BERLIN. (hpd) Fast ein Monat ist vergangen seit den (neutral formuliert) "Ereignissen" von Köln. Mehr oder weniger länger her sind die Terrorakte in Ankara, Beirut, Paris und an anderen Orten. Aus der humanistischen Szene hat man dazu bislang so gut wie keine Analysen und Bewertungen vernehmen können, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienten.
Ist das Thema zu komplex, zu schwierig oder liegt es vielleicht auch daran, dass die sich als humanistisch bezeichnende Szene politisch gespalten ist? Linke, Linksliberale, Liberale auf der einen, "Pegida-Versteher" und Muslimfeinde auf der anderen Seite? Das politische Spektrum innerhalb der humanistischen Szene ist groß. Immer deutlicher wird, dass eine Klärung notwendig ist: Was ist überhaupt humanistisch (in Deutschland) und was bedeutet das angesichts der gegenwärtigen politischen Krise?
Ein Klärungsprozess muss stattfinden: Schon allein der eigenen Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit wegen. Der bereits vor einigen Wochen im hpd zitierte Philosoph Carlo Strenger hat in einer aktuellen Kolumne in der NZZ formuliert, dass es an der Zeit sei "dass gemässigte, rationale und menschliche Positionen mit genug Kampfkraft verteidigt und vertreten werden, um den Populisten nicht das Diktat der Themen und des Tones der politischen Diskussion zu überlassen."
Als "größte Gefahr" bezeichnet er, dass "die populistische Rechte aus dem Terror politisches Kapital zu schlagen versucht". Der Terror werde weitergehen. Er sei nicht völlig zu beseitigen und die freien Gesellschaften müssten lernen, damit umzugehen, ohne ihre Freiheit aufzugeben, so Strenger: "Dies heißt auch, dass wir fähig sein müssen, nicht nur religiösen Extremismus wie er von IS und Al-Kaida vertreten wird, sondern auch die populistischen Tendenzen der Rechten, welche Krisen wie das Flüchtlingsproblem und den Terror auszuschlachten versuchen, hart zu kritisieren."
Diese Forderung muss auch für die humanistische Szene gelten. Es muss deutlich werden, dass kein Platz für menschenverachtende oder gar rassistische Vorurteile innerhalb einer Bewegung sein kann, die sich auf die Werte des Humanismus beruft.
17 Kommentare
Kommentare
angelika richter am Permanenter Link
"Ist das Thema zu komplex, zu schwierig oder liegt es vielleicht auch daran, dass die sich als humanistisch bezeichnende Szene politisch gespalten ist?"
Aus einem humanistischen Menschenbild heraus können gut begründet sehr verschiedene politische Positionen und Entscheidungen abgeleitet werden, das ist einfach Teil gelebter Meinungsfreiheit.
Michael Brade am Permanenter Link
"Wenn die Aufklärer und Humanisten stärkere Bilder gehabt hätten,
wären die Nazis nicht an die Macht gekommen."
Ernst Bloch in "Erbschaft dieser Zeit"
Die Anspielung auf Riefenstahls Filmästhetik, Brekers Skulpturen und Speers Architektur(inszenierung) ist eine gewagte und, ohne Frage, zugespitzte These. Aber es ist schlicht "was dran".
Uns Humanist*innen und Aufklärer*innen stehen nie dagewesene Mittel zur Verfügung, unsere Weltanschauung zu verteilen: Onlinedruckereien liefern Flyer auf Wunsch übernacht, facebook und youtube sind mit wenigen Fingerbewegungen von überall aus zu bedienen. Wir können aus einer unüberschaubaren Fülle von Bildern, Texten und Videos schöpfen.
Tun wir das - verantwortlich und fair! (Statt uns zu entzweien.)
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ich frage mich, ob wir uns den Herausforderungen, denen wir jetzt schon und zukünftig erst recht ausgesetzt sind, überhaupt noch stellen wollen, stellen können.
