In Rom hat sich kürzlich Jorge Mario Bergoglio, ein Argentinier im fortgeschrittenen Rentenalter, ein weißes Kostüm angezogen, eine weiße Mütze aufgesetzt, sich an sein Fenster gestellt und gesprochen: Man möge sich in Acht nehmen vor Wahrsagern und Horoskopen. Wer Wahrsager oder Horoskope konsultiere, gehe unter. Bergoglio selber, der für seine Auftritte den Namen "Franziskus" nutzt, ist Anführer des einzigen Gottesstaates in Europa, und als solcher hat er hier mit sicherem Instinkt seine Konkurrenz angegriffen: Märchenerzähler unter sich, im erbitterten Wettstreit. Ein Bedarf für ihre Dienste ist ja offenbar vorhanden, daher sei die Frage erlaubt: Glaube, Astrologie, Wahrsagerei – womit fährt man wirklich am besten? Hier ein kleiner Faktencheck.
a) Kosten
Wer das Angebot der Kirche nutzt, entscheidet sich zumeist für eine Flatrate: In Deutschland werden die Gebühren sogar vom Staat eingezogen, womit auch Deutschland ein bisschen ein Gottesstaat ist. Was man als Gegenleistung bekommt, bleibt dabei ein wenig unklar: Die sonntägliche Nutzung der Glaubensgebäude steht dem Vernehmen nach jedem offen, auch am regelmäßigen Glockengebimmel partizipieren alle, ob sie nun gezahlt haben oder nicht. In manchen Kirchen werden zudem dunkle Separées angeboten, in denen man einem Mann im Kostüm schweinische Geschichten erzählen kann – für manchen vielleicht reizvoll. Zentrale Errungenschaft der Religion hingegen sind Gespräche mit einem imaginierten Wesen, welches einem ein kostenloses Schuldgefühl sowie Vergebung für dasselbe Schuldgefühl anbietet. Diese Gespräche können prinzipiell von jedem geführt werden, ob zahlendes Mitglied oder nicht. Wofür die Flatrate dient, wird bei all dem nicht recht klar.
Wahrsager haben den Vorteil, dass die Verwendung der Gelder unmittelbar nachvollziehbar erscheint: Man zahlt pro Sitzung, und man bekommt mit einiger Sicherheit genau das gesagt, was einem ein maximales vorübergehendes Wohlgefühl verspricht. Ähnliches gilt für Horoskope. Sie geben dem Kunden das gute Gefühl, das Universum kümmere sich irgendwie um ihn, und sie bemühen sich dabei sogar um einen Anschein von Wissenschaftlichkeit. Für ein persönliches Horoskop werden astronomische Objekte bemüht, Linien gezogen, Zeichnungen erstellt, da wird auf geschichtliche Überlieferung bis hin zu den alten Ägyptern verwiesen. Das kann natürlich kosten, aber manche Horoskopersteller arbeiten auch nur aus Nettigkeit, und für Sparfüchse bleibt der Blick ins Tages- oder Wochenhoroskop, der praktisch umsonst ist.
b) Nutzen
Wahrsagerei, Astrologie, Religion – alle drei nähren sich von einer klassischen menschlichen Fragestellung: Kann das hier alles sein? Werde ich dieses mein Leben zu Ende leben – und das war's dann? Alle drei versuchen auf ihre Weise, das Problem zu lösen. Der Wahrsager verkauft Hoffnungen auf eine bessere Zukunft im Diesseits: Die große Liebe wird noch kommen, oder das große Geld. Der kirchliche Verkaufsschlager hingegen ist das Leben nach dem Leben, und es hat sich als irrsinnig erfolgreiche Idee erwiesen. Erstaunlich wenig erfährt man allerdings je darüber, wie das dann aussehen soll. Wird der Autobastler weiter an Autos basteln, wird der Fondsmanager zum Harfespielen verdonnert, oder reihen sich alle ein in der Engel Chor, um bis in alle Ewigkeit den Schöpfer des Engelschors zu loben? Genauer erklärt wird das nie, die Kirchenvertreter werden schon wissen warum.
