Mehr Kinder, mehr Religion?

Studie: Gefährdet die höhere Geburtenrate gläubiger Menschen die Säkularisierung?

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In einer zweifelhaften Studie behaupten vier Wissenschaftler aus den USA, Malaysia, Finnland und Dänemark, dass die Säkularisierung absehbar abnehmen werde. Den vermeintlichen Rückzug der Areligiosität erklären sie mit der höheren Geburtenrate gläubiger Menschen. Das Vorgehen der Wissenschaftler wird schon kurz nach Veröffentlichung der Studie kritisiert.

Der Aufmacher der aktuellen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift "Evolutionary Psychological Science" sieht die Zukunft der Säkularisierung skeptisch. Die allgemeine Annahme eines Trends hin zur Säkularisierung würde konterkariert von "genetischen und reproduktiven Einflüssen", heißt es in dem Abstract der Studie "The Future of Secularism: a Biologically Informed Theory Supplemented with Cross-Cultural Evidence", die in der Quartalspublikation des renommierten Wissenschaftsverlags Springer Nature erschienen ist.

Diese Annahme basiert auf einer Befragung von 4.569 Studierenden in den USA und in Malaysia zu Religiosität und Reproduktivität. Die Ergebnisse würden zeigen, dass die durchschnittliche Fruchtbarkeit der im Nachhinein nach religiösen Gruppen sortierten Befragten erheblich variierte. So würden muslimische Familien in Malaysia durchschnittlich 5,89 Kinder und in den USA 4,29 bekommen, während atheistische Familien in dem südostasiatischen Staat, in dem der Islam Staatsreligion ist, durchschnittlich 3,67 Kinder bekommen und in den USA 3,04. Ursächlich für die unterschiedlichen Reproduktionsraten sei das Engagement religiöser Gruppen gegen Verhütungsmittel und Familienplanung.

Dagegen spricht, dass in den USA, wo die Gegner von reproduktiven Gesundheitsmaßnahmen und aktiver Familienplanung besonders laut sind, die Fertilitätsraten von christlichen und atheistischen Studenten gar nicht so stark voneinander abweichen. Katholiken in universitärer Ausbildung bekommen durchschnittlich 3,42 Kinder, protestantische Studierende 3,11 und Studierende ohne religiöse Bindung 3,04.

Ohnehin kann die Studie kaum als repräsentativ angesehen werden. Die Gruppe der Befragten ist zu klein, die Beschränkung auf Studenten grenzt den Befragtenkreis auf eine Bildungselite ein. Darüber hinaus gibt es zahlreiche methodische Zweifel am Vorgehen der Autoren.

Zum einen erscheint die Annahme, dass die Anzahl der Kinder auf die religiöse Selbstverortung zurückzuführen ist, mehr als naiv. Fragen von Familiengründung und -bildung sind immer auch mit kulturellen, traditionellen und gesellschaftlichen Aspekten verbunden sind. Nicht die religiöse Selbstverortung, sondern die eigene soziale Lage sei ausschlaggebend für Religiosität und Geburtenrate, heißt es in einem kritischen Beitrag zur Studie bei Skeptical Science. "Wenn man auf den Planeten blickt, kann man deutlich sehen, dass Reichtum sowohl zur Abnahme von Religiosität als auch Fruchtbarkeit führt." Armut beziehungsweise das individuelle Einkommen sind bei der Einordung von Geburtenraten entscheidender als Religiosität.

Zum anderen scheint das Autorenkollektiv der Studie davon auszugehen, dass Religiosität vererbbar ist. Dies ist eine überaus kontroverse Debatte, bei der inzwischen die Unterscheidung zwischen Spiritualität und Religiosität gemacht wird. Vereinzelt wird immer wieder die These einer genetischen Prädisposition sowohl für Spiritualität als auch für Religiosität vertreten. Trotz ehrgeiziger Suche ist ein Gottes-Gen bislang aber nicht gefunden worden.

Sicher hat die Religiosität der Eltern einen wichtigen Einfluss auf die behavioristische Entwicklung von Kindern in Bezug auf Glaube und Religion, in welcher Art aber, ist nicht eindeutig zu klären. Gesellschaftliche Debatten, Rechtsnormen und der Einfluss von Freunden spielen für die individuelle Emanzipation von Elternpositionen eine wichtige Rolle. Es gibt daher keinen Anlass, grundsätzlich davon auszugehen, dass die Kinder gläubiger Menschen ebenfalls gläubig werden. Der bisherige Trend der Säkularisierung ist der beste Beweis dafür. Die weltweite Zunahme der Konfessionsfreien basiert auf der individuellen Emanzipation von familiären Traditionen zu Glauben und Religion.

Die Autoren der Studie gehen all diesen Aspekten nicht auf den Grund und stellen in Analogie zu ihrer simplen Verbindung von Fertilität und Religiosität eine "Anti-Säkularisierungshypothese" auf. Sie gehen davon aus, "dass die umgekehrte Assoziation zwischen Intelligenz und Religiosität und die umgekehrte Korrelation zwischen Intelligenz und Fruchtbarkeit zu Vorhersagen eines Abfalls des Säkularismus in absehbarer Zukunft führen."

Dabei spricht vieles dafür, dass Entwicklung und Bildung einen entscheidenden Einfluss auf Religiosität und Fertilität haben. Statistiken legen nahe, dass mit wachsendem Wohlstand und zunehmendem Wissen der Grad der menschlichen Fruchtbarkeit abnimmt. Diese Annahme ist inzwischen common sense. "Gleichberechtigung, Bildung, wirtschaftliche Unabhängigkeit – moderne Frauen wollen weniger Kinder", schrieb deshalb die Wochenzeitung Die Zeit in einem Beitrag zur schrumpfenden Weltbevölkerung.

Seriöse Wissenschaft muss diese Bewertungen nicht teilen. Sie sollte ihnen, wenn sie sie in Zweifel zieht, aber zumindest auf den Grund gehen.