In der Corona-Pandemie erlangen gerade Schlachthöfe unrühmliche Aufmerksamkeit als Corona-Hotspots. Dabei richtet sich der kritische Blick vor allem auf die Bedingungen, unter denen die Menschen dort ausgebeutet und Ansteckungsgefahren ausgesetzt werden. Auf der anderen Seite stehen die Tiere, die so oder so nicht mit dem Leben davonkommen werden. Derzeit wird überlegt, Tiere, die wegen geschlossener Schlachthöfe aktuell nicht geschlachtet werden, zu töten, bevor weitere Futter- und Haltungskosten an sie verschwendet werden. Ein durch und durch krankes System.
Seit dem 20. Juni 2020 ist der Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück wegen eines Corona-Ausbruches unter den Mitarbeiter*innen geschlossen und wird dies auch in nächster Zeit bleiben. Mehr als 1.400 von ihnen hatten sich angesteckt. Viele von ihnen Menschen aus Südosteuropa, die nur Werkverträge hatten, beengt untergebracht und transportiert wurden.
Allein im geschlossenen Schlachthof von Tönnies arbeiten sonst 7.000 Menschen daran, denkende, fühlende Lebewesen in Fleischstücke zu verwandeln. Das bedeutet, dass aktuell jede Woche, die der Schlachthof geschlossen bleibt, 70.000 Schweine nicht geschlachtet werden. Das heißt, Landwirt*innen nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Thüringen, Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern haben aktuell Schweine im Stall stehen, die sonst schon längst getötet worden wären.
Für die Schweinemäster*innen bedeutet das, dass kein Geld aus Schlachtungen reinkommt, die nächste Lieferung Jungtiere nicht zur Mast eingestallt werden kann, die Tiere weiter Nahrung und veterinärmedizinische Versorgung benötigen und über das eigentliche Schlachtgewicht hinauswachsen, was wiederum Abzüge bei der zukünftigen Schlachtung bringt. Ähnlich sieht es bezüglich anderer Schlachthöfe wie zum Beispiel in Wildeshausen in Niedersachsen aus. Dort werden für 14 Tage keine Puten geschlachtet.
Nun überlegen Mäster*innen und Verbände, wie sie weiter vorgehen, sollten die Schließungen länger als 14 Tage andauern. Manche schielen daher schon in die USA, wo es sogenannte Nottötungen von Tieren gab, deren weitere Versorgung während der Schlachthofschließung niemand mehr zahlen wollte. Auch wenn man hier noch von "hoffentlich nicht nötig" und "letzter Ausweg" spricht, steht im Raum, Tiere aus wirtschaftlichen Erwägungen zu töten und wegzuwerfen.
Dass solch ein Handeln gegen unser Tierschutzgesetz verstoßen würde, welches in Paragraf 1 bereits erklärt "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen", ist vielen völlig egal, wenn es um den Wunsch geht, sich Muttermilch großer Wiederkäuer in den Kaffee zu gießen, statt Seitanschnitzel Schweineschnitzel zu essen oder eben Geld mit dem Tod denkender, fühlender Lebewesen zu verdienen. Dass unser Tierschutzgesetz nur der Kompromiss zwischen dem ist, was der Tierschutz einfordert und die Wirtschaft bereit ist zu geben, zeigte sich auch während vergangener Pandemien. So wurden zum Beispiel 2017 tausende gesunde Puten-Küken getötet, weil sie wegen des Vogelgrippeausbruchs nicht zu den Mastanlagen geliefert werden konnten.
Während bei den Schweinen und Puten gerade die Schlachthof-Schließungen das Schicksal der betroffenen Tiere beeinflusst, hat die Covid-19-Pandemie bereits vorher für einen Verfall des Kalbpreises gesorgt. Da Kalbfleisch vor allem in Restaurants nachgefragt wird, die während der Pandemie geschlossen waren oder nur ein verringertes Angebot zur Abholung anboten, blieben die Züchter und Milchbetriebe, in denen männliche Kälber überflüssig und auch weibliche Kälber teilweise überzählig sind, auf den Tieren sitzen. Im Mai kostete ein schwarzbuntes Bullenkalb gerade einmal 36 Euro, da lohnt es sich nicht, Futter und veterinärmedizinische Versorgung, Einstreu und weiteres zu zahlen.
Neben dem Umgang mit den menschlichen Arbeiter*innen und der maximalen Ausbeutung der Tiere liefert uns die Tierindustrie noch weitere Schrecken. Einen von ihnen, eine Zoonosen-Pandemie, erleben wir gerade. Aber auch die sich im Biofilm von Tränken bildenden Antibiotikaresistenzen, die stetig für Viehfutter und Viehweiden fallenden Regenwald-Gebiete und die Belastung unseres Wassers durch Gülle sind Grund zur Besorgnis.
Wir alle hätten es durch unser Konsumverhalten in der Hand, etwas an dieser Situation zu verändern. Doch obwohl die öffentlich-rechtlichen Sender bereits seit Jahren über die Machenschaften der "Fleischmafia" berichten, die Gefahr der Entwicklung von Zoonosen und Antibiotikaresistenzen durch die Fleischindustrie regelmäßig thematisiert wird und auch die Abholzung des Regenwalds für den Tierfutterabbau wahrlich kein Geheimnis ist, geben sich auch aktuell wieder viele Menschen überrascht.