Die Repräsentanten der christlichen Kirchen (und weite Teile der ihnen ergebenen Politiker) wehren jede essentielle Kritik am Islam ab. Ahnen sie doch, dass eine substantielle Auseinandersetzung mit dieser Religion letztlich auch ihre Glaubenslehre treffen würde. In beiden Fällen geht es um eine Lehre, die ihre Wurzeln in einer Hirtenkultur hat und aus einer Zeit stammt, als man der Gottheit noch Tier- und Menschenopfer darbrachte, die Welt von Dämonen beherrscht sah und die Hölle als einen ewig brennenden Bestimmungsort für Ungläubige erfand. Die Kirchen sehen vielmehr in einer weiteren betont gelebten Glaubenslehre eine willkommene Aufwertung der Religion in unserer Gesellschaft, darüber hinaus eine Stärkung der Front gegen die verachteten, zumindest unerwünschten Säkularen und Humanisten.
Der zweite Feind, der unsere Abwehrkräfte erlahmen lässt, ist die Saturiertheit einer Gesellschaft, die ihre Freiheiten und Rechte wie selbstverständlich in Anspruch nimmt, aber nicht mehr ernsthaft bereit ist, sich für ihre Bewahrung einzusetzen. Kritik am Islam im Sinne einer philosophischen und sachlichen Auseinandersetzung, wie sie über Jahrzehnte und bis heute am Christentum selbstverständlich ist, wird vielfach böswillig als Fremdenfeindlichkeit gebrandmarkt und einer politisch »rechten« und rechtsextremen Ecke zugeordnet. Die Diskussion aktueller und tatsächlicher Probleme mit Zugewanderten wird oft genug scheinheilig als »durchsichtige Instrumentalisierung« abgewiesen. (Man registriere nur mal, wie überwiegend ablehnend gut begründete Thesen z.B. von Hamed Abdel-Samad oder Necla Kelek in den Medien behandelt werden.) Muss man sich dann wundern, wenn immer mehr Menschen aus der politischen Mitte Parolen folgen, die aus dem weit rechtsorientierten Spektrum ertönen. Hinzu kommt das, was man als »politisch korrektes« Verhalten bezeichnet, eine Einstellung, die nur Meinungen für zulässig erachtet, die den offiziell verlautbarten Auffassungen zur Zuwanderung und Integration dienlich erscheinen, und alle Äußerungen zu beobachtbaren Problemen mit einer zugewanderten, politisch-gesellschaftlich agierenden Religion ignoriert, zumindest bagatellisiert.
Aber es gibt weitere verdeckte Komplizenschaften mit einer Ideologie, die so mancher politischen oder politisch agierenden Gruppierung in die eigene Strategie passt. Die Kirchen habe ich schon erwähnt, die den Islam eher als Bündnispartner denn als religiöse Konkurrenz betrachten. Sozialisten und Kommunisten sehen in den hier sozial und ökonomisch scheiternden Muslimen das ihnen inzwischen abhanden gekommene Proletariat, das ihnen dereinst wieder zur Macht verhalfen könnte. Unsere grünen Sozialromantiker sehnen sich immer noch nach der bunten multikulturellen, sich selbst formierenden Gesellschaft, ohne den damit einhergehenden Verlust an Aufklärung und Rationalität sehen zu wollen. Und wer weiß, wie viele Männer eigentlich nichts dagegen haben, der Frau wieder eine untergeordnete, dienende Rolle zuzuweisen.
Humanisten, eigentlich darin geübt, sich für Aufklärung, Menschenrechte und Demokratie einzusetzen, fürchten den Vorwurf der Inhumanität und Fremdenfeindlichkeit und schweigen in ihrer Mehrheit daher lieber zu den Problemen mit Menschen aus einer religiös dominierten und patriarchalisch geprägten Kultur. Diese Gemengelage aus Vorsicht, verdeckten Motiven, der unreflektierten, weil selbstverständlichen Inanspruchnahme von Freiheiten bis hin zur Gleichgültigkeit gegenüber den mühsam erkämpften Rechten in einer liberalen und demokratisch organisierten Gesellschaft wird wohl dazu führen, was Michel Houellebecq in seinem Roman »Unterwerfung« resignierend beschreibt.
