"Werbeverbot" für Schwangerschaftsabbrüche

§ 219a StGB: Experten äußern sich im Rechtsausschuss

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Befruchtete menschliche Eizellen stehen immer wieder im Zentrum juristischer Diskussionen.

Sachverständige Juristen, Ärzte sowie Vertreter von Beratungsstellen und Kirche waren von den Fraktionen eingeladen worden, sich im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages zu den angedachten Gesetzesänderungen des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche zu äußern. Die Urteile gingen weit auseinander und mündeten in einer Patt-Situation.

Wie geht es weiter mit Paragraph 219a StGB? Seit die Frauenärztin Kristina Hänel vergangenen Herbst zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde, wird kontrovers über die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche diskutiert. Der Knackpunkt: Auch wenn Ärzte über den Eingriff oder die Tatsache, dass sie ihn vornehmen, informieren, kann das geahndet werden. Militante Lebensschützer nutzen diese Rechtslage aus und zeigen massenhaft Mediziner an. Im Februar hatte sich der Bundestag des Themas angenommen und eine emotionale Debatte über drei Gesetzesentwürfe zur Abschaffung (Grüne, Linke) beziehungsweise Modifizierung (FDP) des Strafrechtsparagraphen geführt, der hpd berichtete.

Am Mittwochabend nun fand in Berlin eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz statt. Neun Sachverständige waren eingeladen, ihre Sicht der Dinge darzulegen: Zwei Gynäkologie-Fachärzte (Dr. Michael Kiworr aus Mannheim, Schwerpunkt spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin und Christiane Tennhardt aus Berlin), vier Juristen (Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel von der Universität Augsburg, Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Straf- und Strafprozessrecht, Medizin- und Wirtschafsrecht, Prof. Dr. Thomas Weigend vom Institut für ausländisches und internationales Strafrecht der Universität Köln, Prof. Dr. Reinhard Merkel von der Universität Hamburg, zuständig für Strafrecht und Rechtsphilosophie sowie Prof. Dr. Ulrike Lembke, Kommissionsvorsitzende für Europa- und Völkerrecht des Deutschen Juristinnenbundes), zwei Vertreter von Beratungsstellen (Prof. Dr. Daphne Hahn für den Bundesvorstand von pro familia und Andrea Redding, Geschäftsführerin des Bundesverbandes des christlichen Vereins donum vitae sowie eine kirchliche Vertreterin (Katharina Jestaedt vom Kommissariat der deutschen Bischöfe und Stellvertreterin des Leiters des katholischen Büros in Berlin).

Drei Stunden lang standen die Experten den Abgeordneten Rede und Antwort. Erwartungsgemäß ging es vor allem um die Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Die Meinungsverschiedenheiten reichten so weit, dass je nach Argumentation sowohl das Streichen als auch das Behalten des umstrittenen Paragraphen als nicht verfassungskonform bezeichnet wurde.

Während der Rechtswissenschaftler Michael Kubiciel der Auffassung war, das Gesamtpaket aus Paragraph 218 StGB, der den Schwangerschaftsabbruch als strafbare Handlung ausweist und in Unterpunkt a straffreie Ausnahmen benennt, und Paragraph 219a StGB dürfe nicht aufgelöst werden, widersprachen ihm seine Kollegen Ulrike Lembke, die sich unter anderem mit Genderfragen beschäftigt, und Reinhard Merkel, Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Der rechtliche Kompromiss, den die derzeitige Gesetzgebung darstelle, werde durch eine Streichung des Werbungsverbots nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil – Paragraph 219a StGB verfehle den Kompromiss, da er nicht zwischen einer zulässigen und einer rechtswidrigen Abtreibung unterscheide. Dadurch sei der Strafrechtsparagraph laut Merkel, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, "normativ inkonsistent", schreibt die ÄrzteZeitung. Wenn Mediziner nicht sachlich informieren dürften, verletze das sowohl deren Berufsfreiheit als auch die Informationsfreiheit der betroffenen Frauen. Der Staat sei verpflichtet, für entsprechende Einrichtungen zu sorgen. Wenn sich Ärzte an der Erfüllung dieser Staatsaufgabe beteiligten, sie darauf aber nicht hinweisen dürften, sei das "nicht hinnehmbar". Merkels Ansicht nach solle "anstößige Werbung" lieber als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

Wie sich Frauen entscheiden, habe nichts damit zu tun, ob ein Arzt darüber informiere, diesen Eingriff vorzunehmen, argumentierte Christiane Tennhardt, die auch Beraterin beim Berliner Famlienplanungszentrum Balance ist und von Abtreibungsgegnern auf einer chauvinistischen Website als "Kindsmörderin" beschimpft wird. Sie sprach von einer Bedrohungssituation durch Paragraph 219a StGB und mahnte, dass Ärzte sich deshalb zunehmend aus diesem Bereich zurückzögen. Diesen Trend beklagte auch Daphne Hahn (pro familia). Außerdem seien ihr zufolge Informationen über Abtreibungsärzte sogar für die Beratungsstellen schwer zugänglich. Für die ungewollt schwangeren Frauen sei der Informationsweg unter Zeitdruck erst recht problematisch.

Michael Kiworr, Mitglied der Organisation Ärzte für das Leben und vormaliger Redner beim "Marsch für das Leben", trat für die Beibehaltung der jetzigen Gesetzeslage ein. Andernfalls sei das Lebensrecht ungeborener Kinder bedroht. Wenn, dann brauche es Werbung für den Schutz des Lebens. Andrea Redding (donum vitae) und Katharina Jestaedt (für die Deutsche Bischofskonferenz) unterstützten seine Position. Jegliche Information zu diesem Thema solle den Beratungsstellen vorbehalten bleiben. Deren Arbeit beschrieb Redding als erfolgreich.

Die Expertenmeinungen mündeten in einer Patt-Situation: Vier befürworteten eine Streichung, vier waren dagegen, einer, Jurist Thomas Weigend, hielt die Änderung von Paragraph 219a StGB im Sinne des FDP-Vorschlags für sinnvoll. Der Paragraph solle auf ein reines Verbot "grob anstößiger" Werbung zusammengestrichen werden, die ungeborenes Leben herabwürdigte. Reine Information könne in diesem Zusammenhang aber nicht rechtswidrig sein. Nun ist der Bundestag wieder am Zug: Nach der Vorbereitung durch den Rechtsausschuss wird er sich in zweiter Lesung erneut mit der Zukunft von Paragraph 219a StGB befassen.

Hoch her ging es während der Anhörung auf der Besuchertribüne: Mehrfach rief der Vorsitzende des Rechtsausschusses Stephan Brandner von der AfD zur Ruhe auf. Zuhörer auf der Tribüne hatten applaudiert, andere, bekleidet mit T-Shirts, auf denen Liberalisierungsforderungen zu lesen waren und die schweigend aufstanden, mussten den Saal verlassen. Laut taz bezeichnete der vorsitzende Politiker dies als "Affenzirkus" und habe erklärt, dort säßen wohl "nur sehr beschränkt denkende Menschen". Brandner hatte sogar damit gedroht, die Tribüne räumen zu lassen.