Einen anderen Weg zur Nervenberuhigung schlägt die Astrologie ein: Das Schicksal, das der Mensch als sein eigenes empfindet, wird umgedeutet zu einer Folge bestimmter astronomischer Konstellationen: Man lebt also nicht sein Leben, sondern wird vom Universum gelebt. So kann man sich einem süßen Fatalismus hingeben statt sich immer weiter abzustrampeln. Andererseits schmeichelt es auch der eigenen Eitelkeit, dass man letztlich mit dem gesamten Kosmos verbunden ist, denn der Kosmos ist immens riesig, und er macht sich keinen Kopf.
c) Risiken
Religion, Wahrsagerei, Horoskope – das Risiko ist eigentlich überall dasselbe: Man gibt Verantwortung für das eigene Leben ab, wenn man irgend etwas davon ernst nimmt. Auf der sicheren Seite ist man dann aber doch am ehesten mit der Religion. Wer sich zu einer großen, starken Religion bekennt, die im eigenen Kulturraum viel Macht und Einfluss hat, läuft weniger Gefahr, verbrannt, verbannt, ausgestoßen, von Hochhäusern geworfen oder sonstwie diskriminiert zu werden. Religionen haben einen hohen Organisationsgrad, auch das macht sie für viele Menschen so reizvoll: Je mehr Menschen sich derselben Illusion hingeben, desto wahrer fühlt sie sich an. Wahrsager und Astrologen hingegen orientieren sich eher am Individuum, sie haben es nie geschafft, Lebensregeln aufzustellen und zu überwachen, sie haben niemals eine verbindliche Ideologie geschaffen, die den Aufbau autoritärer Strukturen ermöglicht. Wer sich zum falschen Wahrsager bekennt, ist noch nie von den Anhängern anderer Wahrsager erschlagen, gevierteilt oder verspottet worden, auch im Bereich der Horoskopgläubigen ist von blutigen Eroberungsfeldzügen, Hexenjagden, flächendeckender Gewalt gegen Kinder, von Sprengstoffattentaten und Moralpredigten wenig bekannt. Aus dieser Sicht ist es also ratsam, sich doch eher eine Religion auszusuchen – Inhalte sind dabei eigentlich egal, denn die Inhalte sind immer absurd.
d) Fazit
Im ewigen Wettstreit der fantasiebegabten Lebenserklärer geht also ein Punkt an die Nutzung von Religionen, wohingegen die Wahrsager sich nirgends richtig aufzudrängen vermögen. Aus finanzieller Sicht sowie als Seelenretter liegt die Astrologie vorne: Man kann sie praktisch umsonst bekommen, und sie legt uns ein inneres Achselzucken nahe, wenn es um letzte Dinge geht: Du kommst aus dem Universum, du gehst wieder ins Universum. Viel mehr gibt es da ja auch nach viel Nachdenken nicht zu sagen. Plus, man kann das Horoskop nebenbei beim Frisör lesen, da liegt es irgendwo zwischen überflüssigen Meldungen über überflüssige Stars, und ungefähr genau so ernst sollte man es auch nehmen. Aus Gründen der Ausgewogenheit sollten zukünftig aber auch noch ein paar saftige Wahrsagereien daneben stehen sowie die neuesten Erkenntnisse kostümierter alter Männer.
15 Kommentare
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Amüsante Glosse. Kleine Ergänzung:
zu a) Was Bergoglio zur (Un)Wirksamkeit des Gebets sagt, ist doch ein perfekter Persilschein für jede Art von Scharlatanerie:
„Das Gebet ist kein Zauberstab, ... Immer erhört Gott die Bitten seiner Kinder, aber nicht immer zu der Zeit und in der Weise, wie wir es wünschen.“
Also: Klein Fritzchen, der den „Lieben Gott“ in seiner Einfalt für Weihnachten um ein Mountainbike bittet, wird dieser Wunsch immer erfüllt; er muss allerdings damit rechnen, dass er es erst in 80 Jahren bekommt, und es ist dann vielleicht auch kein Mountainbike sondern ein Dreirad.