Die Gesellschaften Europas haben möglicherweise den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht oder schon überschritten. Der Widerstand aus der politischen Mitte gegenüber einer aggressiven politisch-religiösen Ideologie ist jedenfalls von bemerkenswerter Kraftlosigkeit. Mir fällt dazu oft der Titel eines geschichtsphilosophischen Buches von Oswald Spengler ein, der seinerzeit schon menetekelhaft in die Zukunft wies.
pikweller am Permanenter Link
Ich finde ihre Analyse richtig.
Berlina am Permanenter Link
Worauf wartet der Kommentator? Über die Verachtung der im Raum stehenden Vorwürfe gibt es kein Dissens, daher auch keine Notwendigkeit in der allgemeinen Sache.
David am Permanenter Link
"Was ist überhaupt humanistisch (in Deutschland) und was bedeutet das angesichts der gegenwärtigen politischen Krise?"
Einfach: Mehr wirklichkeitsnahe Ehrlichkeit und weniger Ideologie.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
David, schön auf den Punkt gebracht!
malte am Permanenter Link
Und wie stellst du dir ein solches "Weniger an Ideologie" vor? Eines der Hauptprobleme der "Humanisten" ist vielmehr deren Illusion, "ideologiefrei" zu sein.
Siegbert am Permanenter Link
@malte
'Bereits beim "Humanismus" handelt es sich um eine Ideologie - bzw. er wäre eine Ideologie, wenn er denn konkret genug definiert würde.'
Was verstehen Sie denn unter dem Begriff "Ideologie"? Wodurch zeichnet sich eine Ideologie in Ihren Augen aus, was ist/sind ihre Kennzeichen? Dass ihr Inhalt konkret definiert ist?
Die Erklärung der Menschenrechte 1948 vor der UNO sind recht konkret, und ich verstehe sie als wesentlichen Teil der Idee des evolutionären Humanismus. Siehe auch "Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur" von Michael Schmidt-Salomon, oder auf wikipedia.
malte am Permanenter Link
Unter "Ideologie" verstehe ich ein bestimmtes Wertesystem. Sie haben völlig recht: Die Erklärung der Menschenrechte ist sehr konkret und stellt eine gute Grundlage für den Humanismus dar.
David am Permanenter Link
"Und wie stellst du dir ein solches "Weniger an Ideologie" vor? "
Nun, ich wūrde meinen, ich hätte dies oben verdeutlicht: mehr wirklichkeitsnahe Ehrlichkeit.
Und wenn es zutrifft wie du schreibst, dass eine Grossteil der Humanisten sich tatsächlich fūr ideologiefrei hält, dann trifft dieser Ratschlag umso mehr zu.
Dass Humanismus auch eine gehörige Portion Ideologie enthält, halte ich fūr offensichtlich. Aber diese muss und sollte nicht dogmatisch sein auf Kosten der intellektuellen Ehrlichkeit.
malte am Permanenter Link
Und was bedeutet "wirklichkeitsnahe Ehrlichkeit" jetzt konkret, vor allem im Hinblick auf das Thema des Artikels?
David am Permanenter Link
Ist die Frage ernst gemeint?
ZB nicht zu behaupten, Grenzsicherungen wūrden nichts bewirken. Zb nicht zu behaupten, die eine Million größtenteils ungebildeter Menschen ohne Kenntnisse der Landessprache wären in einer modernen Gesellschaft kein finanzielles Negativgeschäft. ZB nicht zu verschweigen, dass wir in riesen Schritten auf französische Verhältnisse zumarschieren. Zb nicht wie kūrzlich in Hamburg eine Grūnen Politikerin fröhlich der Welt zu verkūnden, auch 2016 könne D locker noch eine weitere Million verkraften. Zb nicht so zu tun als ob abgelehnte "Flūchtlinge", einmal hier, einfach wieder zurūckgefūhrt werden könnten. ZB nicht so zu tun als ob die Weltsicht eines nicht unerheblichen Teils von Menschen aus bestimmten Kulturkreisen kein Problem fūr das Zusammenleben darstellte. Zb nicht so zu tun als ob die Zuwanderung aus archaisch geprägten Kulturkreisen keinen Einfluss auf die Kriminalstatistik hätte. Zb nicht so zu tun, als ob man "Flūchtlingen" nicht auch anders helfen könnte als mit "Willkommenskultur". Mehr?
