Viele Menschen katholischen Glaubens hoffen, dass die Reformen innerhalb ihrer Kirche ausreichen, um mit dem Wandel der Gesellschaft schrittzuhalten. Doch ein genauerer Blick auf die tatsächlich stattgefundenen Veränderungen ist sehr ernüchternd: Keine der fragwürdigen Strukturen wurden abgeschafft oder zumindest dahingehend angepasst, dass diese keinen Schaden mehr anrichten können. Noch immer sträubt sich die Kirche dagegen, nachhaltigen Veränderungen Einzug zu gewähren. Auch die erste Frau mit Stimmrecht in der Bischofssynode kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Als Papst Franziskus im Jahr 2013 vom Konklave zum Nachfolger von Benedikt XVI. gewählt wurde, herrschte in der katholischen Kirche Aufbruchstimmung. Der "Reformpapst" oder "Papst der Moderne", wie er von einigen gerne genannt wird, galt vielen als fortschrittlich und daher als genau der Richtige, um die Kirche aus ihrer Krisensituation herauszumanövrieren. Doch wer hoffte, dass sich die rigide Sexualmoral, der folgenschwere Zölibat, die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, die Rolle der Frau innerhalb der Kirche oder etwa die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle durch Geistliche samt der systematischen Vertuschung selbiger fortan signifikant verändern würden, der wurde nach einigen Jahren eines Besseren belehrt.
Pille, Kondom und Sexualkundeunterricht sind für das amtierende Kirchenoberhaupt Beispiele für eine "ideologische Kolonialisierung". Dass manche Länder die Nutzung von Verhütungsmitteln und sexuelle Aufklärung nicht lediglich aus gesundheitlichen und ethischen Gründen befürworten, sondern auch, um grassierender Armut vorzubeugen, ist für den Papst kein Anlass, die Moralvorstellungen der Kirche hintenanzustellen. Er wirbt in Chile, Peru, Bolivien, Uganda, Sri Lanka oder etwa auf den Philippinen dafür, keine Kondome und keine Antibabypille zu nutzen und Sexualität nur im Einklang mit den traditionellen Werten des Katholizismus auszuleben.
Obwohl sich Psycholog:innen einig sind, dass der selbstauferlegte Zölibat zu Ersatzhandlungen wie etwa dem Vergehen an Kindern führen kann, möchte die katholische Kirche an dieser Praxis im Wesentlichen festhalten. Ein sexuell selbstbestimmtes Leben etwa von Homosexuellen bringt Franziskus schriftlich mit einem abwertenden Tenor in die Nähe von Geizhälsen und Lobbyisten. Und auch für das körperliche Selbstbestimmungsrecht von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, hat der vermeintliche Reformpapst keine wohlwollenden Worte übrig. Dass Frauen sich in einem solchen Fall in einer emotional belastenden Phase ihres Lebens befinden und womöglich Unterstützung bedürfen oder aber zumindest keiner unnötigen weiteren Belastung, ist dem hochrangigsten Geistlichen der katholischen Kirche offenbar nicht wichtig genug. Denn dieser hielt es für angebracht, eine Frau, die eine Abtreibung vornimmt, mit einer Auftragsmörderin zu vergleichen.
Im Jahr 2019 hat Papst Franziskus einen Missbrauchs-Gipfel einberufen, bei dem die Chefs der Bischofskonferenzen aus der ganzen Welt zusammenkamen, um die entsprechenden religiösen Gräueltaten aufzuarbeiten. Zwar hat Franziskus etwa den US-amerikanischen Geistlichen Theodore McCarrick aus dem Kardinalsstand und später auch aus dem Priesterstand entlassen. Letzteres ist jedoch nach kirchlichem Recht bereits die Höchststrafe und der oberste Geistliche der katholischen Kirche möchte den Fall damit abschließen. Wie künftig solchen Vorfällen effektiv vorgebeugt werden oder aber wie man ein Anreizsystem schaffen kann, wodurch die gegenseitige Deckung von christlichen Gottesdienern bei Straftaten unterbunden wird, wurde beim Missbrauchs-Gipfel nicht eruiert.