zu b) In der „Umweltenzyklika“ gibt es immerhin einen Ansatz, das ewige Leben zu beschreiben:
„Das ewige Leben wird ein miteinander erlebtes Staunen sein, wo jedes Geschöpf in leuchtender Verklärung seinen Platz einnehmen und etwas haben wird, um es den endgültig befreiten Armen zu bringen.“
Das enthält mindestens fünf höchst bedenkliche wenn nicht gar bescheuerte theologische Aussagen:
1. Jedes Geschöpf (auch Tiere und Bakterien ...) wird ein „ewiges Leben“ haben
2. Jedes Geschöpf verfügt über irgendetwas, was man irgendjemand geben kann, der das nicht hat.
3. Es gibt immer noch die „Armen“, die zwar „endgültig befreit“ aber wohl immer noch arm sind, und
4. denen von den Geschöpfen, den Nicht-Armen also, irgendwas gebracht wird, was ihnen mangelt;
woraus nach den Gesetzen der Mengenlehre folgt:
5. Die „Armen“ sind keine „Geschöpfe“ !!! ???
Kann man davon ausgehen, dass sich B. In seinem Eifer, „die Armen“ - die er auch im „ewigen Leben“ partout nicht missen möchte - überall in die Enzykla hinein zu quetschen, theologisch etwas vergallopiert hat ?
Volker Dets am Permanenter Link
Einfach köstlich - in dem Vergleich und dann noch humoristisch hab ich die drei übersinnlichen "Lebenshilfen" noch nie betrachtet. Gerne mehr davon :-))
Roland Weber am Permanenter Link
Zitat: .... am regelmäßigen Glockengebimmel partizipieren alle, ob sie nun gezahlt haben oder nicht.
Man kann natürlich den Text genau so stehenlassen und unterschreiben.
Auch das sinnfreie nervende Glockengebimmel (da ohne "Gottesdienst") sollte man nicht einfach übergehen: Erinnert es uns doch, dass sie eben immer noch da sind!
Ulrike Dahmen am Permanenter Link
Die "neuesten Erkenntnisse kostümierter alter Männer" werden sowieso schon in viel zu vielen Blättern und Rundfunksendern ausgebreitet; also bitte nicht noch mehr davon, auch noch nicht einmal im Zusammenhan
Martin Mair am Permanenter Link
Viele Herrscher haben sich nach Horoskopen gerichtet! In diesem Punkt irrt der Autor gewalt und outet sich als Unwissender
Z.B. war Giovanni Battista Seni war im "Dreißigjährigen Krieg" der Astrologe von Wallenstein!
https://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Battista_Seni
Auch Johannes Keppler hatte sich in Prag als Astrologe betätigt.
David Z am Permanenter Link
Grossartiger Beitrag, grade auch die Einleitung. :)
Wolfgang am Permanenter Link
Der Papst stand vor dem Spiegel und hat sich selbst gewarnt. Religionen, Astrologie und Wahrsager sind doch eine einzige Suppe geworden und jeder zieht sich sein Fleischstückchen heraus.
Horoskope vollenden den Reigen der Dummheit und daran wird sich auch in der Zukunft leider wenig ändern, denn die Grundlage bleibt nun einmal die Dummheit und die ist bis heute nicht heilbar.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Der Papst warnt vor Wahrsagern und ihren Horoskopen - obwohl er selbst eines glaubt und es immer wieder verkündet: jedes Jahr nach Weihnachten das Horoskop der drei Weisen aus dem Morgenland, die "Huldigung der S
Jonas Schimke am Permanenter Link
Wieso denn drei? Über die Anzahl in dieser frei erfundenen Geschichte steht bei Matthäus nichts. Ich denke mal, das muss die katholische Kirche aus einer für Außenstehende geheimen Quelle erfahren haben.
Rüdiger Pagel am Permanenter Link
Klasse !!
Genau so sehe ich das auch.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Sehr ergötzlich. Danke
Kay Krause am Permanenter Link
Schön geschrieben, Klaus Ungerer, danke! Spricht mir aus der möglicherweise vorhandenen Seele!
Mark am Permanenter Link
Die Katholische Kirche bietet auch jede Menge übernatürliche Dienstleistungen und Schauspiel an.
Andreas Leber am Permanenter Link
You made my day! Schön formuliert!
Werner Koch am Permanenter Link
Mehr davon - Märchenerzähler sind gefragt, Atheisten hören/lesen auch gerne schöne Märchen.