Uwe Lehnerts "Warum ich kein Christ sein will" neu aufgelegt

"Wer mehr weiß, glaubt weniger!"

DEIDESHEIM. (hpd) Der Marburger Tectum Verlag präsentierte Uwe Lehnerts Buch "Warum ich kein Christ sein will" in erweiterter Neuauflage. Mit wissenschaftlicher Akribie und doch allgemein verständlich ohne jede Polemik zeichnet der Autor nicht nur seinen persönlichen Weg aus Glaube und Religion nach, sondern stellt auch ein Kompendium für sachliche Kritik am Christentum vor.

Uwe Lehnerts Klassiker ist in der sechsten Auflage nochmals im Umfang gewachsen. Auf 500 Seiten entfaltet der Autor seine persönliche Odyssee seines langen Abschieds vom Christentum. Dabei hat er es sich – und mittelbar seinen Lesern – nicht einfach gemacht. Nicht einfach machen können! Lehnert war als Universitätsprofessor für Bildungsinformatik und Bildungsorganisation in einem Bereich tätig, der mit dem Gegenstand seines Buches kaum Berührungen aufweist. Dies betont er auch stets, doch genau in seinem daraus resultierenden wissenschaftlichen Selbstanspruch und dem thematischen Zugang als theologischer Laie liegt die Stärke seines Werkes. Es kann sich nicht an Theologen wenden, die in ihrer eigenen hermeneutischen Welt leben, die streng genommen kaum noch Berührung zu ihrem "Forschungsgegenstand", nämlich den "heiligen" Schriften – von "Gott" ganz zu schweigen –, aufweist.

Daher ist Lehnerts Buch auch für Gläubige von Interesse, die sich über die Grundlagen ihres Glaubens unvoreingenommen informieren wollen oder bereits an deren Sinn zweifeln, ohne Dogmen, ohne den Wahn, mit der Bibel bereits im Besitz einer "Wahrheit" zu sein. Die Motivation hierfür ist nicht spontan purem nachberuflichem Zeitvertreib Lehnerts entsprungen. Er schreibt im Kapitel "Warum dieses Buch?": "Dieses Buch ist hervorgegangen aus persönlichen Aufzeichnungen und Materialien, die ich über viele Jahre gesammelt habe."(Seite 11) Auf der Titelseite umreißt er dessen Funktion: "Ein Lesebuch für Menschen, die sich über wissenschaftliche Erkenntnisse, Glauben und Kirche informieren und darüber nachdenken möchten".

Diese Einladung ist auch im Wesentlichen die Gliederung des Werkes, die den Leser zunächst in eine Welt entführt, der Uwe Lehnert auch stets beruflich sehr viel näher stand: die sensorischen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen in Bezug auf seine Umwelt und sich selbst. Diese Reise zur Art und Weise, wie wir die Dinge überhaupt wahrnehmen können, beginnt folgerichtig mit der Erkenntnistheorie, die uns die Beschränktheit unserer Beobachtung von Realität – auch unserer eigenen – vor Augen führt. Die Systematik, mit der dies erfolgt, ist bewundernswert. Allerdings muss man Muse mitbringen, da der Autor akribisch alle relevanten Details zusammengetragen hat. Seine Schritt-für-Schritt-Präsentation erlaubt es seine Gedankengänge lückenlos nachzuvollziehen.

Das folgende Kapitel: "Raum und Zeit: Unbegreiflich in Dimension und Wesen" eröffnet dem Leser einen gut strukturierten Überblick über den Mesokosmos, in dem wir uns mit unseren natürlichen Sinnen orientieren können, und dem in der Tat letztlich unbegreiflichen Makro- und Mikrokosmos. Dort verlässt uns die menschliche Vorstellungskraft. Lehnert verbaut hier jedoch mit logischen Argumenten jedes Hintertürchen für den "Gott der Lücken".

Lehnert setzt beim Leser praktisch nichts voraus, außer grenzenloser Neugier, sich auf das Abenteuer "Begreifen der Welt" einzulassen. Daher mögen manche Passagen gerade dieses "wissenschaftlichen Teils" sehr ausführlich geraten sein, doch genau das macht eben "Warum ich kein Christ sein will" zu einem Kompendium, das vorzüglich belegt, warum letztlich unsere Vorfahren bei einer korrekten Erfassung und Beschreibung unserer Welt scheitern mussten. In "heiligen" Schriften können deshalb keine Wahrheiten stehen, sondern ihr Inhalt entspringt dem äußerst engen Wahrnehmungsbereich, der einer vortechnischen Zivilisation zur Verfügung stand. Heute eröffnet uns gerade die Technik Einblicke in Miko- und Makrokosmos, die eine Gottesvorstellung nach Art der "heiligen" Schriften absurd erscheinen lassen.