Dass Tierprodukte für 80 Millionen Menschen zu niedrigsten Preisen nur mittels maximaler Ausbeutung aller Beteiligten in Supermarkt, Restaurant, Discounter, Bäcker, Imbiss, Kantine und Co. landen können, ist eben ein äußerst unangenehmer Gedanke. 60 Kilo Fleisch, 88 Kilo Milchprodukte und 235 Eier werden in Deutschland pro Kopf im Jahr verzehrt. Dass wir dafür etwa 700 Millionen Tiere zu Nutztieren degradieren, die ernährt, versorgt, transportiert und geschlachtet werden, vergessen wir gern.
15 Kommentare
Kommentare
Klaus am Permanenter Link
Das ist ja alles schoen und gut - in Europa... und ewig dieser Fokus auf Europa... Bekannterweise gibt es noch etwa 2oo andere Laender mit 7 milliarden anderen Menschen, Gewohnheiten und Kulturen.
Roland Weber am Permanenter Link
Es lebe die Scheinheiligkeit!
Wessen Empörung sich jetzt auf einmal gegen die Fleischindustrie richtet, sollte sich erst einmal um seine Scheinheiligkeit kümmern. Die Zustände sind seit Jahrzehnten (z.B. auch mit unsinnigen Tiertransporten durch Europa) bekannt. Wo blieb in der Vergangenheit das Mitgefühl für Beschäftigte oder Tiere?
Der dümmste Spruch in diesem (und selbstredend in immer ähnlichen Zusammenhängen ist der (s.o.):
"Wir alle hätten es durch unser Konsumverhalten in der Hand, etwas an dieser Situation zu verändern"!
Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen oder einzelner Konsumenten sich um die Einhaltung oder Bewahrung von Werten, Hygiene oder Absatzmärkten zu kümmern. Mit einem derartigen Don-Quijchotentum mag glücklich werden wer mag - am System ändert sich so gut wie nichts. Es ist dagegen die verdammte Pflicht des Staates, die Randbedingungen für die Wirtschaft bzw. den Kapitalismus zu regeln!!!
Das gilt für einen Mindestlohn, Aufenthaltsberechtigungen, Genehmigungsverfahren und hunderterlei anderes.
Wenn die Vorschriften sich nach dem Tierwohl richten würden und raumsparende Massenhaltungen unterbunden würden, dann würde eben ein Ei eben 45 Cent bei Freilandhaltung kosten; ein Kilo Rindfleisch bei weidegerechter Haltung eben was weiß ich was. Es ist geradezu ungeheuerlich, wenn der Staat sein Versagen als Versagen des "Verbrauchers" und "Konsumenten" stigmatisiert. Darüber hinaus kann durch entsprechende Steuern (Billigflieger; Tabaksteuer; Transaktionssteuer etc.) "verbrauchsdämpfend" und gesundheits- und umweltschonend eingegriffen werden.
Es sollte einmal darüber nachgedacht werden, wozu ein Staat eigentlich da ist - eben nicht zur Versorgung von Politkern und einer auf Gewinnmaximierung für wenige reduzierten Gesellschaft.
Roland Fakler am Permanenter Link
Volle Zustimmung, lieber Roland!
Thomas R. am Permanenter Link
"Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen oder einzelner Konsumenten sich um die Einhaltung oder Bewahrung von Werten, Hygiene oder Absatzmärkten zu kümmern."
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"Der dümmste Spruch in diesem (und selbstredend in immer ähnlichen Zusammenhängen ist der (s.o.):
"Wir alle hätten es durch unser Konsumverhalten in der Hand, etwas an dieser Situation zu verändern"!"
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Nein, Herr Weber, es ist dumm, das zu leugnen, denn schließlich sind es KonsumentInnen, deren Verhaltensänderungen zu einem kontinuierlichen Anstieg des Marktanteils veganer Produkte führen.
Roland Weber am Permanenter Link
Offenbar hast du meinen Beitrag nicht ganz verstanden!
Ich habe nicht davon gesprochen, dass Hersteller und Vertreiber nichts ändern könnten, sondern mich gegen die "Verbraucher-Verantwortung" und den Staatslobbyismus (Landwirtschaftsministerin Klöckner u.a.!) gewandt! Und zwar gegen diese Ablenkungslüge!
Sicherlich kann auch der Einzelne oder eine Gruppe durch Fleisch-, Flug-, Autoverzicht etc. etwas zur Verbesserung beitragen. Das ist überhaupt nicht fraglich! Und sicherlich sollte man einen Virus- oder Bazillenträger ächten, der bewusst andere Menschen anhustet. Doch das alles sind ja argumentative Peanuts und Ablenkungen.
Sollen die Konsumenten auch an ihren Atemswegerkrankungen schuld sein (Großstädte in China oder Indien haben dafür "gute" Luft!), weil sie vergiftete Luft einatmen?!? Der Mini-Jober, weil er sich keine auserwählten Bio-Produkte leisten kann?
