Die Sozialwissenschaftler Karl-Siegbert Rehberg, Franziska Kunz und Tino Schlinzig haben mit "Pegida. Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und 'Wende'-Enttäuschung" einen Sammelband mit 28 Beiträgen aus sozialwissenschaftlicher Sicht vorgelegt. Angesichts des Umfangs bleiben Widersprüche und Wiederholungen nicht aus, gleichwohl liegt eine informative Darstellung mit qualitativ aber unterschiedlichen Texten vor.
Anlässlich des zweijährigen Bestehens der "Montagsspaziergänge" von PEGIDA in Dresden kamen nur noch ein paar tausend Anhänger zusammen. Nach einem enormen Aufstieg kann jetzt von einem tiefen Fall der Protestbewegung von "rechts" ausgegangen werden. Gleichwohl ist das gemeinte politische Phänomen nicht verschwunden. Es artikuliert sich ganz im Gegenteil nur anders, nämlich in Stimmabgaben zugunsten der AfD.
Indessen verdient PEGIDA nach wie vor analytisches Interesse, gelang es der Bewegung doch auf ihrem Höhepunkt mehr als 20.000 Personen auf die Straße zu bringen. Analysen dazu versammeln sich in dem Sammelband "PEGIDA. Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und 'Wende'-Enttäuschung. Analysen im Überblick", welchen die Sozialwissenschaftler Karl-Siegbert Rehberg, Franziska Kunz und Tino Schlinzig herausgegeben haben. Dessen 28 Beiträge gehen auf ein achtsündiges Forum zurück, das die Deutsche Gesellschaft für Soziologie bereits Ende November 2015 in Dresden durchgeführt hat.
Der Sammelband gliedert sich in drei Teile, wobei der erste nur eine Situationsbeschreibung zur Lage in Dresden enthält. Der zweite Teil bringt Analysen zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen: Es geht bei "Dresden-Beobachtungen von innen" um die besondere Bedeutung der Stadt für die Entwicklung, beschworene "unorthodoxe Thesen zu PEGIDA" und deren Deutung als Vorbote eines "neudeutschen Rechtspopulismus" und bei den "Dresden-Beobachtungen von außen" um die Problematik der Zählung von Demonstrationsteilnehmern, die drei Entwicklungsphasen der Bewegung und die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Teilnehmer. "Massenmedien und Diskurse" widmet sich dem Verhältnis von Medien und PEGIDA, "Rechtspopulismus und gesellschaftliche Krisenphänomene" geht auf das Gefahrenpotential der Bewegung und seinen populistischen Charakter ein und "Bedrohte Demokratie" auf "neuen Autoritarismus" und "hausgemachten Terrorismus". Der dritte Teil bringt dann noch einige Essays.
Die Autoren des Bandes sind meist Politikwissenschaftler und Soziologen, die aus der Blickrichtung ihrer Fächer zu den jeweiligen Problemen inhaltlich Stellung nehmen. Dabei bleiben sowohl Widersprüche wie Wiederholungen nicht aus. Werner J. Patzelt meint, PEGIDA sei keine "soziale Bewegung", sondern ein "verlässlich organisiertes periodisches Demonstrationsgeschehen, das ähnlich Gesinnte, inzwischen einander vielfach auch persönlich Bekannte, zu solidarisierenden Gemeinschaftserlebnissen versammelt" (S. 71). Demgegenüber betont Piotr Kocyba, dass es sich um keine Bewegung harmloser, besorgter Bürger handele, denn PEGIDA sei vielmehr "deshalb außergewöhnlich, weil es sich um eine männerdominierende und in Teilen aggressive Protestbewegung handelt, die sich unter einem islamfeindlichen Motto regelmäßig und in einer beachtlichen Teilnehmerzahl versammelt (und sich dabei einer Befragung weitgehend verweigert)" (S. 152). Andere inhaltliche Deutungen gehen auch mit der Auswertung empirischer Daten einher.
Gerade in der Breite der Herangehensweise und dem Informationsgehalt mit unterschiedlicher Perspektive liegen die Stärken des Sammelbandes. Bei 28 Beiträgen kommt es aber auch häufig zu Wiederholungen. Insofern gilt: Weniger wäre mehr gewesen! Vielleicht hätten die Autoren bestimmte Sozialwissenschafter um eine konkretere Untersuchung bitten sollen. Aber die Konzeption von Sammelbänden folgt häufig genug ganz diffusen Gesetzen von Sachzwängen. Demnach muss man sich auch hier die sprichwörtlichen "Rosinen" herauspicken. Inhaltlich wie methodisch interessant ist etwa das Ansinnen mit der Bewegungsforschung neue Erkenntnisse über die Gründe für Aufstieg und Niedergang auch vergleichend zu ermitteln. Trotz der Fülle von Beiträge fehlen aber Texte über bestimmte Themen: Dazu gehören dezidierte Analysen zur demokratie-, extremismus- und populismustheoretischen Verortung von PEGIDA. Auch die Ableger der Bewegung in anderen Städten finden keine gesonderte Aufmerksamkeit.
Karl-Siegbert Rehberg/Franziska Kunz/Tino Schlinzing (Hrsg.), PEGIDA. Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und "Wende"-Enttäuschung? Analysen im Überblick, Bielefeld 2016 (transcript-Verlag), 377 S., ISBN 978-3-8376-3658-1, 29,99 Euro