussgottesdienst in Wittenberg angesichts von deutlich abweichenden Luftbild- und Fernsehaufnahmen schöngeredet habe, stand im Raum, wie die Zeit berichtete. Auch die Erwartungen an die übrigen Standorte des "Kirchentags auf dem Weg" blieben auf der Strecke: In die acht Reformationsstädte kamen nur ein Drittel der erwarteten Besucher. Eine Ausnahme ist der Katholikentag 2018, hier wurden die Erwartungen (70.000) beim Heimspiel im katholischen Münster mit 90.000 Gästen übertroffen. Dieses Jahr in Dortmund seien mit 121.000 Teilnehmern angeblich 3.000 Menschen mehr gekommen als erwartet, eigene Beobachtungen zeigten aber auch hier das alljährlich wiederkehrende Bild der völlig überzogenen Sicherheitsvorkehrungen und der leeren Bühnen.

BeispielbildDer Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags in Dortmund 2019 war wesentlich schlechter besucht als von den Veranstaltern erwartet. (© Ingo Eitelbach)

Kirchendezernent Becker sang in der Frankfurter Rundschau trotzdem unbeirrt die altbekannte Melodie: Der Kirchentag erreiche gerade junge Menschen und begeistere auch Leute, die sich bislang wenig mit der Kirche auseinandergesetzt haben. Beides ist nicht richtig: Kirchen- und Katholikentage werden laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) nur zu vier bzw. drei Prozent von Nicht-Christen besucht und das Publikum beider Veranstaltungen wird zunehmend älter. "Heruntergebrochen für einen Kirchentag spiegeln drei bis vier Prozent nichtchristliche Besucherinnen und Besucher unsere Gesellschaft durchaus wider", hieß es aus dem Büro des Frankfurter Kirchendezernenten dazu. Eine kühne Behauptung, summieren sich die Konfessionsfreien und die einer anderen Religionsgemeinschaft als dem Christentum zugehörigen Bürger dieses Landes doch auf stolze 44 Prozent. Indirekt gibt das Kirchendezernat hier auch zu, was die Kunstaktion "11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" den Kirchen- und Katholikentagsveranstaltern seit langem vorwirft: Dass es sich dabei nämlich lediglich um kircheninterne Events handelt.

Dabei seien "die Veranstaltungen, die zum christlich-jüdischen und christlich-muslimischen Dialog aufrufen, genauso Tradition wie die Trialoge zwischen den drei großen Glaubensgemeinschaften" – die wachsende Gruppe der Konfessionsfreien, vertreten durch verschiedene säkulare Organisationen, scheinen keine Rolle zu spielen, lediglich "weitere Schwerpunkte mit anderen Glaubensgemeinschaften" sind noch vorgesehen.

Auch auf die Anfrage des hpd, inwiefern der Anlass, Menschen für die Kirche zu begeistern, ein Grund für die Förderung einer Veranstaltung durch die öffentliche Hand ist und wie das zu dem Verfassungsgrundsatz passt, dass der deutsche Staat keine Weltanschauung bevorzugen darf, weil er sich weltanschaulich neutral verhalten muss, wie es auch das Bundesverfassungsgericht bereits 1965 klarstellte, kamen die immer gleichen Antworten: Auch andere Großveranstaltungen in Frankfurt würden gefördert, die Stadt sehe es "als ihre Pflicht an, den offenen Dialog und die Stärkung des Zusammenhaltes der Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern". Nicht zu vergessen ein "signifikantes Auftragsvolumen", eine erhöhte Aufmerksamkeit durch Medienpräsenz und die touristischen Effekte. Alles Argumente, deren Stichhaltigkeit vielfach widerlegt wurde.

Seit Mai sind nun auch die Themen grob abgesteckt, um die sich der 3. Ökumenische Kirchentag drehen soll: Da wären die wohl unvermeidlichen "Fragen des Glaubens und der Spiritualität" – was Außenstehende eher wenig interessieren dürfte – und "das Zusammenleben zwischen Konfessionen, Religionen und Nationen sowie zwischen den Geschlechtern und Generationen im bunten Frankfurt". Auch bei Letzterem werden die Nicht-Religiösen, die die Party mitbezahlen dürfen, thematisch nicht einbezogen. Drittens will man über "internationale Verantwortung vom Klimawandel bis zum fairen Handel" diskutieren; mit dem vierten Thema haben das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) einen Bereich gewählt, in dem sich die beiden Jesuskonzerne auskennen wie wohl niemand sonst: "Geld, Herrschaft und Macht", ein Konzept, das sie, wenn nicht erfunden, dann zumindest perfektioniert haben.

Knapp fünf Millionen Euro lässt sich die Stadt Frankfurt das Doppel-Missionierungsevent kosten. Gleichzeitig ist sie mit 1,7 Milliarden hoch verschuldet. Becker, der praktischerweise auch noch Kämmerer ist, blickt "wenig optimistisch in die Zukunft" heißt es in einem anderen Artikel der Frankfurter Rundschau. Offensichtlich ist das aber kein Grund, wesentlich liquideren Organisationen nicht trotzdem unter die Arme zu greifen. Frankfurt war bereits vier Mal (1956, 1975, 1987 und 2001) Gastgeberin des Evangelischen Kirchentages. Verschwendung aus Tradition könnte man sagen.