Im November vor 100 Jahren endete in Deutschland die Zeit der Staatskirchen, die insbesondere in den protestantischen Herrschaftsgebieten enge Bindung von Thron und Altar wurde aufgelöst. Die Suche nach der Rolle, die die beiden großen christlichen Kirchen in der Republik spielen sollten, gestaltete sich hingegen schwierig. Das neue Heft der MIZ wirft einen Blick auf die Umbrüche von 1918.
Im Editorial verweist Christoph Lammers darauf, dass die Folgen der Revolution, was das Verhältnis von Staat und Kirchen angeht, gar nicht so revolutionär waren. Der Kompromiss der Weimarer Reichsverfassung vollzog lediglich, auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners von Sozialdemokratie und katholischer Zentrumspartei, die gesellschaftliche Entwicklung nach. Für die Lösung zukünftiger weltanschaulicher Entwicklungen taugten die Paragraphen nicht. Und da diese Teil des Grundgesetzes sind, verwundert es nicht, dass bis heute der Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts als Instrument der Religionspolitik angepriesen wird, vor allem wenn es um die Integration "des Islams" geht. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass Probleme einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit einem Modell, das die gesellschaftlichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts abbildet, gelöst werden können.
Frauenwahlrecht und Gebärstreik
Trotzdem gab es in den ersten Wochen der Revolution einige Entscheidungen, die das, was an Trennung von Staat und Kirche weit über die Weimarer Republik hinaus in Westdeutschland Realität war, herbeiführten. Verantwortlich dafür war zu einem guten Teil der "freidenkerische Freireligiöse" Adolph Hoffmann, der für kurze Zeit als preußischer Kultusminister agierte. Horst Groschopp stellt den Sozialdemokraten einschließlich seiner Verdienste für den Lebenskundeunterricht vor.
Inwiefern die Frauen von der Novemberrevolution profitierten, beschreibt Gisela Notz. Dabei zeigt sich, dass zwar das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, Frauen im politischen Geschehen jedoch krass unterrepräsentiert waren. Von den Ideen, wie dies geändert werden könnte, sind einige heute längst Alltag, andere wie die Quote werden immer noch kontrovers diskutiert.
Eine der zentralen politischen Forderungen war die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Daniela Wakonigg leuchtet das Umfeld dieser Debatten aus, berichtet von Männerphantasien über "keimfreie Prostituierte" und das Gespenst des Gebärstreiks. Am Ende verweist sie darauf, dass die aktuelle Debatte um den § 219 ins Gedächtnis rufen sollte, dass bei diesem Thema seit 100 Jahren kein Durchbruch erzielt wurde.
Missbrauch und Misstrauen
Gerhard Rampp blickt auf die jüngste Entwicklung im Missbrauchsskandal, in dem er längst einen "Vertuschungsskandal" sieht. Anlässlich der Vorstellung des von der Bischofskonferenz beauftragten Forschungsberichtes erinnert er daran, dass die katholische Kirche in den 1980er Jahren den Codex Iuris Canonici in einer Weise veränderte, die darauf hindeutet, dass bereits damals das Führungspersonal sehr genau wusste, was Kleriker Kindern antaten und dass es nicht um "Einzelfälle" ging.
Was Eltern ihren Kindern mit einer Impfung "antun", ist Thema des Films "Eingeimpft", über den sich Jan Oude-Aost einige Gedanken macht. Er beschreibt das Misstrauen der Eltern gegen die "Schulmedizin" (was sie veranlasst, auf Impfungen zu verzichten) und das Misstrauen der Impfbefürworter gegen den Film David Sievekings. Er selbst (als klarer Impfbefürworter) hingegen schätzt den Film als im eigentlichen Sinne unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Thema ein, wodurch eine Debatte angestoßen werden könnte.
Deutschgläubig und #unteilbar
Im zweiten Teil seines Beitrags über "Gottgläubigkeit" befasst sich Wolfgang Proske mit den deutschgläubigen Tendenzen während der Zeit des Nationalsozialismus (die weit in die freireligiösen Gemeinden hineinreichten) und mit "Gottgläubigkeit" in der Zeit nach 1945 – wobei der Begriff erneut einen Bedeutungswandel vollzieht und heute als Spielart von "Freiheit in der Religion" gesehen werden kann.
Die Kontroverse über die Teilnahme humanistischer Organisationen an der #unteilbar-Demonstration stellt Gunnar Schedel dar. In einem Kommentar kritisiert er das Konzept von #unteilbar, weil hier die rassistische Rechte bekämpft werde, indem die Abgrenzung gegenüber der religiösen Rechten aufgegeben werde.
Daneben gibt es noch die Rubriken Internationale Rundschau, Blätterwald, Zündfunke und die Glosse Neulich ...
Da die Webseite der MIZ derzeit von Grund auf neu gestaltet wird, finden Sie mehr zum aktuellen Heft auf der Webseite des Alibri Verlags.