Am vergangenen Samstag demonstrierten in Berlin rund 3.500 Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform. Die Veranstalter hatten mit rund 500 Demonstranten gerechnet. Die Kritiker der EU-Urheberrechtsreform befürchten massive Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit und die Vielfalt des Internets.
Der Artikel 13 der geplanten EU-Urheberrechtsreform sieht vor, dass kommerzielle Plattformen wie zum Beispiel YouTube dazu gezwungen werden sollen, sogenannte Uploadfilter einzusetzen. Die EU will damit diese Internetplattformen beim Urheberrecht stärker in die Pflicht zu nehmen. Markus Beckedahl von netzpolitik.org wies in seiner Rede vor den Demonstranten jedoch darauf hin, dass von den EU-Politikern wie Axel Voss (CDU) kaum verstanden wird, was der Unterschied zwischen der Verteidigung von Urheberrechten und Zensur ist.
Beckedahl sagte: "… die Befürworter dieser Urheberrechtsreform suggerieren derzeit immer, dass alle Urheber und Verleger und Mitglieder in Verwertungsgesellschaften hinter diesen jetzt beschlossenen Reformplänen stehen würden. … Ich kann die Befürworter von Artikel 13 verstehen: Sie wünschen sich eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Youtube, Facebook und Co und sehen in dem gesetzlichen Konstrukt rund um Artikel 13 dafür einen Hebel.
Leider hab ich nicht das Gefühl, dass ihnen bewusst ist, dass die von ihnen gewünschten rechtlichen und technischen Umsetzungen das Internet, wie wir es kennen und schätzen gelernt haben, massiv verändern kann. Oder sie nehmen das in Kauf für ihren eigenen Vorteil.
Und ich hab nicht das Gefühl, dass man sich ausführlich und mit technischer Kompetenz mit möglichen Folgen beschäftigt und diese verstanden hat.
Sonst würden sie nicht behaupten, dass Uploadfilter keine Gefahr für die Meinungsfreiheit darstellen."
Er wies darauf hin, dass er – und wie er annahm auch ein Großteil der Demonstranten – sehr wohl für ein zeitgemäßes Urheberrecht einstehe. "Aber die gerade zu Ende verhandelte Reform steht nicht dafür, sondern für eine mediale Welt von gestern." So würde völlig außer Acht gelassen, dass sich in den Jahren eine völlig neue Kultur im Netz etabliert habe. Memes und ähnliche Kunst- und Kulturformen sind ohne Internet nicht denkbar und werden durch die geplante Urheberrechtsreform unmöglich gemacht. Beckedahl: "Man schießt mit der Schrotflinte Artikel 13 auf YouTube und Facebook und trifft aber leider noch das halbe Internet dazu."
Eins der letzten Memes mit Axel Voss, das noch durchgeht. pic.twitter.com/vaFSvawDwf
— werquer (@werquer) 12. September 2018
Zudem soll durch die EU-Urheberrechtsreform durch die Hintertür des Artikel 11 das Leistungsschutzrecht eingeführt werden. "Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wurde in Deutschland zum Rohrkrepierer", sagte Beckedahl. Denn damals wollte man News-Aggregatoren bevormunden und zielte damit auf Google. Getroffen habe man jedoch die kleinen Plattformen und Aggregatoren, schaffte Rechtsunsicherheit und "gerade Google, gegen die das argumentativ doch durchgesetzt werden sollte, bekam eine Freilizenz, weil sie sonst Verlagsangebote aus ihren Suchanfragen ausgelistet hätten."
Anna Müllner bezeichnet in den Scilogs den Artikel 11 als Todesstoß für Blogs: "Artikel 11 verbietet sogenannte Snippets. Das sind kurze Anrisse eines Blog-Beitrags, wenn diese auf Social Media geteilt oder in einer Suchmaschine gefunden wurden. Meistens ist dann ein Bild mit einem kurzen Teaser zu sehen, der Lust auf den Artikel machen soll. Artikel 11 will dies verbieten – unter anderem, damit sich Leute nicht über Google News über Nachrichten informieren."
Eine Auflistung der Diskussionen um die Urheberrechtsreform gibt es bei netzpolitik.org.
Und der namensgebenden Artikel 12, der die Urheberrechte von Künstlern, Journalisten, Autoren und anderen Kreativen stärken soll, ist eine Augenauswischerei, wie es sie kaum bisher gab. "Denn eigentlich sagt die Rechtsprechung, dass Erlöse aus Verwertungsgesellschaften komplett den Urhebern gehören sollten. Aber mit Artikel 12 sollen die Urheber die Hälfte vom Kuchen mit Verlegern und Medienkonzernen teilen." Wenn also jemand behaupte, "diese Reform stärkt die Rechte von Urheberinnen und Urhebern, dann sagt einfach: Artikel 12 macht das Gegenteil."
Deshalb, so stellte Beckedahl klar, sind die Demonstranten und die Veranstalter "nicht gegen das Urheberrecht. Wir sind aber gegen verpflichtende Uploadfilter."
Markus Reuter von der Digitalen Gesellschaft e. V. treibt die Sorge, dass Uploadfilter die Meinungsfreiheit einschränken können: "Wir sind in Sorge, dass mit dieser Urheberrechtsreform und mit den Uploadfiltern eine Infrastruktur geschaffen wird, die später für staatliche Zensur genutzt werden kann." Carola Dorner von den Freischreibern vertrat in ihrer Rede vor dem Justizministerium die Perspektive freier Journalisten: "Wir sind dagegen, dass hier ein Reformvorschlag Gesetz wird, der den Urheber gegenüber dem Verwerter wieder einmal in eine schlechtere Verhandlungsposition versetzt." Für ihn sei es ein Zeichen der Angst, wenn vor allem konservative Volksvertreter die Gegner als Bots, Marionetten von Google oder als "Mob" beschimpften, "uns einseitige Propagandavideos vorspielen" sowie "uns ganz offen ins Gesicht lügen".
Am 23. März sind deutschland- und europaweit weitere Demonstrationen gegen die EU-Urheberrechtsreform geplant.
2 Kommentare
Kommentare
Peder Iblher am Permanenter Link
„Artikel 11 verbietet Snippets“ ist sachlich nicht richtig. Es werden Lizenzen fällig, von denen sich Zeitungen eine Rettung ihres Geschäftsmodells versprechen.
Mehr Infos auch unter https://digitalhumanrights.blog/de/zur-copyright-direktive/
Peter Hemecker am Permanenter Link
Es ist schon verblüffend, wie man zu diesem Thema einen langen Artikel schreiben kann, ohne den Namen der Piratenpolitikerin Julia Reda zu erwähnen.
Bereits im Juli vergangenen Jahres hat sie – entgegen aller Erwartungen – einen ersten Anlauf zu einer Urheberrechtsreform im EU-Parlament in letzter Sekunde verhindert. Wer Näheres wissen möchte, wird im Internet in nahezu jedem Artikel zu diesem Thema auf den Namen Julia Reda (Piratenpartei) treffen.