Ein Kilo Zucker für 1.500 Euro? Was klingt wie ein schlechter Scherz oder durchsichtiger Trickdiebstahl, auf den doch niemand ernsthaft hereinfällt, ist in Deutschland leider Alltag und hat eine lange Tradition. Die Rede ist von Homöopathie in Form von Globuli. Die Pseudomedizin Homöopathie profitiert in unserem Gesundheitswesen noch immer von Ausnahmen in Gesetzestexten. Einige Abgeordnete des Bundestags haben sich nun jedoch zusammengetan, um eine Reform anzustreben. Diese birgt das Potenzial, auf verschiedenen Ebenen für die Gesellschaft vorteilhaft zum Tragen zu kommen.
Kaum ein Produkt, welches nicht das liefern kann, was es verspricht, kann sich so lange am Markt halten wie die homöopathischen Präparate. Diese gibt es etwa in der Verdünnungsstufe C12 in Form von Brechnuss, aber auch als Küchenschaben in C6 oder in D30 als das Schwermetall Blei. Da einige der verwendeten Elemente und Stoffe für den Menschen hoch giftig sind, ist es fast schon eine Wohltat dieses pseudomedizinischen Zweiges, ihre Erzeugnisse so weit zu verdünnen, dass praktisch nichts mehr davon im Endprodukt enthalten ist – meistens zumindest. Der Gesellschaft dienlicher wäre jedoch, solche Mittel gar nicht mehr herzustellen und sich stattdessen ausschließlich auf tatsächlich wirksame Medizin zu fokussieren. Denn eine Genesung durch die der Homöopathie zugrundeliegenden angeblichen Wirkmechanismen ist ausgeschlossen – das zeigen tausende Studien, die sich mit der Thematik befasst haben und allesamt zu demselben Ergebnis kommen.
Im deutschsprachigen Raum erfreut sich diese Art der Täuschung von Ärzt:innen und Patient:innen insbesondere deshalb so großer Beliebtheit, weil bereits früh und intensiv auf höchster politischer Ebene dafür lobbyiert wurde. In den 1970er Jahren wurde dann von nicht evidenzbasiert arbeitenden Personen ein eigenes Zulassungsverfahren entwickelt. Nach dem deutschen Arzneimittelgesetz muss jedes medizinische Präparat eine Wirksamkeit über klinische Studien nachweisen können, um als solches zu gelten. Einzige Ausnahme seither: Homöopathie. Diese darf auch ohne Wirksamkeitsnachweis in den Leistungskatalogen der Krankenkassen stehen, sie darf noch immer von Mediziner:innen verschrieben sowie in Apotheken verkauft werden – und steht noch immer nicht im Supermarkt in der Süßwarenabteilung. Und auch heute noch übernehmen hochrangige Politiker:innen die Schirmherrschaft für Homöopathie-Kongresse, ohne echte politische Konsequenzen erwarten zu müssen. Wer jedoch fachliche Kritik an der Pseudomedizin übt, kann von Herstellerfirmen homöopathischer Mittel verklagt werden.
Die Folgen des wissenschaftlichen Anstrichs dieser unwissenschaftlichen Methode, der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit und des Mundtotmachens von Kritiker:innen sind unter anderem Mehrkosten für die Allgemeinheit, der Noceboeffekt, häufig falsche Heilsversprechen und wie sich herausstellte geht der Glaube an Homöopathie auch signifikant häufig mit der Ablehnung von Impfungen einher. "Die Studien belegen also, dass pseudomedizinische Versprechungen ihre Anhängerschaft immer weiter in den Sumpf der Wissenschaftsablehnung führen und zudem die Risikowahrnehmung verzerren", führt die Ärztin Natalie Grams-Nobmann aus.
Doch nun regt sich Widerstand
Einige Abgeordnete des deutschen Bundestags wollen dem möglichst zeitnah ein Ende setzen. Die Bundestagsabgeordnete und Beisitzerin im Bundesvorstand der FDP Ria Schröder plädiert dafür, dass zwischen evidenzbasierten Heilmethoden und Lehren wie der Homöopathie, die rein auf Glauben basieren, klar unterschieden wird. Sie betont, dass erwachsene Menschen zwar selbstbestimmt entscheiden können sollen, was sie einnehmen, dies aber möglichst aufgeklärt stattfinden solle. Solange Apotheken und Krankenkassen vermeintlich alternative Mittel anbieten, sei dies nicht möglich und öffne den Pseudowissenschaften nur unnötig Tür und Tor.
