Anhörung in Berlin

"Religiöse Überzeugungen sind für den Gesetzgebungsprozess unerheblich"

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Der Reichstag in Berlin, Sitz des Bundestages
Der Reichstag in Berlin

Der Zentralrat der Konfessionsfreien hat die "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" bei der gestrigen Anhörung in Berlin dazu aufgefordert, die Bundesregierung ausschließlich weltanschaulich neutral zu beraten. Entsprechend der kürzlich eingereichten Stellungnahme hat der Vorsitzende der einzigen NGO in Deutschland, die sich für konsequent säkulare Politik einsetzt, die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gefordert.

Neben zahlreichen religiösen Organisationen hatte die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission auch den Zentralrat der Konfessionsfreien dazu eingeladen, eine Stellungnahme zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs abzugeben. Diese Stellungnahmen konnten am gestrigen Donnerstag vor der Kommission in Berlin verteidigt und vertieft werden.

Zwei säkulare und sieben religiöse Verbände

Gemeinsam mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) war der Zentralrat der Konfessionsfreien in eine von fünf Arbeitsgruppen eingeteilt worden. Alle anderen Mitglieder in dieser Arbeitsgruppe waren religiöse, zumeist christliche Organisationen. In einem dreiminütigen Eingangsstatement konnten die Vertreterinnen und Vertreter jeder Organisation vor der gesamten Kommission darlegen, worin sie die größten Probleme der Paragrafen 218 und 219 StGB sehen und was sie sich konkret vom Gesetzgeber wünschen. Der Zentralrat wurde von seinem Vorsitzenden Philipp Möller vertreten. Für das ifw war die stellvertretende Direktorin Jessica Hamed anwesend.

"Religiöse Einschätzungen sind hier unerheblich"

"Ich habe unsere Forderung nach einer vollständigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs damit begründet, dass die Vorstellung eines vorgeburtlichen Lebensrechts auf religiöse Überzeugungen zurückgeht", berichtet Möller nach der Anhörung. Dadurch würden alle Betroffenen stigmatisiert und müssten sich per Pflichtberatung vom Staat entmündigen lassen, um einer Strafverfolgung zu entgehen. "Die Paragrafen 218 und 219 sind ein Überbleibsel der frauenfeindlichen Kirchenrepublik Deutschland", erklärte der Vorsitzende vor der Kommission, die ausschließlich aus Frauen besteht. "Außerdem habe ich meiner Verwunderung Ausdruck verliehen, dass die Kommission überhaupt religiöse Einschätzungen einholt – schließlich sind sie für den Gesetzgebungsprozess in einem weltanschaulich neutralen Staat unerheblich."

Hinter die jetzige Regelung zurückfallen?

Nachdem Jessica Hamed die Forderung des ifw nach Entkriminalisierung in juristischer Präzision begründet hatte, stellten die anderen Organisationen ihre Positionen vor. "Dass fast alle für die Beibehaltung des strafbewehrten Verbots sind, war nicht überraschend", kommentiert Möller. "Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass sie den Embryo und den Fötus für gleichberechtigt mit der Schwangeren halten." In dieser Weltanschauung sei jeder Schwangerschaftsabbruch Mord, so Möller, aber der Gesetzgeber dürfe keinesfalls verlangen, dass alle anderen auch diese Position einnehmen.

Eine "Pflicht als Angebot"

Vor allem in der Frage nach der Beratungspflicht sei die Inkonsistenz der religiösen Organisationen deutlich geworden, erklärt Möller. "Wer ständig von einer selbstbestimmten Entscheidung der Frau redet, zugleich aber die Kriminalisierung und die Beratungspflicht fordert, ist schlicht unglaubwürdig." Die Pflichtberatungen als Angebot zu bezeichnen, sei ein Widerspruch in sich.

Entkriminalisierung – und dann? 

Auch in der Frage nach der Wirksamkeit einer etwaigen Streichung der Paragrafen 218 und 219 StGB gingen die Positionen erwartungsgemäß auseinander. In diesem Zusammenhang betonte Möller in der Anhörung, dass allein die Streichung nicht zur Senkung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen führen werde, aber dennoch notwendig sei. "Die eigentliche Aufklärungsarbeit beginnt danach, aber mit Blick in die Geschichte sage ich hier wirklich ohne jede Polemik, dass wir von den Kirchen keine Aufklärungsarbeit erwarten dürfen, die zur Enttabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs beiträgt." Die jetzige Regelung spiegele den Paternalismus des Christentums wider und zeichne ein Bild von verantwortungslosen und unmündigen Frauen.

Befragte Gruppe repräsentiert nicht die Bevölkerung

Mit Blick auf die Vielfalt der vorgebrachten Positionen, fasste ein Kommissionsmitglied zusammen, sei es sehr positiv, dass die gesellschaftliche Diversität hier abgebildet sei. Hier widersprach Möller, da die meisten der  anwesenden Organisationen das strafbewehrte Verbot aufrechterhalten wollen. "In der Bevölkerung ist es andersherum, denn über achtzig Prozent der Deutschen sprechen sich für die Entkriminalisierung aus."

Die schriftliche Vorbereitung der Antworten von Philipp Möller auf die Fragen, die im Verlauf der Anhörung nicht alle gestellt wurden, liegen dem hpd vor. Die Sitzung war nicht öffentlich und ein Protokoll wurde nur für die Verwendung innerhalb der Kommission angefertigt. 

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