Daraufhin – erst nachdem er das erkenntnistheoretische Rüstzeug vermittelt hat – begleitet Uwe Lehnert seine Leser auf das Glatteis der Religionen selbst. Auch hier sind zunächst die Wurzeln an der Reihe, die Aussagen, die uns die "heiligen" Schriften vermitteln. Vor allem die moralische Seite der Religion – ihr gerne verwendetes Aushängeschild – nimmt er unter die empirische Lupe. Die wichtigen Themenkomplex "Schöpfung", "Schuld" und "Sühne" haben es ihm dabei besonders angetan. Er analysiert Bibeltexte nicht mit verharmlosender Exegese, sondern indem er sie präzise mit den Augen eines Nichtklerikers liest. Er nutzt den Kontext einzelner Bibelverse, um zu zeigen, wie unmenschlich sie nach heutigem Verständnis von Gesellschaft wirken müssen – bzw. wirken können, wenn sie ohne beschwichtigende theologische Wortakrobatik gelesen werden. Auch die religiös immer wieder behauptete Willensfreiheit demontiert Lehnert mit psychologischem und philosophischem Bedenken. Damit entzieht er dem Christentum seine wesentlichen ideologischen Fundamente.

Das 5. Kapitel ("Nachdenken über Gott und seine weltlichen Vertreter und deren Moral") wendet sich dann den Auswirkungen der Bibel in der Kirche zu und streift auch das zentrale Religionsproblem: die Theodizee. Auch die "alltäglichste" Behauptung des Christentums, nämlich die Urheberin der Moral zu sein, zerlegt Lehnert gründlich, indem er z.B. auf den mesopotamischen Codex Hammurabi und das ägyptische Totenbuch verweist, in denen es bereits ähnliche "moralische" Regeln gab. Auch die Zehn Gebote werden als untauglich für eine moderne Rechtsordnung entlarvt.

Den persönlichen Weg Uwe Lehnerts aus dem Glauben zeichnet das 6. Kapitel ("Endgültiger Abschied von Christentum und Kirche") nach. Doch er lässt den am Christentum zweifelnden Leser nicht allein, denn sein Weg ist individuell und nur methodisch nachzuahmen. Folglich schließt sich ein letztes großes Kapitel an ("Überlegungen zu einem alternativen Welt- und Menschenbild"), in dem der Autor einen Weg in die Zukunft skizziert, wie die Reise der Menschheit fortgesetzt werden könnte, wie die zentralen Fragen der Religion – z.B. der Sinn des Lebens – ohne Gottesglauben zufriedenstellend beantwortet werden könnten.

In dem kurzen Schlussabschnitt "Mein Credo" gibt Lehnert dem Leser sehr plastisch Mut mit auf den Weg, den schier unmenschlich erscheinenden Kampf für eine säkulare Welt trotz aller Widrigkeiten zu beschreiten: "Jede Bergbesteigung beginnt mit einem ersten Schritt und endet nach einer endlichen Zahl von Schritten. Unüberwindbar erscheinende Schluchten und überhängende Wände werden auftauchen, sie sollten uns und unsere Nachkommen aber nicht entmutigen, den Gipfel im Auge zu behalten und schließlich zu bezwingen. Und wenn der 'Mount Everest des erstrebten Glücks' nicht erreicht wäre, stimmte dann nicht wenigstens die Richtung? Auch der Weg kann das Ziel sein."

Es folgen ein umfangreicher Anmerkungs-Apparat und ein ausführliches Stichwortverzeichnis (39 Seiten), was die Arbeit mit dem Buch erleichtert und gerade unter dem Aspekt eines Kompendiums zur Freude werden lässt. Wäre dies nicht ein wahrhaft geeignetes Geschenk für zweifelnde Gläubige? Es muss nicht so sein, dass man nach der Lektüre automatisch kein Christ mehr sein will – aber schwer nachvollziehbar wäre ein Verbleiben in der Kirche schon.

Uwe Lehnert, Warum ich kein Christ sein will, 6. Auflage, Marburg 2015 (Tectum-Verlag), 500 Seiten Hardcover, ISBN 978–3–8288–3475–0, 24,95 Euro