Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Urteilt in Europa bald der Gründer einer konservativ-katholischen Organisation über Menschenrechte?

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht die Neubesetzung des polnischen Richterpostens an. Polen hat hierfür den Gründer eines konservativ-katholischen Juristenbundes nominiert. Sollte die EU ihn in diesem Amt bestätigen, könnte das ungeahnte Auswirkungen auf künftige Urteile des Gerichts im Bereich der Religionsfreiheit und der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung haben.  

Wer einen Staat im Sinne der eigenen Ideologie verändern will, der muss nicht nur die politische Macht haben, sondern auch die Judikative unter seine Kontrolle bringen. Der einfachste Weg dies zu tun, ist Richterposten mit Personen zu besetzen, die von der genannten Ideologie überzeugt sind. Die ultrakonservativen Kräfte in Polen haben dies bereits vor längerer Zeit begriffen und einen entsprechenden Umbau der Justiz vorgenommen, der Polen vielfache Kritik aus dem Ausland sowie ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission einbrachte.

Die ultrakonservative Unterwanderung der Justiz möchte Polen nun auch auf europäischer Ebene vorantreiben. Unter den drei von Polen für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als Richter vorgeschlagenen Kandidaten befindet sich einer, dessen Nominierung außerhalb der konservativen Kreise Polens geradezu für Entsetzen gesorgt hat: Aleksander Stępkowski.

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Von Polen nominiert als Richter für den EGMRA: Aleksander Stępkowski. © Mika 58 / Wikipedia CC BY-SA 4.0

Der Jurist Stępkowski hat eine steile Karriere hinter sich. Rechtsprofessor an der Universität Warschau, Staatssekretär im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und seit 2020 Richter und Sprecher des polnischen Obersten Gerichtshofs. Überdies war Stępkowski Mitgründer und Direktor des erzkonservativ-christlichen Juristen-Think-Tanks Ordo Iuris.

Nach Aufassung der European Humanist Federation handelt es sich bei Ordo Iuris um "eine sehr konservative Anti-Choice-Vereinigung, die versucht, die europäische Gesetzgebung durch juristische Expertise zu beeinflussen", die "Abtreibung in allen Fällen, gleichgeschlechtliche Ehen und Lebenspartnerschaften sowie Sexualerziehung ablehnt" und "als juristisches Dach für den Konservatismus in den Bereichen Religionsfreiheit/Antidiskriminierung" fungiert.

Das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF) findet noch deutlichere Worte bezüglich der Beurteilung von Ordo Iuris. In einem Hintergrundbericht über die polnische Organisation vom 24. März 2021 heißt es:

"Ordo Iuris ist eine extremistische religiöse Organisation und ihre Führer haben ein Netz von reaktionären Organisationen in Polen und darüber hinaus geschaffen. Ordo Iuris-Anwälte stecken hinter allen jüngsten sozial regressiven Initiativen in Polen, darunter:

- Entwurf des Gesetzestextes von 2016 zum Verbot der Abtreibung

- Argumente für den Austritt aus der Istanbul-Konvention über Gewalt gegen Frauen

- Gesetzentwurf, der umfassende Sexualerziehung kriminalisiert

- Gesetzentwurf, der die In-vitro-Fertilisation einschränkt

- Eine Charta, die Polens inzwischen berüchtigte 'LGBT-freie Zonen' geschaffen hat"

"In Polen ist Ordo Iuris eine mächtige Organisation, die das Innenleben des polnischen Staates infiltriert hat", so der Hintergrundbericht des EPF weiter. Dies erkläre, warum so viele reaktionäre Initiativen in den letzten Jahren in Polen so viel Kraft gesammelt hätten. Die Organisation suche nach Möglichkeiten, ihre ultrakonservativen Ansichten in das geltende Recht in Polen und Europa zu übertragen.

Nach nur einem knappen Jahr am Obersten Gerichtshof von Polen wurde nun Ordo Iuris-Mitgründer Aleksander Stępkowski als Kandidat für einen Richterposten am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte benannt. Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehört je ein Richter oder eine Richterin der 47 Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention an. Die Amtszeit des aktuellen polnischen Richters endet im Verlauf dieses Jahres. Neben Stępkowski stehen für die Nachfolge zwei weitere Kandidatinnen auf der Auswahlliste. Die Bewerber werden zunächst von einem Ausschuss für die Wahl der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüft und anschließend wird einer der Kandidaten von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für den Richterposten ausgewählt. Die Wahl des neuen polnischen Richters soll noch in diesem Monat stattfinden.

Anfang März wandten sich sechzig Abgeordnete des Europäischen Parlaments in einem Brief an die Mitglieder des Ausschusses für die Wahl der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und baten darum, die Kandidatur von Aleksander Stępkowski für den EGMR abzulehnen:

"Wir glauben, dass die polnische Regierung unter den vielen kompetenten Kandidaten in Polen absichtlich jemanden nominiert hat, der nicht die Menschenrechte oder die Rechtsstaatlichkeit voranbringen wird, sondern ihre rückschrittlichen politischen Visionen. Wir fordern die Mitglieder des Richterwahlausschusses auf, diese Kandidatur für den EGMR abzulehnen, die den Grundsätzen dieser ehrenwerten Institution zuwiderläuft."

Auch die polnische Frauenstreik-Bewegung, die sich aus Protest gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung in Polen gegründet hatte, wendet sich derzeit mit einer Online-Petition gegen die Wahl Stępkowskis an die zuständigen Gremien der EU. Bislang haben knapp 85.000 Personen die Petition unterschrieben.

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