In Berlin läuft nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz eine öffentliche Debatte um das Gedenken der Anschlagsopfer. Auch der Humanistische Verband Deutschlands Berlin-Brandenburg (HVD BB) meldet sich in dieser Debatte zu Wort.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte im Zusammenhang mit der Debatte dem Tagesspiegel: "Wenn es um ein würdiges Gedenken gehen sollte, wird der Senat sich dem gegenüber nicht verschließen." Dies müsse seiner Ansicht nach jedoch in Abstimmung mit der evangelischen Kirche erfolgen.
Hintergrund dieser Äußerung ist die Meldung des Tagesspiegel: "Auch auf dem Breitscheidplatz wäre solch eine Lösung denkbar. Erste unverbindliche Überlegungen habe es im Gemeindekirchenrat der Gedächtniskirche bereits gegeben, sagte Pfarrer Martin Germer. Von der AG City sei eine Tafel an den zur Kirche führenden Stufen angeregt worden, der er sich nicht grundsätzlich widersetzen würde. Aber es gebe da viele Aspekte zu berücksichtigen, beispielsweise den Denkmalschutz. Eines geht aus Sicht der Pfarrers aber gar nicht: eine Erinnerungsplatte auf dem Boden. Schon wegen der Lastwagen, die beim Aufbau künftiger Märkte darüber hinweg rollen würden, ganz und gar unmöglich."
Jetzt hat sich auch der Präsident des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg e.V., Jan Gabriel, in die Diskussion eingebracht: Er erklärte: "Das öffentliche Gedenken für die Opfer des Anschlags am Breitscheidplatz liegt in Verantwortung der Stadt Berlin und des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Breitscheidplatz als Ort des Anschlags bietet sich für das Aufstellen einer Stele oder einer Gedenktafel natürlich an."
Er weist weiter darauf hin, dass sich ein würdiges Gedenken im öffentlichen Raum auch "aus Respekt gegenüber der religiös-weltanschaulichen Vielfalt der Opfer und Ihrer Familien" gebietet. "Im öffentlichen Bereich des Platzes können Stadt und Bezirk unabhängig von der Position und/oder Bereitschaft der lokalen Kirchgemeinde, eine Tafel an oder bei der Gedächtniskirche anbringen zu lassen, eine neutrale Möglichkeit des Gedenkens schaffen."
Der Senat von Berlin und die Bundesregierung haben nach den Anschlag auf einen offiziellen Trauerakt verzichtet und sich der Trauerfeier der evangelischen Gemeinde der Gedächtniskirche angeschlossen. Eine weltanschaulich neutrale Trauerfeier fand bislang nicht statt.
Bereits im Zusammenhang mit den Opfern eines Flugzeugabsturzes und der darauffolgenden Trauerfeier im Kölner Dom fragte Jürgen Roth im hpd: "Ist es aber angemessen, in einem nationalen Trauergottesdienst das christliche Glaubensbekenntnis zu beten und so alle Anwesenden ungefragt für sich zu vereinnahmen?" Diese Frage stellt sich auch beim Gedenken an die Opfer des Berliner Terroranschlags.
Deshalb spricht sich der HVD BB für eine "interkulturelle staatliche Zeremonie aus, die einem Staatsakt in der weltanschaulich vielfältigen Gesellschaft gerecht wird." Eine Feierstunde bei der Aufstellung einer Gedenktafel wäre dafür der geeignete Rahmen.
8 Kommentare
Kommentare
Thomas Häntsch am Permanenter Link
Bleibt zu hoffen, dass es gelingt, zukünftig Trauerakte nicht automatisch als Gottesdienst durchzuführen. Opfer von Unglück und Terror, die religiös waren, wird mit Sicherheit in ihren Gemeinden etc.
Gerd am Permanenter Link
Einzig angemessen wäre eine interkulturelle staatliche Zeremonie. Insoweit volle Zustimmung
Horst Groschopp am Permanenter Link
Es ist diesmal nicht gelungen, dass der Staat für die Trauer allein die Kirchen für sich tätig werden lässt und die Sache damit erledigt ist. Es waren Opferangehörige, die eine staatliche Feier anmeldeten.
Die Abgeordneten im Bundestag und Berliner Parlament sind aufgefordert, endlich einmal schöpferisch nachzudenken und nicht so tun tun, als reiche ein ökomenischer Gottesdienst aus. Noch ist die Opferliste nicht bekannt, aber vielleicht war wenigstens ein Nichtglaubender darunter? Es war kein Anschlag auf die Gedächtniskirche, sondern auf die Gesellschaft in ihrer Multikulturalität, inklusive Juden und Muslime, Konfessionsfreie und Christen, vom „heidnischen“ Weihnachtsmarkt mal ganz abgesehen.
