Zwischen Fußball und Fürbitte – Wenn Gottesdienste zur Show werden

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Motorradgottesdienst in Hamburg (2007)
Motorradgottesdienst in Hamburg

Gottesdienste für Hundebesitzer, Motorradfahrer, Fußballfans oder Festivalgänger: Die Kirche zeigt sich kreativ – oder besser gesagt: verzweifelt um Anschluss bemüht. Seit einigen Jahren sprießen spezielle Gottesdienste aus dem Boden, die weniger mit Liturgie als mit Lebensgefühl zu tun haben. Sie tragen Titel wie "Blessing of the Bikes", "Wenn Glaube unter die Haut geht" oder – wie kürzlich in Nürnberg – "Liebe, Glaube, Leidenschaft vereint – 125 Jahre 1. FC Nürnberg". Warum veranstaltet die Kirche solche Eventgottesdienste? Und was zieht Menschen dorthin?

Solche Veranstaltungen werfen Fragen auf, die weit über Geschmack oder Frömmigkeit hinausgehen. Was genau wird da eigentlich gefeiert? Der Glaube – oder doch eher das Event selbst? Kirchen scheinen zunehmend das Bedürfnis zu verspüren, auffallen zu müssen, um nicht unterzugehen. Und so verwandeln sie ihre Gotteshäuser in Erlebnisräume für einzelne Zielgruppen, um die eigene Reichweite zu erhöhen: Fußballfans, Motorradfahrer, Haustierbesitzer, sogar Gothic-Anhänger oder Festivalbesucher bekommen inzwischen maßgeschneiderte Gottesdienste geboten. Die Ästhetik variiert, das Prinzip bleibt gleich: Weniger Dogma, mehr Dekor.

Das Ganze nimmt mitunter absurde Züge an. In Nürnberg etwa wurde zur Feier von 125 Jahren 1. FC Nürnberg ein ökumenischer Jubiläumsgottesdienst abgehalten, bei dem Stadiongesänge zwischen Vaterunser und Predigt erklangen – eine Allianz von Kirchenschiff und Fankurve. In der Ankündigung hieß es: "Die Mitfeiernden wird eine einzigartige Atmosphäre erwarten, die eine Brücke zwischen den Ritualen der Religionen und des Stadions schlägt." Und im Schwarzwald findet in Rotzingen jährlich ein "Traktor-Gottesdienst" statt – mit anschließender Parade gesegneter Landmaschinen.

Ein besonders denkwürdiger Gottesdienst wurde letztes Jahr in der Johanniskirche im beschaulichen Osnabrück abgehalten: "Wenn Glaube unter die Haut geht" – so lautete der Titel eines kirchlichen Events, bei dem die Besucher sich nach der Andacht direkt in der Kirche ein Kreuz tätowieren lassen konnten. Als Zeichen der Verbundenheit mit Gott, hieß es. Segnung mit Stachel. Nadel statt Kelch. Wer wollte, bekam gleich noch einen Bibelvers dazu – für immer verewigt unter der Haut.

Gott auf dem Festivalgelände

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Beim Christopher-Street-Day-Gottesdienst wird Gott zum queeren Alliierten erklärt, auf Mittelaltermärkten gibt es "ritterliche Andachten", und auf Messen werden sogar Haustiere gesegnet. In manchen Gemeinden findet ein "Oktoberfest-Gottesdienst" statt, wo Dirndl und Maßkrug zur liturgischen Ausstattung gehören. Und auf Festivals wie "Rock am Ring" gehört der "Festivalpfarrer" mittlerweile zur Grundausstattung – inklusive Seelsorgezelt, Segenssprüchen, Selfies und Beichtgelegenheit zwischen zwei Bierbänken.

Gewiss: Der Versuch, Anschluss an den Alltag der Menschen zu finden, ist nicht per se verwerflich. Doch was, wenn das Sakrale dabei auf die Verpackung eines Lebensgefühls schrumpft? Wenn die Religion nicht mehr Sinn stiftet, sondern sich bloß noch anpasst? Aus einer kritischen Perspektive wirkt das wie ein Ausverkauf des Religiösen zugunsten der bloßen Erlebnisvermittlung. Gott als Produkt. Der Glaube als Accessoire.

Die Kirche als spiritueller Dienstleister

Zunehmend entwickeln sich Gottesdienste zu einem kulturellen Mitmach-Format, in dem Glauben nicht mehr zur Auseinandersetzung zwingt, sondern zum Mitwippen einlädt. Der Fokus liegt eher auf der Atmosphäre als auf Transzendenz und eher auf Bequemlichkeit als auf Bekenntnis. Wer heute sonntags eine Kirche betritt, trifft oft auf ein Wohlfühlambiente und zielgruppenorientierte Angebote statt auf traditionelle Vorstellungen von Himmel und Hölle.

Die Kirche wird so zum Dienstleister der eigenen Befindlichkeit, zum Ausstatter spiritueller Momente. Doch wo alles individuell zugeschnitten ist – vom Tattoo-Glaubensbekenntnis bis zur Stadionliturgie –, da wird Religion zur Konsumgeste. Der Glaube als Gadget. Deutlicher kann sich der Verlust der eigenen Heilsbotschaft nicht manifestieren.

Die Kirche will sichtbar bleiben – doch in ihrer Anbiederung an jede Lebenswelt macht sie sich selbst beliebig und damit überflüssig. Man kann heute einen gesegneten Hund streicheln, danach auf der Harley zum Pop-up-Gottesdienst rollen – oder sich, ganz im Zeichen der Ewigkeit, ein Kreuz auf den Rücken tätowieren lassen. Doch der Verdacht bleibt: Was hier unter dem Etikett des Glaubens gefeiert wird, ist oft nur der Glaube an das Erlebnis selbst.„“

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