Eine Frauenquote, die hinter Saudi-Arabien zurückbleibt
Bei den meist im Abstand von drei bis vier Jahren stattfindenden ordentlichen Generalversammlungen der Bischofssynode soll im Jahr 2022 erstmals eine Frau stimmberechtigt sein. Die Bischofssynode ist ein Beratungsorgan des Papstes, bei dessen Zusammentreten in aller Regel über die künftigen Leitlinien der Kirche diskutiert wird. Der für Kirchenverhältnisse mit Anfang 50 jungen Nathalie Becquart, einer französische Ordensschwester und Kurienbeamtin der katholischen Kirche, wird diese Ehre zuteil, nachdem Papst Franziskus sie zur Untersekretärin des Synoden-Sekretariats ernannte.
Ganz unerwartet kam dieser Schritt nicht. Becquart war bereits seit Mai 2019 Beraterin der Synode. Ihr beruflicher Werdegang ist durchaus beachtlich. Zunächst schloss sie in Paris das Studium an einer Elite-Handelshochschule ab, arbeitete danach im Bereich Marketing und Kommunikation und entschied sich erst währenddessen dazu, ihr Leben der Religion zu widmen, indem sie sich dem christlichen Institut La Xavière anschloss. Es folgte ein Studium der Theologie, Philosophie und Soziologie an verschiedenen Universitäten. In einem Aufbaustudium befasste sie sich in den USA zudem mit der Synodalität der Kirche. Bekannt ist sie außerdem für ihr Engagement für religiöse Jugendliche. So organisierte sie etwa spirituelle Segeltouren und schrieb ein Buch mit dem Titel "Die Evangelisierung der Jugend".
Die Stimme und Perspektive einer Frau steht im Jahr 2022 dann also jenen von circa 200 Männern gegenüber – ein Frauenanteil, der allerdings sogar im saudi-arabischen Yamama-Palast mit immerhin 20 Prozent die Verhältnisse der Bevölkerung adäquater widerspiegelt. Von einem "Aufbrechen veralteter Strukturen" kann demnach kaum die Rede sein.
Die langanhaltende Debatte um die Frauenordination, also der gleichberechtigten Zulassung von Frauen zu christlichen Ämtern, wird durch Becquarts Ernennung zur Untersekretärin nicht mit einer tatsächlichen Veränderung innerhalb der Institution beendet, sondern nur weiter aufgeschoben. Denn die Kirche kann nun, auf die mangelnde Gleichberechtigung von Mann und Frau angesprochen, auf ein weibliches Aushängeschild in einem hohen Amt verweisen. Dass es Frauen in der katholischen Kirche noch immer nicht möglich ist, etwa Priesterin zu werden, kann damit jedoch allenfalls kaschiert werden.
Das Pontifikat von Franziskus hält womöglich noch eine Weile an. Ob es unter seiner Regentschaft je zu einem aus ethischer Sicht akzeptablen Maß an strukturellen Veränderungen innerhalb seiner Institution kommen wird, bleibt weiterhin fragwürdig – Feigenblatt verkörpert durch Nathalie Becquart hin oder her.
3 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Wer ewige Wahrheiten hat, braucht keine Reformen. Alles weitere regelt der Markt der Esoterik-Anbieter.
E. Steinbrecher am Permanenter Link
Was ein Papst denkt, was er sagt oder gar tut, sind 3 Paar, wenn nicht 5 Paar Schuhe. Schließlich ist der Mann der temporäre Verweser der paulinischen Grundidee samt inkludierter Frauenfeindlichkeit.
Ein Trost aber bleibt: Alle Religionen haben sich irgendwann totgelaufen. Vielleicht kommt ja irgendwann ein neuer Religionsbegründer der diese frauenfreundlich und hoffentlich hedonistisch auslegt. Opfer, auch weibliche, in jeder Hinsicht, gibt´s viel zu viele!!!
sitha Berg am Permanenter Link
Der Glaube an eine göttliche Allmacht schließt jede Form von Selbstbestimmungsrecht aus. Also kann es gar keine Hoffnung auf Reformen geben, das ist nichts als Augenwischerei.