"Verschwörungsdenken" – ein Sammelband aus sozialpsychologischer Sicht

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In den unterschiedlichsten Formen finden Verschwörungsvorstellungen immer größere Verbreitung, was die Herausgabe eines Sammelbandes zum Thema aus sozialpsychologischer Sicht motivierte. So interessant die einzelnen Beiträge aufgrund der Detailerkenntnisse sind, so wirkt das Gesamtprodukt doch ein wenig fragmentarisch und strukturlos.

Schon lange vor den Corona-Protesten konnte man eine Renaissance des Verschwörungsdenkens feststellen. Dabei handelt es sich um ein Jahrhunderte altes Phänomen, das manche Historiker gar auf den christlichen Teufelsglauben zurückführten. Demnach handelte es sich bei späteren Konspirationsvorstellungen nur um dessen säkulare Varianten. Unabhängig von einer Einschätzung dieser These lässt sich gegenwärtig eine große Verbreitung des Verschwörungsdenkens konstatieren. Diese Einsicht motivierte auch drei Sozialpsychologen dazu, aus der Blickrichtung ihrer Fachdisziplin einen Sammelband zum Thema zu konzipieren. Er erschien unter der Herausgeberschaft von Florian Hessel, Pradeep Chakkarath und Mischa Luy unter dem Titel: "Verschwörungsdenken. Zwischen Populärkultur und politischer Mobilisierung". Sie sprechen darin von einer Deutungskultur, die in Alltagsgesprächen und Filmserien, aber auch in Medien und Politik ihre Verbreitung gefunden hat. Verschiedene Aufsätze sprechen unterschiedliche Themen an.

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Am Beginn steht eine Einleitung mit einer Forschungsbilanz, worin es auch um Definitionsfragen und Kontroversen geht. Berechtigt verweisen die Herausgeber in diesem Kontext darauf, dass die Attraktivität der Konspirationsvorstellungen auch immer etwas mit der historisch-politischen Rahmensituation und deren Widersprüchlichkeit zu tun hat. Letztendlich will man das Gemeinte sowohl psychologisch wie soziologisch erklären. Dem schließen sich bewusst als Essays ausgewiesene Texte an, worin es um Elemente des Verschwörungsdenkens, Erklärungen durch Verschwörungstheorien und eine nichtklassische Konspirologie geht. Danach folgen wissenschaftliche Aufsätze, die aus unterschiedlichen Perspektiven mit verschiedenen Themenschwerpunkten geschrieben wurden. Hierfür stehen Abhandlungen mit Bezügen zur Coronakrise, etwa bezogen auf die gruppenanalytische Behandlung in dieser Phase, auf die antimoderne Krisenbearbeitung in ihr oder den zu Esoterik und "alternativen Heilmethoden" bestehenden Zusammenhang.

Auch andere Beiträge gehen auf Kontexte und Vergleiche ein, bezogen auf Antifeminismus, Hexereivorstellungen und Preppen jeweils mit dem Verschwörungsdenken, womit auch strukturelle Gemeinsamkeiten mit anderen Vorstellungen herausgearbeitet werden. Dies gilt ebenso für andere Aufsätze, die etwa den Antisemitismus hauptsächlich oder nebenher in einen solchen Kontext stellen. Gelegentlich geschieht dies durch qualitative Studien, wobei die Anzahl der Befragten aber jeweils sehr gering ist. Gleichwohl können aus den daraus gewonnenen Ergebnissen hypothetische Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Und dann findet man auch Beiträge zu Detailfragen in ganz unterschiedlichem Sinne, etwa zu den Anregungen von Franz L. Neumann, der bereits früh auf Angst und Politik im systematischen Zusammenhang verwies, oder auf einen Film von Alex Jones, der darin Konspirationsvorstellungen zu 9/11 propagierte. Und schließlich fragen weitere Autoren jeweils bezogen auf Besonderheiten nach den angemessenen Gegenstrategien.

In der Gesamtschau hat man es mit einer Sammlung interessanter Texte zu tun. Einige erschienen bereits in der Fachzeitschrift "psychosozial" und wurden hier in überarbeiteter Form erneut gedruckt. Jeder Beitrag liefert für sich viele Detailerkenntnisse zum jeweiligen Thema, worin dann auch der dem Sammelband eigene Wert besteht. Gleichwohl wirkt das ganze Buch trotz der ausführlichen Einleitung etwas strukturlos. So finden sich viele Aufsätze zu ähnlichen Komplexen auch an unterschiedlichen Orten. Dies wirkt bei der durchgehenden Lektüre letztendlich so, als seien die Texte willkürlich hintereinandergestellt worden. Hier hätten die drei Herausgeber bei der Planung an eine klarere Struktur denken können. Auch gibt es mit Ausnahme eben der sozialpsychologischen Blickrichtung hinsichtlich des Erkenntnisinteresses letztendlich wenige Gemeinsamkeiten. Berechtigt wird auf die Aktualität und das Gefahrenpotential des Verschwörungsdenkens verwiesen, gleichwohl wirken die einzelnen Aufsätze so wie bloße Fragmente zu einem wichtigen Thema.

Florian Hessel/Pradeep Chakkarath/Mischa Luy (Hrsg.), Verschwörungsdenken. Zwischen Populärkultur und politischer Mobilisierung, Gießen 2022, Psychosozial-Verlag, 344 Seiten, E-Book 39,99

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