In Berlin ist hier vor allem der „Kultur-, Religions- und Weltanschauungssenator“ Klaus Lederer gefragt. Man kann ihn ja beraten. Die Humanistische Akademie hat dazu schon vor Jahren Konferenzen gemacht und publiziert. So geht es jedenfalls nicht weiter.
Es geht nicht mehr, dass in erster Linie die christliche Religion, davon dann noch eine Konfession, dafür eintreten muss, die ganze Trauer zu organisieren und zu kanalisieren. Das geht auch deshalb gar nicht, weil das ganze Ausmaß von Klage und Schmerz, das Verneinen von Gewalt und Grausamkeit, der Erhalt und der Neuaufbau von Vertrauen und Miteinander, die ganze Hoffnung auf Frieden nicht mehr so engführend zelebriert werden können, wie es geschehen ist.
Das sind alles keine Wertvorstellungen nur dieser oder jener Religion, die “im Namen Gottes“ oder „durch Gottes Gnade“ Menschlichkeit befördern will. Das ist für diese Gläubigen in Ordnung, sonst würden sie nicht jeweils ihren Gott anrufen.
Aber: Das Menschliche kommt im Namen der Menschheit zum Ausdruck – und dafür stehen die Trauerden in einer Gemeinschaft des Gedenkens. Das ist eine Überforderung von Religionen, für alle zu sprechen, auch für die, die ihre Ideen und Gefühle von Menschlichkeit eben nicht „durch den Glauben“ besitzen bzw. ausdrücken.
Das ist endlich zu akzeptieren und Feiern sind entsprechend zu organisieren – vom Staat oder von einem neutralen Komitee in neutralen Räumen, in dem alle zu berücksicktigen sind, Weltanschauungen und Religionen. Für ein mögliches Denkmal gilt das alles analog.
Volkmar H. Weber am Permanenter Link
Es ist natürlich sehr einfach für das Establishment, die öffentlichen Gedenkveranstaltungen an die Kirchen einfach an die Kirchen weiter zu reichen, die diese Plattform gern zur Indoktrination nutzen.
Walter Otte am Permanenter Link
Was hier in Berlin nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz an Gedenken praktiziert wird, oder besser gesagt, nicht praktiziert wird, ist bekannt und fordert Protest heraus.
Sicher, wir sollen, wir müssen deutlich machen, dass wir uns von Terroristen nicht einschüchtern und weder unsere Lebensstile noch unsere freiheitliche Demokratie beschädigen lassen. Aber "business as usual"? Nein, Solidarität, Mitgefühl mit den Ermordeten, den Verletzten, den Traumatisierten und ihren Angehörigen - das ist doch wohl Minimum in einer Gesellschaft, die gerade angesichts des Terrors zusammenstehen muss. Und diese Anteilnahme muss auch öffentlich gemacht werden.
Tatsache ist: Keine öffentliche Gedenkveranstaltung. Kein Staatsakt. Wo bleibt eigentlich Bundespräsident Gauck? Nur er könnte einen Staatsakt anordnen. Ob ein solcher bei der Mordaktion gegen die Germanwings-Passagiere angemessen war, darüber lässt sich streiten. Aber dass ein Staatsakt im Falle des Berliner Anschlags angemessen, ja notwendig ist, liegt doch offen zutage.
Kirchen und HVD fordern öffentliches Gedenken. Gut so. Aber dann bitte auch gemeinsam. Reg.Bürgermeister Müller bleibt unscheinbar - wie nicht zum ersten Mal - und fordert ein Gedenken nur mit der evangelischen Kirche. Herr Reg.Bürgermeister: in dieser Stadt, in diesem Land leben viele, die keiner Kirche, keiner Religionsgemeinschaft angehören. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
Alles in allem, ich wiederhole es, erbärmlich, wie mit dem Andenken an die Opfer umgegangen wird. Die Bevölkerung bleibt vom Gedenken ausgeschlossen. Kein gutes Signal von rot-rot-grün.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Die Kirche fest im Kopf verankert - schon fast unglaublich, für wie 'normal' ein religiöser Trauerakt hingenommen wird.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Ganz richtig,
denn schließlich ist Trauer ein allgemein menschliches Gefühl, das nicht von einer Kirche monopolisiert werden darf.
Kay Krause am Permanenter Link
So traurig das Ganze auch ist: So ein Terror-Anschlag auf friedliche Zivilisten wie in Berlin ist natürlich wieder eine wunderbare Gelegenheit für "KIRCHE", sich wieder mal ungefragt in den Vordergrund zu dr
Denkt eigentlich auch mal irgend jemand aus diesen Kreisen an die Angehörigen der Ermordeten und der schwerverletzten Mitbürger? Ich kann mir gut vorstellen, dass aus deren Sicht diese Zuständigkeits-Diskussion höchst überflüssig ist!