malte am Permanenter Link
Ja, in etwa so eine Antwort habe ich erwartet. Nur spricht daraus eben keinesfalls "wirklichkeitsnahe Ehrlichkeit", sondern jede Menge Ideologie.
David am Permanenter Link
aha, und wie finden wir heraus, wer Mundgeruch hat? Durch fröhliches Behaupten des Gegenteils oder vielleicht doch eher mit Erfahrungswerten?
Sascha Zirnstein am Permanenter Link
Verschiedene Dinge bereiten mir Bauchschmerzen:
Die Positionierung zu Randthemen wie "Pegida", AfD, kriminellen Handlungen einiger Flüchtlinge etc. wie auch das stete und fast schon gebetsartige Lamentieren über "Meinungsfreiheitsentzug" entschärft die Fokussierung auf die grundsätzlichen Themen: Wie schaffen wir es gemeinsam, menschlich zu handeln, ohne gewonnene Werte zu gefährden? Wie ist humanitäres Handeln möglich, auch wenn wir große Teile der Kulturen der Menschen, die Hilfe brauchen, missbilligen und für unsere Gesellschaft als gefährlich betrachten? Wo beginnt der Moment der Aufklärung, der "Integration"?
Dem kann nur eine Versachlichung und eine realitätsnahe Diskussion dienlich sein. Begleiterscheinungen, Momente, Erfahrungen, Situationen und Ereignisse müssen berücksichtigt werden, dürfen jedoch nicht zu plumpen Verallgemeinerungen führen.
Besinnt man sich der direkten und indirekten Erfahrungen, kommt man schwerlich umhin zu erkennen, dass sich die sogenannte Flüchtlingskrise eher als eine a) Verwaltungskrise entpuppt (es sein mal dahingestellt, ob diese gewollt oder ungewollt ist) und b) zu einem europapolitisches "Machtspielzeug" geworden ist. Zumindest macht es mich ohnmächtig zu erkennen, dass die notwendige und unbedingte Hilfe für Menschen zum Spielball politischer Grabenkämpfe wird.
In den Monaten als Flüchtlingshelfer habe ich erkannt, dass so viele Themen angegangen werden müssen. Frauenrechte, Gewaltfreiheit, Erziehung, religiöse und kulturelle Freiheiten, Menschenrechte, Menschenwürde, Fairness, Sprachdefizite, ungleiche Behandlung verschiedener Ethnien etc.pp.) Dies alles wird unter den Tisch gekehrt zugunsten einer Scheindebatte, wie "gefährlich" ein weiterer "Zustrom" von "Flüchtlingen" sei, dass man nicht "Nazi" betitelt werden sollte, wenn man sich mit Menschen zusammentut, die offensichtliche Nazis sind, welcher Eigennutz denn nun entstünde, wenn wir weitere Flüchtlinge aufnähmen usw. usf.
Es wäre schön, einen Weg zu wissen, in denen wir uns sachlich über die Kernthemen als Humanisten verständigen könnten - ohne die üblichen "gesellschaftstypischen" Ressentiments.
Eine Sonderauflage einer Kritischen Islamkonferenz wäre beispielsweise ein toller Anfang.
Manni am Permanenter Link
"Ein Klärungsprozess muss stattfinden" -
huii! Jetzt wird aber ordentlich aufgeräumt!
Äh, und wie gehts nun weiter? Wird demnächst zum großen Humanistenkonzil geladen?