In deutschen Medienberichten ist aktuell häufig zu lesen, der iranische Sicherheitsrat habe ein neues Kopftuchgesetz gestoppt. Die Berichterstattung wird oftmals von Bildern junger Frauen begleitet, die ohne Kopftuch auf den Straßen Teherans unterwegs sind, scheinbar ein Zeichen gesellschaftlicher Liberalisierung. Doch dieser Eindruck trügt.
In vielen dieser Berichte bleibt unbeachtet, welche tiefgreifende politische Bedeutung der Kampf gegen das Kopftuch im heutigen Iran tatsächlich hat. Für Millionen iranischer Frauen ist es längst mehr als ein Stück Stoff. Es nicht zu tragen, ist ein Symbol des Widerstands. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022, die von der Sittenpolizei wegen eines nicht korrekt getragenen Kopftuchs verhaftet wurde, hat sich der Zwangsverschleierungsdiskurs in einen offenen Kampf des zivilen Ungehorsams verwandelt. Tatsächlich ist die geschlechtsspezifische Apartheidpolitik der Islamischen Republik ins Wanken geraten.
Die vorläufig zurückgestellte Verschärfung des Kopftuchgesetzes zielte lediglich darauf ab, den Zorn der iranischen Gesellschaft einzudämmen. Angesichts anhaltender Streiks und wachsender Kriegsgefahr fürchtet das Regime neue Massenproteste.
Leben unter ständiger Bedrohung
Tatsächlich berichten zahlreiche Quellen, dass viele Frauen, die ohne Kopftuch auf die Straße gehen, stets ein Tuch bei sich tragen, aus Vorsicht, um im Fall einer Kontrolle durch Polizei oder Zivilbeamte schnell reagieren zu können. Immer wieder kommt es vor, dass Passanten eingreifen, wenn Frauen kontrolliert oder verhaftet werden sollen.
Die Frauen, die sich entschieden haben, auf das Kopftuch zu verzichten, leben mit der ständigen Gefahr, verhaftet zu werden. Auch ihre Familien sind dieser Angst ausgesetzt. Viele Eltern unterstützen dennoch bewusst die Entscheidung ihrer Töchter, für persönliche Freiheit und Selbstbestimmung ein Risiko einzugehen.
Es ist bekannt, dass verhaftete Frauen in Gefängnissen oft Misshandlungen bis hin zu sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. In diesem repressiven Kontext ist das Ablegen des Kopftuchs, die Selbstentschleierung, mehr als ein individueller Akt. Es ist ein Zeichen des zivilen Widerstands gegen eine totalitäre Diktatur, die die Kontrolle über den weiblichen Körper zur Grundlage ihrer Herrschaft gemacht hat.
Bildung und Studium gelten in den letzten vier Jahrzehnten als zentrale Mittel im Kampf um Emanzipation und viele iranische Frauen haben diesen Kampf an Universitäten längst für sich entschieden. Dennoch verzeichnet Iran eine steigende Suizidrate unter gebildeten Frauen. Dies hängt mit der wachsenden Kluft zwischen gestiegenen Erwartungen und den realen gesellschaftlichen Möglichkeiten zusammen.
Bildung stärkt das Bewusstsein für individuelle Rechte und fördert den Wunsch nach Selbstbestimmung, stößt jedoch in Iran schnell an die engen Grenzen islamisch geprägter, diskriminierender Gesetze. Eine stärkere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt könnte die Suizidrate senken. Die aktuelle Situation hingegen führt bei vielen hochqualifizierten Frauen zu Perspektivlosigkeit, Depressionen und in zunehmenden Fällen zum Suizid.
Eine Demokratisierung des Iran ist mit den islamischen Gesetzen des Regimes grundsätzlich unvereinbar.