Der "neue Wuketits"

Gewalt aus evolutionstheoretischer Sicht

BONN. (hpd) Der Biowissenschaftler Franz M. Wuketits legt mit “Mord. Krieg. Terror. Sind wir zur Gewalt verurteilt?” eine Gewaltgeschichte der Menschheit aus evolutionstheoretischer Sicht vor. Der Autor liefert dabei erneut einen Beleg für den Erkenntnisreichtum dieser Perspektive, macht auch die Bedeutung der Ideologie als gewaltverstärkendes Moment aufmerksam, hätte aber auch noch etwas über gewaltminimierende Haltungen und Strukturen schreiben können.

Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte der Gewalt.
Auch wenn der US-amerikanische Psychologe Steven Pinker in seiner aufsehenerregenden und voluminösen Studie “Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit” (2011) in der historischen Gesamtschau einen Rückgang konstatiert hat, lässt sich diese Erkenntnis schwerlich negieren.

Wie kann man nun diese Feststellung aus evolutionstheoretischer Perspektive deuten? Die Frage bildet die erkenntnisleitende Problemstellung für das Buch “Mord. Krieg. Terror. Sind wir zur Gewalt verurteilt?”, das der Biowissenschaftler Franz M. Wuketits vorgelegt hat. Er will darin aufzeigen, “dass Gewalt sich zum einen auf allen Stufen der Menschheitsgeschichte den jeweiligen technischen ‘Fortschritt’ zunutze macht und zum anderen stets aufs Neue ideologisch motiviert wurde und wird.” Ziel sei dabei eine Auseinandersetzung “mit den verhängnisvollen Wechselwirkungen von Technologie und Ideologie vor dem Hintergrund archaischer Verhaltensantriebe …” (S. 8).

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Am Beginn steht denn auch die Feststellung: “Im Anfang war der Mord. Das ist hier also nicht als bloße Metapher gemeint, sondern als knapp gehaltener Hinweis darauf, dass es der Mensch seit Urzeiten verstanden hat, ihm aus welchen konkreten Gründen auch immer unangenehme Artgenossen zu beseitigen” (S. 13). Derartige Handlungsweisen sind indessen, worauf Wuketits zuvor aufmerksam machte, auch den Primaten als engen Verwandten im Tierreich eigen.

Als Ausgangspunkt für diese Gewaltneigung gilt die Konkurrenz um Ressourcen, die in der Natur das Überleben ermöglichen. Der Autor kommt dann auch auf die Aggressionsneigung zu sprechen. Einerseits betont er dabei die Kritik an den Auffassungen von Konrad Lorenz, hält aber dessen Hinweise auf eine “biologische Komponente” und das “stammesgeschichtliche Mitgift” (S. 21) sehr wohl für angemessen. Man müsse auch vom Mythos des edlen und friedfertigen Wilden innerlich Abschied nehmen, hätten sich doch einschlägige Feststellungen von Kulturanthropologen als Irrtümer herausgestellt.

Danach nimmt Wuketits seine Leser mit auf eine Reise durch die Gewaltgeschichte der Menschheit, wobei er mit dem Altertum beginnt und auch die Religionsgeschichte nicht außen vor lässt. Denn: “Die Wiege der abendländischen Kultur war mit Blut besudelt …” (S. 42). Anschließend geht es um die Gewalt im Mittelalter mit Hexenverfolgung, Inquisition und Kreuzzügen und um die Gewalt in der Neuzeit mit Rassismus, Völkermorden und Weltkriegen. Gerade die technologischen Innovationen im Waffenbereich hätten die Möglichkeit zur Massenvernichtung von Menschen gegenüber der Antike und dem Mittelalter noch einmal erhöht. Und schließlich blickt Wuketits auf die Gegenwart, wo Amokläufer und Serienmörder, Gotteskrieger und Terroristen thematisiert werden. Auch wenn er der Grundauffassung von Pinker nicht widerspricht, sieht der Autor doch die Gefahr einer Renaissance der Gewalt und macht dabei auf die “evolutionsbiologisch triviale Tatsache” (S. 121) der Knappheit von Ressourcen wie etwa dem Wasser aufmerksam.

Auch in diesem Buch gelingt es Wuketits inhaltlich komprimiert und leicht verständlich, die Erkenntnisstärke der evolutionstheoretischen Perspektive erneut unter Beweis zu stellen. Er neigt auch nicht zu einer Biologisierung des Gewaltphänomens, heißt es doch: “Nun geht es aber in der Natur um nichts weiter als das nackte Überleben, und der Wettbewerb ums Dasein wird allein von primären Lebensbedürfnissen diktiert. Beim Menschen jedoch kommt noch eine ideologisch motivierte Lebensbewältigung hinzu” (S. 33). Genau diese Einsicht macht auch die Notwenigkeit einer kritischen Prüfung von Weltanschauungen deutlich.

Bedauerlich ist, dass Wuketits die selbstgestellte Frage “Bleibt die gewaltfreie Welt eine Utopie?” unbeantwortet lässt. Er geht nur kurz auf damit zusammenhängende Fragen ein. Auch wäre eine Auseinandersetzung mit gewaltnegierenden Praktiken und Strukturen hier wichtig gewesen. Die Gewalt eskaliert gegenwärtig insbesondere in den “zerfallenden Staaten”. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für Präventionspolitik ableiten?

Franz M. Wuketits, Mord. Krieg. Terror. Sind wir zur Gewalt verurteilt?, Stuttgart 2015 (Hirzel-Verlag), 147 S., ISBN–13: 978–3777625430, 22,80 Euro