Seit 20 Jahren gibt es in Bern das "Haus der Religionen". Doch ausgerechnet in seinem Jubiliäumsjahr hat das interreligiöse Vorzeigeprojekt mit einem handfesten Skandal zu kämpfen: In der Moschee des Hauses wurden verbotene religiöse Trauungen und Zwangsverheiratungen durchgeführt.
Im September 2022 feierte das Haus der Religionen in Bern sein 20-jähriges Bestehen. Die Einrichtung versteht sich als "eine Begegnungsstätte der Religionen und ein Ort des Dialogs der Kulturen". "Acht Weltreligionen – Judentum, Baha’i, Islam, Hinduismus, Christentum, Buddhismus, Aleviten und Sikh – leben in guter Nachbarschaft unter einem Dach und sind interessiert an Begegnungen mit der ganzen Gesellschaft", heißt es auf der Webseite des Hauses der Religionen. Religionsgemeinschaften, "denen in Bern bisher keine eigenen würdevollen Räumlichkeiten für ihre Zeremonien zur Verfügung standen", bietet das Haus der Religionen am Europaplatz überdies seit 2014 entsprechende Möglichkeiten.
Ausgerechnet im hoch gefeierten Jubiläumsjahr zeigte sich jedoch, dass der Ort des Dialogs der Kulturen und der zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten für religiöse Zeremonien für illegale religiöse Trauungen und Zwangsverheiratungen genutzt wurde. Mitte November berichtete SRF Investigativ, die neue Recherche-Redaktion des Schweizer Radio und Fernsehens, über mehrere Fälle von jungen Frauen, die in der Moschee im Haus der Religionen zwangsverheiratet wurden.
In der Schweiz gilt das sogenannte Primat der Ziviltrauung, was bedeutet, dass eine religiöse Heirat ohne vorherige Ziviltrauung nicht nur ungültig, sondern auch illegal ist. Obwohl diese Praxis illegal ist, werden solche Trauungen regelmäßig von einigen Religionsgemeinschaften durchgeführt, um meist junge Frauen in ungewollte Ehen zu zwingen. Vor der Religion und in Familien und dem sozialen Umfeld gelten die religiösen Ehen nämlich als bindend. Religiös zwangsverheiratete Frauen müssen oft mit der gesamten Familie brechen, um sich aus der Situation zu befreien. Ein halbes Dutzend Fälle deckte SRF Investigativ nun auf, "in denen in der Moschee im Haus der Religionen religiöse Trauungen ohne vorherige zivile Heirat vorgenommen wurden und die zu Zwangsehen führten".
Die Verantwortlichen des Vereins Haus der Kulturen – Dialog der Kulturen zeigten sich entsetzt nach Bekanntwerden der Zwangsverheiratungen. In einer Pressemitteilung stellte man klar, dass es sich hierbei um eine missbräuchliche Nutzung der Moschee im Haus der Religionen gehandelt habe: "Ein dem Verein Haus der Religionen – Dialog der Kulturen (kurz HdR) und dem muslimischen Verein Bern nicht bekannter Imam hat die Moschee des muslimischen Vereins im HdR missbraucht, um Zwangsheiraten durchzuführen. Der Verein HdR und der Muslimische Verein Bern verurteilen dies in aller Schärfe. Wir sind grundsätzlich ein offenes Haus und ein Ort der Begegnung für alle. Gemeinsam mit Imam Mustafa Memeti vom Muslimischen Verein Bern prüfen wir, wie es zu diesem Missbrauch kommen konnte und welche Massnahmen dies zur Folge hat."
Geleitet wird das Haus der Religionen in Bern vom Verein Haus der Religionen – Dialog der Kulturen und für die Finanzierung sammelt eine eigens eingerichtete Stiftung Spenden. Allerdings erhält die Einrichtung nach SRF-Angaben auch von der Stadt Bern jährlich 300.000 Franken. Geld, das laut der Stadt Bern jedoch nicht den religiösen Gemeinschaften zugute kommt, sondern dem Kulturprogramm.