Kommentar

Weg mit der Fleischindustrie!

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Das Leben eines Bullenkalbs war im Mai gerade mal 36 Euro wert.

In der Corona-Pandemie erlangen gerade Schlachthöfe unrühmliche Aufmerksamkeit als Corona-Hotspots. Dabei richtet sich der kritische Blick vor allem auf die Bedingungen, unter denen die Menschen dort ausgebeutet und Ansteckungsgefahren ausgesetzt werden. Auf der anderen Seite stehen die Tiere, die so oder so nicht mit dem Leben davonkommen werden. Derzeit wird überlegt, Tiere, die wegen geschlossener Schlachthöfe aktuell nicht geschlachtet werden, zu töten, bevor weitere Futter- und Haltungskosten an sie verschwendet werden. Ein durch und durch krankes System.

Seit dem 20. Juni 2020 ist der Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück wegen eines Corona-Ausbruches unter den Mitarbeiter*innen geschlossen und wird dies auch in nächster Zeit bleiben. Mehr als 1.400 von ihnen hatten sich angesteckt. Viele von ihnen Menschen aus Südosteuropa, die nur Werkverträge hatten, beengt untergebracht und transportiert wurden.

Allein im geschlossenen Schlachthof von Tönnies arbeiten sonst 7.000 Menschen daran, denkende, fühlende Lebewesen in Fleischstücke zu verwandeln. Das bedeutet, dass aktuell jede Woche, die der Schlachthof geschlossen bleibt, 70.000 Schweine nicht geschlachtet werden. Das heißt, Landwirt*innen nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Thüringen, Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern haben aktuell Schweine im Stall stehen, die sonst schon längst getötet worden wären.

Für die Schweinemäster*innen bedeutet das, dass kein Geld aus Schlachtungen reinkommt, die nächste Lieferung Jungtiere nicht zur Mast eingestallt werden kann, die Tiere weiter Nahrung und veterinärmedizinische Versorgung benötigen und über das eigentliche Schlachtgewicht hinauswachsen, was wiederum Abzüge bei der zukünftigen Schlachtung bringt. Ähnlich sieht es bezüglich anderer Schlachthöfe wie zum Beispiel in Wildeshausen in Niedersachsen aus. Dort werden für 14 Tage keine Puten geschlachtet.

Nun überlegen Mäster*innen und Verbände, wie sie weiter vorgehen, sollten die Schließungen länger als 14 Tage andauern. Manche schielen daher schon in die USA, wo es sogenannte Nottötungen von Tieren gab, deren weitere Versorgung während der Schlachthofschließung niemand mehr zahlen wollte. Auch wenn man hier noch von "hoffentlich nicht nötig" und "letzter Ausweg" spricht, steht im Raum, Tiere aus wirtschaftlichen Erwägungen zu töten und wegzuwerfen.

Dass solch ein Handeln gegen unser Tierschutzgesetz verstoßen würde, welches in Paragraf 1 bereits erklärt "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen", ist vielen völlig egal, wenn es um den Wunsch geht, sich Muttermilch großer Wiederkäuer in den Kaffee zu gießen, statt Seitanschnitzel Schweineschnitzel zu essen oder eben Geld mit dem Tod denkender, fühlender Lebewesen zu verdienen. Dass unser Tierschutzgesetz nur der Kompromiss zwischen dem ist, was der Tierschutz einfordert und die Wirtschaft bereit ist zu geben, zeigte sich auch während vergangener Pandemien. So wurden zum Beispiel 2017 tausende gesunde Puten-Küken getötet, weil sie wegen des Vogelgrippeausbruchs nicht zu den Mastanlagen geliefert werden konnten.

Während bei den Schweinen und Puten gerade die Schlachthof-Schließungen das Schicksal der betroffenen Tiere beeinflusst, hat die Covid-19-Pandemie bereits vorher für einen Verfall des Kalbpreises gesorgt. Da Kalbfleisch vor allem in Restaurants nachgefragt wird, die während der Pandemie geschlossen waren oder nur ein verringertes Angebot zur Abholung anboten, blieben die Züchter und Milchbetriebe, in denen männliche Kälber überflüssig und auch weibliche Kälber teilweise überzählig sind, auf den Tieren sitzen. Im Mai kostete ein schwarzbuntes Bullenkalb gerade einmal 36 Euro, da lohnt es sich nicht, Futter und veterinärmedizinische Versorgung, Einstreu und weiteres zu zahlen.

Neben dem Umgang mit den menschlichen Arbeiter*innen und der maximalen Ausbeutung der Tiere liefert uns die Tierindustrie noch weitere Schrecken. Einen von ihnen, eine Zoonosen-Pandemie, erleben wir gerade. Aber auch die sich im Biofilm von Tränken bildenden Antibiotikaresistenzen, die stetig für Viehfutter und Viehweiden fallenden Regenwald-Gebiete und die Belastung unseres Wassers durch Gülle sind Grund zur Besorgnis.

Wir alle hätten es durch unser Konsumverhalten in der Hand, etwas an dieser Situation zu verändern. Doch obwohl die öffentlich-rechtlichen Sender bereits seit Jahren über die Machenschaften der "Fleischmafia" berichten, die Gefahr der Entwicklung von Zoonosen und Antibiotikaresistenzen durch die Fleischindustrie regelmäßig thematisiert wird und auch die Abholzung des Regenwalds für den Tierfutterabbau wahrlich kein Geheimnis ist, geben sich auch aktuell wieder viele Menschen überrascht.

Dass Tierprodukte für 80 Millionen Menschen zu niedrigsten Preisen nur mittels maximaler Ausbeutung aller Beteiligten in Supermarkt, Restaurant, Discounter, Bäcker, Imbiss, Kantine und Co. landen können, ist eben ein äußerst unangenehmer Gedanke. 60 Kilo Fleisch, 88 Kilo Milchprodukte und 235 Eier werden in Deutschland pro Kopf im Jahr verzehrt. Dass wir dafür etwa 700 Millionen Tiere zu Nutztieren degradieren, die ernährt, versorgt, transportiert und geschlachtet werden, vergessen wir gern.
 

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