Die langjährige Parlamentarierin Kathrin Vogler von der Partei Die Linke sieht das ähnlich. Die für ihre Partei unter anderem im Ausschuss für Gesundheit aktive Politikerin verweist zudem auf den Missstand, dass die Zeit von evidenzbasierten Mediziner:innen für das ausführliche Gespräch mit Patient:innen nicht ausreichend honoriert werde. Homöopath:innen könnten hingegen längere Beratungszeiten abrechnen und sich intensiver den einzelnen Menschen zuwenden. Das ist ihr zufolge einer der Gründe, weshalb die Homöopathie so beliebt ist und müsste dringend verändert werden. Konkret geht es dabei um Anpassungen im Arzneimittelgesetz und im Sozialgesetzbuch.
Auch die Grünen haben sich nach einem längeren Hin und Her dazu entschieden, die "Privilegierung der besonderen Therapierichtungen" in Gesetzestexten und Arzneimittelrichtlinien zu verändern. Die Kosten für Homöopathie sollen fortan nicht mehr von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Die Fachärztin für Radiologie Paula Piechotta ist seit der letzten landesweiten Wahl Mitglied des Bundestags und setzt sich dafür ein, dass diesen Worten auch Taten folgen. Sie hebt die Nachteile irrationaler Denkmuster für die Gesellschaft hervor: "In der Pandemie kann auch der letzte sehen, dass Verschwörungserzählungen, Impfgegner und Pseudomedizin keine harmlose Schwurbelei, sondern eine gigantische Gefahr für unser aller Gesundheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind." Auch Piechotta ist der Ansicht, dass Krankenkassen nicht länger für unwirksame Scheinbehandlungen aufkommen sollten. Nur so könne glaubhaft und umfassend gegen Wissenschaftsfeindlichkeit, Impfmythen und deren Folgen vorgegangen werden.
Wie die Soziologin Nora Pösl herausfand, leisten diese Abgeordneten mit der Eingrenzung vermeintlich alternativer Heilmethoden sogar einen Beitrag dazu, auch andere vernunftwidrige Denkhaltungen einzudämmen. Denn die Ablehnung zentraler wissenschaftlicher Erkenntnisse ist die Grundlage von Esoterik, Verschwörungsmythen, Hassideologien und allerlei anderer abstruser bis gefährlicher Weltbilder. Auch hier lässt sich ein Zusammenhang feststellen: Wer an vorgeblich alternative Heilpraktiken glaubt, der ist auch einfacher von Rechtsextremismus, Rassismus und Co. zu überzeugen. Indem das Problemfeld der Pseudomedizin an der Wurzel angepackt wird, werden demnach auch die hasserfüllten Ideologien präventiv angegangen.
4 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Na endlich kümmert man sich einmal um dieses Problem.
G. Hantke am Permanenter Link
„wer an vorgeblich alternative Heilpraktiken glaubt, ist auch einfacher von Rechtsextremismus , Rassismus … zu überzeugen“
Alles leider recht einseitig und zT sehr weit hergeholt.
Glaube ebenso wie Placebo und somit auch Homoöpathie können im übrigen durchaus gegen gewisse Erkrankungen helfen; es gibt schließlich auch eingebildete Leiden. Entscheidend kann dabei ja das mit „verordneten Kügelchen“ vermutlich öfter verbundene ausführlichere Gespräch sein, das ja bei der medizinischen Konkurrenz meist eher zu kurz kommt.
Und dass hierdurch Mehrkosten für die Allgemeinheit entstehen, möchte ich stark bezweifeln. Medikamente, besonders leichtfertig verordnete (denke man nur an Antibiotika), sind meist überteuert (schaue man mal ins Nachbarland), helfen auch nicht immer, schaden zuweilen oder machen süchtig oder haben gar schwere Nebenwirkungen.
Es würde mE genügen, Globuli mit einem aufklärerischen Hinweis zu versehen und statt einer Kostenübernahme einen Zuschuß vorzusehen.
Marina am Permanenter Link
Eingebildete Leiden mag es geben. Aber sollten wir diese wirklich mit eingebildeten Medikamenten behandeln.
M.S. am Permanenter Link
Sie verkennen das Ausmaß der Schäden durch Homöopathie. Es wächst gerade eine neue Generation von Gläubigen heran, die von den Eltern mitbekommen, eine Schramme heile nur bei Einnahme von Arnica-Kügelchen.