Thomas R. am Permanenter Link
"Offenbar hast du meinen Beitrag nicht ganz verstanden!"
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Oooh doch, das habe ich!
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Wenn Politiker auf diese Verantwortung hinweisen, mag es sich AUCH um eine Ablenkung von eigenen Versäumnissen handeln, aber es ist KEINE LÜGE, denn - Achtung, Binse! - Nachfrage steuert Angebot. Egal, was sich Politiker zuschulden kommen lassen: jeder einzelne Konsument (und damit auch Sie, Herr Weber) wird mit jeder einzelnen Kaufentscheidung zum Teil eines Problems oder Teil seiner Lösung - ob es ihm bewußt ist und ob er es will, oder nicht.
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"Sicherlich kann auch der Einzelne oder eine Gruppe durch Fleisch-, Flug-, Autoverzicht etc. etwas zur Verbesserung beitragen."
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Allerdings, und VIELE Einzelne oder Gruppen können VIEL zur Verbesserung beitragen.
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"Sollen die Konsumenten auch an ihren Atemswegerkrankungen schuld sein (Großstädte in China oder Indien haben dafür "gute" Luft!), weil sie vergiftete Luft einatmen?!?"
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Durchaus, und zwar insoweit, als sie selber vermeidbarerweise zu dieser vergifteten Luft beigetragen haben.
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"Der Mini-Jober, weil er sich keine auserwählten Bio-Produkte leisten kann?"
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Ja, bzw. bedingt, denn jedes noch so kleine Budget bietet Spielräume für Prioritäten (die ein ethisch denkender Mensch natürlich anders setzt als jemand, der meint, ANDERE müßten die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich notwendige Verhaltenskorrekturen möglichst wenig unbequem gestalten).
Hans Jürgen Jan... am Permanenter Link
Hallo Hella, danke dass du uns Denkvermögen zugesprochen hast, was ja sonst kaum jemand tut.
Mit körnerfresserischem Gruß
Henriette
Roland Fakler am Permanenter Link
Mir hat dieses Elend von Tier und Mensch den letzten Impuls gegeben, mein Konsumverhalten von der Saumafia abzukoppeln, d.h. möglichst wenig Fleisch zu essen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dies ist nicht das einzig kranke an unserem System, da gibt es noch viele Baustellen.
Jeder der das Fleisch(fr)essen nicht lassen kann, trägt zu diesen Missständen bei.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Fleischesser sind vom Schnitzel so abhängig, wie Süchtige von Drogen. Die Politiker haben Jahrzehnte lang alle Augen zugedrückt, damit die Bürger billig konsumieren konnten. Voller Bauch rebelliert ja nicht.
Wen interessierte es schon, wenn Ferkel ohne Betäubung kastriert oder Tiere auch mal ohne Betäubung getötet wurden? Wer hat sich je über die Impfungen beschwert, solange der Kunde es nicht schmeckte. Hunderte von Tierärzten in Pharmaindustrie und Behörden haben wegsehen müssen, wenn sie ihren Job behalten wollten.
Die Parteispenden haben unsere Politiker gern von der Lobby genommen, die Gesetze für 1-Euro-Jobber und ausländische Zeitarbeitsfirmen willig erlassen, so lange alle den Mund hielten. Und jetzt, wo nicht mehr geschwiegen werden kann, zeigen sie mit dem Finger auf die Schlachthofbesitzer und die Arbeitsbedingungen, die sie selber erst per Gesetz geschaffen haben. So sind sie, die Politiker!
Aber nehmen wir den Finger auch an die eigene Nase. Tiere sind in Deutschland Sachgegenstände, die nach Belieben ge- und verkauft werden können, die nicht über Art und Umfang ihrer Nahrung, ihrer Fortpflanzung oder ihrer Bewegungsfreiheit bestimmen und nach Belieben kastriert oder getötet werden dürfen. Hierin unterscheiden sich Haustiere in Nichts von Sklaven. Jeder Haustierhalter sollte sich bewusst sein, dass er laut Definition ein Sklavenhalter ist, der sein Tier für seine eigene Befriedigung missbraucht. Art-, Rasse- oder Tier-gerecht werden in Deutschland die wenigsten Tiere gehalten.
Danke für diesen Artikel, Frau Camargo.
Kathi am Permanenter Link
Unser gesamtes kommerzielles System ist durch und durch krank.
Ex-Fundichrist am Permanenter Link
Seitanschnitzel? Never. Die Autorin denkt überhaupt nicht daran, daß es auch Menschen gibt, für die Gluten gemeingefährlich ist.
Thomas R. am Permanenter Link
"Die Autorin denkt überhaupt nicht daran, daß es auch Menschen gibt, für die Gluten gemeingefährlich ist."
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Thomas R. am Permanenter Link
Jawoll, Frau Camargo, und bitte recht hurtig!
Werner Helbling am Permanenter Link
Vor 60 – 70 Jahren mussten ein durchschnittlicher Familienhaushalt, ca. 10 – 15 % vom Einkommen für das Wohnen ausgeben. Für das Essen mussten 30 – 40 % aufgewendet werden.