Verschwörungsmythen: Der Boom blieb aus

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Covid, QAnon und finstere Eliten als Drahtzieher: Verschwörungserzählungen sind in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch bedeutet dies auch, dass der Glaube daran zugenommen hat? Ein amerikanisches Forscherteam kommt in seiner aktuellen Untersuchung zu einer nüchternen Antwort: Die Zustimmung zu Verschwörungslegenden bewege sich demnach über die letzten Jahrzehnte auf etwa gleichbleibendem Niveau. Dieses Ergebnis bestätigt die Aussage mehrerer früherer deutscher Studien.

Die Forscherinnen und Forscher um den Politikwissenschaftler Joseph Uscinski von der Universität Miami gingen der Frage in vier Einzelstudien nach. Dazu bedienten sie sich aus einem Fundus von Befragungsdaten aus den USA und sechs europäischen Ländern, darunter auch Deutschland. Um in der ersten Studie die Entwicklung des Verschwörungsglaubens über mehrere Jahrzehnte zu verfolgen, berücksichtigten sie neben neueren auch klassische Verschwörungslegenden, etwa über die Mondlandung und den Mord an Präsident John F. Kennedy. Die ältesten ausgewerteten Befragungen reichten bis ins Jahr 1966 zurück, der Großteil stammt aus den letzten zehn Jahren.

Die Zustimmung zu sechs ausgewählten Verschwörungsmythen stand im Mittelpunkt der zweiten Studie, die Befragungsdaten aus sechs europäischen Ländern zwischen 2016 und 2018 umfasste. Doch welche Gruppen, wie Freimaurer, Regierungen oder schattenhafte Eliten, werden als Akteure von imaginären Verschwörungen wahrgenommen? Um dies zu ermitteln, griffen die Forscher wiederum auf US-amerikanische Untersuchungen zurück, die zwischen 2012 und 2020 durchgeführt wurden. Abschließend widmeten sie sich anderen Erhebungen, die den Grad der Neigung zu Verschwörungserzählungen erfassten.

So unterschiedlich die Datensätze auch beschaffen waren – über fünf Jahrzehnte mit wechselnden Teilnehmerinnen und Teilnehmern, wobei die letzten zehn Jahre überrepräsentiert sind – so klar sehen Joseph Uscinski und sein Team das Ergebnis. Keine der vier Teilstudien weise auf einen Anstieg des Verschwörungsglaubens hin, schreiben sie in ihrem Paper. In den meisten Fällen bewegte sich die Zustimmungsrate zwischen zehn und 50 Prozent; bei älteren Verschwörungslegenden gehen die Zustimmungswerte über die Jahre sogar zurück. Somit bestätigt der Befund Untersuchungen aus Deutschland, etwa zu Verschwörungserzählungen im Allgemeinen und zu Corona-Mythen im Besonderen.

Das konsistente Bild sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fachleute dem Paper nur bedingte Aussagekraft beimessen. Nach Einschätzung der Münsteraner Psychologin und Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Lena Frischlich sprechen die Daten dafür, "dass sich die Inhalte ändern, an die Verschwörungsgläubige glauben, nicht aber der Anteil der Verschwörungsgläubigen an der Gesamtbevölkerung." Außerdem weist Dr. Philipp Müller, ebenfalls von der Uni Münster, bezogen auf die europäische Vergleichsstudie darauf hin, dass der Beobachtungszeitraum von nur zwei Jahren nicht ausreichen würde, um eine deutliche Veränderung der Zustimmungsraten abzubilden. Es bedürfe also weiterer, länger angelegter Studien, zumal das Thema Verschwörungserzählungen erst in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der Forschung gewonnen hat. Ältere Befragungen sind häufig lückenhaft, weshalb sie sich nur bedingt zum Vergleich mit aktuellen Untersuchungen eignen.

Und was ist mit dem gefühlten Boom von Verschwörungsmythen, wie sie etwa die Journalistin Aja Romano beschrieben hat? "Es gibt keine belastbaren Belege, dass Verschwörungstheorien heute weiter verbreitet sind als früher. Aber es scheint, als hätten sie in den letzten fünf Jahren immer mehr Zustimmung unter den durchschnittlichen Amerikanern gewonnen."

Vielleicht geht diese Wahrnehmung auf die starke Präsenz des Themas in den Medien und die rasche Verbreitung von Verschwörungslegenden in Sozialen Netzwerken zurück. Dies bedeute freilich noch nicht, dass diese Inhalte auch geglaubt würden, betont der Politikwissenschaftler Prof. Christian Hoffmann von der Uni Leipzig. Wie seine beiden KollegInnen sieht auch er die Studie als Ausgangspunkt für künftige Untersuchungen. Nach Hoffmanns Ansicht sei es wichtig, "zu verstehen, warum Individuen zu konspirativem Denken neigen, und daher mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einzelne oder mehrere Verschwörungstheorien glauben."

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