Skeptiker 4/2023 erschienen

"Nature23": Auf den Spuren des Exorzisten

Exorzismus und Dämonenaustreibung bei psychischen Erkrankungen – was klingt wie Aberglaube aus längst überwundenen Zeiten, wird tatkräftig in Sozialen Netzwerken beworben. Unter dem Namen "Nature23" verspricht ein selbsternannter "Bibellehrer" mit seinen Ritualen Hilfe für Menschen mit Schizophrenie, Essstörungen oder Dissoziativer Identitätsstörung. Im jetzt erschienenen Skeptiker 4/2023 zeichnet Chefreporter Bernd Harder die Spuren von "Nature23" anhand von umfangreichem Quellenmaterial nach. Und er lässt Fachleute zu Wort kommen.

Ein Großteil des gesichteten Videomaterials erinnert an einen Horrorfilm. Da ist etwa ein Mensch mit Gurten auf einem Bett festgeschnallt, windet sich schreiend und wird von einer anderen Person mit kruden Bibelsprüchen traktiert. Bei den "Exorzismen" soll es auch zu Verbrennungen der Haut von Betroffenen durch Streichhölzer gekommen sein. Obgleich laut "Nature23" die Behandelten diesen Praktiken im Vorfeld zugestimmt hätten, gibt es Hinweise, die dagegen sprechen.

Fachleute warnen vor solch einem grenzverletzenden Vorgehen. Gerade bei psychischen Erkrankungen sehen sie das Risiko einer Retraumatisierung, und tatsächlich berichtet eine junge Frau von einer drastischen Verschlimmerung ihres Zustandes nach der "Austreibung".

Seit geraumer Zeit verzeichnen die Sektenberatungsstellen Beratungsnachfragen zu "Nature23", der mit bürgerlichem Namen Marcus B. heißt. Man geht dort davon aus, dass Marcus B. "religiös konnotierte extreme Rituale" praktiziere und gezielt Menschen mit psychischen Belastungen anspreche, darunter auch Minderjährige. Nach Einschätzung der Beratungsstelle Sekteninfo NRW suggeriere er, dass seine Behandlungsmethode wirksam und er selbst für die Behandlung von zahlreichen psychischen Erkrankungen qualifiziert sei. Dies berge die Gefahr, dass Betroffene im Vertrauen auf die vermeintliche Heilwirkung dieser Methode ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe versäumen. Zudem berge die Behandlung unmittelbare Gefahren, etwa bei mehrstündigen Exorzismen mit möglicher "Fixierung". Aus rechtlicher Sicht bestünden laut Sekteninfo NRW erhebliche Zweifel, ob das Angebot in dieser Form überhaupt praktiziert werden dürfe.

In einem weiteren Beitrag betrachtet der Wirtschaftspsychologe Uwe Peter Kanning eine dubiose Variante von Coachings für Führungkräfte in Unternehmen: Durch den Umgang mit Pferden sollen sie ihre Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten trainieren. Hierzu verweisen die Anbieter gern auf fragwürdige Studien, die angeblich den Erfolg der Methode belegen. Doch auch wenn die Teilnehmer im Verlauf des Coachings lernen, nonverbal mit dem Tier zu kommunizieren, lässt sich dies kaum auf den Umgang mit Mitarbeitern übertragen, so Kanning.

Ergänzt wird das Heft durch den Rückblick auf zwei internationale skeptische Veranstaltungen. Annika Harrison, Mitglied im Vorstand der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), berichtet von der Konferenz QED ("Question, Explore, Discover"), die in Manchester stattfand. Und Dr. Friederike Schlumm vom Organisationsteam des "Goldenen Bretts" lässt die Preisverleihung in Wien an Ulrike Guérot Revue passieren. Die Politologin Guérot habe sich "durch ihre Schriften und Auftritte zu einer Leitfigur der Verschwörungstheoretiker-Szene gemacht", so die Begründung der Jury.

Verschwörungsgläubige sind oft auch in der eigenen Familie oder im Freundeskreis anzutreffen. Obgleich sich die Kommunikation meist als herausfordernd erweist, kann dennoch ein konstruktiver Dialog gelingen, wie Skeptiker-Autorin Ulrike Schiesser in einem weiteren Artikel schreibt. Als Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien trifft sie immer wieder auf Ratsuchende, die den Draht zu schwurbelnden Angehörigen aufrechterhalten wollen. Für sie und alle anderen stellt Schiesser im neuen Heft einen "diskursiven Werkzeugkasten" vor – gewiss ganz hilfreich für manch ein Familientreffen an den Feiertagen.

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