Aktuelle Studie

Die Bedeutung von Religion hat weltweit abgenommen

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Tempel auf der ganzen Welt sind vielfach in erster Linie eine Touristenattraktion

Vor einiger Zeit noch verkündeten viele Medien, dass das Christentum die weltweit größte Religion sei. Das sei das Ergebnis einer aktuellen Studie des Pew Research Centers. Nur wenige davon wiesen jedoch darauf hin, dass der Anteil der Christen weltweit schrumpft. Und noch weniger, dass der Anteil der Muslime steigt. Eine neue Untersuchung des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster gibt nun Aufschluss darüber, in welchem Umfang die Bedeutung von Religion weltweit tatsächlich abgenommen hat.

Die Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack und Gergely Rosta legten vor kurzem die Neuauflage einer der umfassendsten empirischen Untersuchungen religiöser Trends weltweit vor. Die jetzt vorliegende aktualisierte und erweiterte Fassung des Standardwerks "Religion in der Moderne" zeigt auf, dass die Bedeutung von Religion weltweit auch in bisherigen religiösen Hochburgen dramatisch abgenommen hat.

"Die zunehmende Säkularisierung, also der Rückgang religiöser Bindungen, betrifft nicht nur die Regionen Westeuropas, in denen diese Tendenzen seit langem beobachtet werden, sondern auch bisherige religiöse Hochburgen wie Polen und die USA sowie Südkorea und Japan. Das gilt auch für muslimisch geprägte Staaten in Nordafrika sowie die Türkei und den Iran", fasst der Religionssoziologe Prof. Detlef Pollack vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster zusammen. "Die Religionssoziologie beobachtet seit Jahrzehnten Rückgänge in der Bindung an Religion und Kirche in Westeuropa und dabei auch in Westdeutschland. Die dramatischen Abbrüche auf dem weltweiten religiösen Feld in den vergangenen Jahren, die wir im Buch aufgrund neuer Daten zeigen, sind allerdings selbst für einen Säkularisierungstheoretiker wie mich überraschend gekommen."

So ist zum Beispiel der Anteil der Konfessionsfreien in den USA, der sich im 20. Jahrhundert noch durchgehend im einstelligen Prozentbereich bewegte, auf knapp ein Drittel gestiegen. "In Polen, das sich zuvor durch eine beachtliche religiöse Stabilität auszeichnete, sind allein zwischen 2015 und 2021 die wöchentlichen Gottesdienstbesuche um zehn Prozentpunkte zurückgegangen", erläutert Pollack.

"Die dramatischen Abbrüche auf dem weltweiten religiösen Feld in den vergangenen Jahren (...) sind allerdings selbst für einen Säkularisierungstheoretiker wie mich überraschend gekommen."
Prof. Detlef Pollack

Unter den mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern sticht nach den Worten des Wissenschaftlers besonders die Säkularisierung im Iran hervor: "Einer Online-Befragung zufolge verstehen sich nicht, wie offizielle Zahlen suggerieren, mehr als 99 Prozent der Iranerinnen und Iraner als muslimisch, sondern nur etwa 40 Prozent. Etwa 22 Prozent sagen, sie würden keiner Religion angehören, und etwa 9 Prozent sind Atheisten."

Zwar sei in den vergangenen 20 Jahren die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Religion und religiös aufgeladene politische Konflikte gestiegen, der Rückgang religiöser Bindungen in vielen Regionen der Welt sei aber unübersehbar. Die Gültigkeit der Säkularisierungstheorie, nach der der Bedeutungsrückgang von Religion und Kirchen mit Prozessen der Modernisierung im Zusammenhang steht, sei entgegen erneuter Kritik von Theologen nicht zu bestreiten, so die Autoren.

Der Glaube an Gott oder an ein Jenseits für viele nicht mehr plausibel

Die Wissenschaftler erklären den Bedeutungsverlust von Religion durch Faktoren wie ein wachsendes Wohlstandsniveau, Demokratisierung, Ausbau des Sozialstaats sowie Individualisierung und kulturelle Pluralisierung. "Die Bedingungen, unter denen sich religiöse Sinnsysteme zu bewähren haben, haben sich so grundsätzlich verändert, dass der Glaube an ein Jenseits, an Gott, an die Wirksamkeit religiöser Rituale und die Heilskraft religiöser Institution für viele nicht mehr plausibel ist", so Pollack. "Basierend auf solchen religionssoziologischen Kategorien kommt der Säkularisierungstheorie eine beachtliche Erklärungskraft zur Analyse des religiösen Wandels in modernen Gesellschaften zu."

Die Gültigkeit der Säkularisierungstheorie, nach der der Bedeutungsrückgang von Religion und Kirchen mit Prozessen der Modernisierung im Zusammenhang steht, sei entgegen erneuter Kritik von Theologen nicht zu bestreiten.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Säkularisierungstheorie hatte sich zuletzt erneut entzündet: "Eine neue Datenlage und nicht zuletzt die in Teilen der deutschen Theologie umstrittenen Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) haben uns bewogen, die Argumentation des Buches in der dritten Auflage noch einmal gründlich zu revidieren", so Pollack. "Fragten wir in den ersten Auflagen noch vorsichtig nach Indizien für die Säkularisierungstheorie, so bildet sie nun einen festen Ausgangspunkt unserer Darstellung."

Kern der jüngsten Debatte sind Fragen nach dem Religionsverständnis: Manche Kritiker der Säkularisierungstheorie plädierten unter dem Label der Lived Religion dafür, das Selbstverständnis des Individuums, also das, was den Menschen persönlich wichtig ist, in den Fokus zu rücken. Dazu Pollack: "In einigen Teilen der deutschen Theologie ist basierend auf diesem unbestimmten Religionsbegriff eine Verweigerungshaltung entstanden, die empirischen Befunde anzuerkennen, die unübersehbar einen weltweiten Bedeutungsrückgang von Religion und religiösen Bindungen aufzeigen."

Das Buch zur Studie:

Detlef Pollack, Gergely Rosta: Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich ("Religion und Moderne", Band 1), dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag 2025, 656 Seiten, 49,99 Euro, ISBN 9783593518893

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