Rezension

Theorien Sozialer Bewegungen

Die Soziologen Heiko Beyer und Annette Schnabel präsentieren in "Theorien Sozialer Bewegungen. Eine Einführung" eine Darstellung und Einschätzung zu den sozialwissenschaftlichen Bemühungen, die Entwicklung inhaltlich ganz unterschiedlicher Bewegungen zu analysieren. Die Autoren erweisen sich als gute Kenner der entsprechenden Theorien und den Kontroversen um diese, konzentrieren sich aber allzu stark auf die US-amerikanische Forschung, während die deutsche Situation nur am Rande thematisiert wird.

Die Arbeiterbewegung, die Friedensbewegung, die Ökologiebewegung und die globalisierungskritische Bewegung stehen auch in der deutschen Geschichte für etwas, das in der sozialwissenschaftlichen Forschung als "soziale Bewegungen" bezeichnet wird. "Sozial" ist dabei formal bezogen auf die gesellschaftliche Ebene, nicht notwendigerweise inhaltlich auf eine Prägung oder Zielsetzung bezogen. Insofern kann es auch soziale Bewegungen mit unsozialen Inhalten geben.

Die Pegida-Bewegung erfüllt auch die formalen Merkmale einer "sozialen Bewegung". Demgegenüber standen und stehen beispielsweise Bürgerrechtsbewegungen, die für die Anerkennung von Minderheiten eintraten und eintreten. Wie lassen sich nun diese inhaltlich ganz unterschiedlichen Phänomene analysieren?

In den Sozialwissenschaften entstand dazu eine Bewegungsforschung, die wiederum eine Fülle von Theorien zu unterschiedlichen Problemstellungen entwickelt hat. Die Soziologen Heiko Beyer und Anette Schnabel präsentieren dazu einen Überblick.

Ihr Buch "Theorien Sozialer Bewegungen. Eine Einführung" geht dabei von folgender Definition aus: "Soziale Bewegungen umfassen Phänomene sozialen Handelns, bei denen sich AkteurInnen aufgrund der Unterstellung gemeinsamer Ziele zumindest diffus organisieren und für eine längere Zeit zu einem Kollektiv zusammenschließen, um mit institutionalisierter Entscheidungsgewalt ausgestattete individuelle oder kollektive AkteurInnen im Modus des Konflikts zu beeinflussen" (S. 16). Nach dieser Klärung folgen die Autoren ihrem Konzept, dem es darum geht, "einen theoretischen Werkzeugkasten zusammenzustellen" (S. 12).

Die Geburt der Bewegungsforschung machen sie im Marxismus fest: Die Frage der handelnden Akteure dazu, wie man Massen in Richtung einer Revolution bewegen könne, habe die ersten diesbezüglichen systematischen Fragestellungen geliefert – wenn auch mehr aus politischen und weniger aus wissenschaftlichen Motiven heraus. Hier hätten sich erste Anknüpfungspunkte für die spätere Bewegungsforschung ergeben.

Danach behandeln Beyer und Schnabel die Entwicklung der gemeinten Theorien, die bezüglich ihrer Aussagen vorgestellt, aber auch hinsichtlich der Kritik daran behandelt werden. Es geht klassisch los mit den ersten Analysen zur Massenpsychologie, den Fragen nach dem Kollektivverhalten und der Untersuchung von Deprivationsfaktoren. Dem folgen Darstellungen zu Deutungsansätzen über die Mobilisierung von Akteuren einer Bewegung und der Relevanz von deren Rationalität bei den Handlungsmotiven. Der Einfluss politischer Strukturen und Prozesse auf Soziale Bewegungen steht danach im Mittelpunkt der Theoriepräsentation. Hier findet man auch Erläuterungen in Form von konkreten Fallbeispielen. Die Ansätze der Collective Identity und des Framing stehen danach im Zentrum. Auch hier präsentieren die Autoren Ergebnisse von empirischen Studien, um das Ausgeführte besser zu verdeutlichen. Und schließlich wird ein Ausblick auf jüngere Entwicklungen in der Forschung wie zur Bedeutung der Digitalisierung vorgenommen.

Beyer und Schnabel erweisen sich als gute Kenner der Forschungs- und Theoriegeschichte. Durch ihre ausgreifende Darstellung auf engem Raum ist ihren eine sowohl für Einsteiger wie Kenner nützliche Überblicksdarstellung gelungen. Auch die Benennung von Kritik an den jeweiligen Theorien und eine Abklärung des Spannungsverhältnisses bei den Ansätzen sprechen für diese Einführung. Gleichwohl bewegt sie sich entsprechend des Themas auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau. Die jeweiligen Fallbeispiele machen das Gemeinte mal mehr, mal weniger deutlich.

Ein wenig erstaunt, warum die Autoren sich so stark auf Forschungen aus dem englischsprachigen Raum konzentrieren. Dies mag in der Gesamtschau nachvollziehbar sein. Gleichwohl kommt demgegenüber die Debatte in den deutschen Sozialwissenschaften kaum vor. Und schließlich fällt auf, dass Beyer und Schnabel zwar auch islamistische oder rechtsextremistische Bewegungsformationen benennen, Forschungen dazu aber nur ganz am Rande mit einem kurzen Blick auf Pegida (vgl. 196f.) thematisieren.

Heiko Beyer/Annette Schnabel, Theorien Soziale Bewegungen. Eine Einführung, Frankfurt/M. 2017 (Campus-Verlag), 226 S., 19,95 Euro