Rezension

Klassentheorie aus den USA: Eric Olin Wright

Der amerikanische Soziologie Eric Olin Wright warb sein ganzes wissenschaftliches Leben dafür, die für gesellschaftliche Analysen bestehende Klassentheorie nicht aufzugeben. In Ablehnung des dogmatischen Marxismus legte er dazu einige Überlegungen vor, welche jetzt auch in deutscher Sprache zugänglich sind.

Es gibt viele interessante Linksintellektuelle in den USA, die in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen werden. Dazu gehört auch der Soziologe Erik Olin Wright. Ihm ging es in seinem ganzen wissenschaftlichen Leben darum, das gesellschaftliche Klassenparadigma nicht aufzugeben. Dabei definierte er sich zwar als erklärten Marxisten, aber nicht in einem dogmatischen Sinne. Gerade eine differenzierte Deutung, die etwa Elemente von Max Weber aufnahm, zeichnete Wright aus. Er starb 2019 an einer Krebserkrankung und war zuvor Professor für Soziologie an der Universität von Wisconsin. Die wissenschaftliche Akzeptanz für Wright offenbarte sich auch darin, dass er der American Sociological Association zeitweise als Präsident vorstand. Für einen Forscher mit dem genannten methodischen und politischen Hintergrund ist dies für die USA mehr als nur ungewöhnlich. Umso erstaunlicher erscheint das Desinteresse an ihm in Deutschland, wohlmöglich ist es auch durch die hiesige Fixierung auf einen dogmatischen Marxismus erklärbar, wozu aufgrund seines "pragmatischen Realismus" eben Wright gerade nicht neigte.

Cover

Seine Auffassungen zum allgemeinen Klassenverständnis wie dem in den USA kann man jetzt mit publizistischer Zuspitzung lesen. Dazu erschien der Band "Warum Klasse zählt", worin sich drei Texte nicht nur von Wright finden. Zunächst soll auf den letzten Beitrag hingewiesen werden, der vielleicht als erster zur Lektüre empfohlen sei. Oliver Nachtwey stellt darin als deutscher Soziologe Erik Olin Wright vor. Es gibt dort einige Angaben zu seiner Biographie und politischen wie wissenschaftlichen Sozialisation. Nachtwey spricht von einem demokratischen Sozialisten, ohne dies aber mit Einordnungen und Erläuterungen näher zu begründen. Er beschreibt demgegenüber die Entwicklung der Klassentheorie von Wright, wobei dieser sich Innovationen und Revisionen gegenüber nicht abgeneigt zeigte. Im Ergebnis führte dies aber auch zu der Haltung, dass er für den Kapitalismus eine Transformation als wenig aussichtsreich ansah. In einem davor abgedruckten Interview mit Jacobin, dem sozialistischen Magazin, spricht er gar von einer eigentümlich wirkenden "Anarchismus und Sozialdemokratie"-Verbindung.

Aber auch dort bleibt die politische Dimension seiner ökonomiefixierten Positionen eher blass, von einem arbeits- und produktionszentrierten Ansatz hatte auch Nachtwey gesprochen. Deutlich werden dabei gleichwohl die Differenzen zu konventionellen marxistischen Positionen, etwa wenn sich die Einwände auf die Empirie und nicht den Obskurantismus, auf die Klassengesellschaft und nicht auf die Märkte stützen. Ausgeprägte Kapitalkonzentration wie demokratische Kontrolle könne ebenso mit Märkten möglich sein, was dogmatische Marxisten dann aber verständlicherweise gegenüber Wright anders sehen würden. Der Band "Warum Klasse zählt" beginnt jedoch mit dem "Klasse verstehen"-Text von 2009, worin sich unterschiedliche Deutungen der Klassenanalyse finden. Auch hier wird eine dogmatische Interpretation vermieden, etwa wenn zunächst eine Differenzierung von "Klasse als individuelle Attribute", "Klasse als Chancenhortung" und "Klasse als Ausbeutung und Herrschaft" vorgenommen wird. Danach werden die drei Cluster der Klassenmechanismen zu einem eigenen Theoriekonzept von Wright integriert.

Der Autor will dies dem folgend anhand der sozialen Gegebenheiten in den USA nachzeichnen, wobei er verschiedene Gruppen ausmacht, um eben die gemeinte Klassenstruktur zu verdeutlichen. Hierbei wird erneut die einseitige Ökonomiefixierung deutlich, sie prägte konstitutiv und primär das Denken von Wright. Dies erklärt mit Einseitigkeiten und Schiefen der soziologischen Wirklichkeitswahrnehmung. Denn der Automatismus, der mit der berühmten "Das Sein bestimmt das Bewusstsein"-Denkweise nicht nur mit Marx verbunden war, entspricht eben nicht der gesellschaftspolitischen Realität. Gerade durch die Ausblendung derartiger Gegebenheiten entsteht eine Lücke im sozialen Verständnis von Wright. Ein derartiger Einwand mindert aber nicht das begründete Interesse an seinen Klassenanalysen, nennt er doch gute Gründe für die fortgesetzte Präsenz damit einhergehender gesellschaftlicher Strukturen. Insbesondere diese Blickrichtung lässt einen innovativen Denker erkennen, der im angelsächsischen Bereich als moderner Klassiker gilt, im deutschsprachigen Kontext aber erst noch als ein Solcher zu entdecken ist.

Erik Olin Wright, Warum Klasse zählt. Mit einem Nachwort von Oliver Nachtwey, Berlin 2023, Suhrkamp-Verlag, 111 Seiten, 16 Euro

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