Kommentar

Die 5 Phasen nach einem Terroranschlag in Europa

BERLIN. (hpd) Nach Paris und Brüssel scheint der Terror zum Alltag zu gehören. Ebenso die Antwort der Europäer: Medienereignis Anschlag, Trauer und die Diskussion über Trauer und politische Vereinnahmungen – getarnt als Erklärungsversuch. HPD-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger über die 5 Phasen nach einem Terroranschlag – und was man tun kann, bevor man abstumpft.

1. Phase: Der Medienzug rollt.

Ein Anschlag ist passiert. Noch wissen die Medien nicht, wer dahintersteckt, wie genau der Anschlag durchgeführt wurde, ob die Täter noch frei herumlaufen oder was sonst noch so an Information essentielle Bedeutung hat. Trotzdem muss etwas passieren, denn der Leser erwartet irgendwas. Und wenn er das nicht bekommt, wechselt er halt den Sender oder die Webseite oder die Radiostation. Also kann ruhig ein Korrespondent in Paris über ein Ereignis in Brüssel erzählen oder ein verwackeltes Handyvideo bei Twitter per Retweet herumgeschickt werden, ohne dass man vorher seine Authentizität geprüft hat. Auch kann ruhig ein Bekannter der Redaktion, der möglichst nahe am Ort des Anschlags wohnt, angerufen werden, damit der einmal sagen kann: "Wir wissen hier noch gar nichts."

2. Phase: Erklärungen und solche, die es nicht sind.

Noch bevor es ein Bekennerschreiben gibt, haben die sozialen Netzwerke bereits die Erklärung für den Anschlag. Für einige ist die Antwort klar: Die Flüchtlingspolitik. Offene Tore für Gotteskrieger und den Islamischen Staat, verursacht durch Angela Merkel. Auch wenn diese Erklärung natürlich nicht erklärt, warum dann so viele Menschen vor den Taten des Islamischen Staats und des Assad-Regimes flüchten. Oder warum so oft Attentäter eben nicht Flüchtlinge sind, sondern im alten Europa geboren und aufgewachsen sind. Da diese Fragen nicht so recht in den Erklärungsversuch passen würde, regt man sich lieber zusätzlich noch über Kommentare auf, die sagen werden, dass Islamischer Terror nichts mit dem Islam zu tun habe. Ob dieser Kommentar schon gefallen ist oder auch nicht.

3. Phase: Solidarität und Wettbewerb.

Andernorts wird sich in Solidarität geübt. Profilbilder in sozialen Netzwerken werden in die Farben von Landesflaggen gehüllt, es gibt virtuelle Trauergebete und Karikaturen für den Frieden werden geteilt. Bis jemand einwendet: "Aber halt, am gleichen Tag oder vor einigen Wochen ist ein viel größeres Leid passiert und niemand hat getrauert! Ihr seid alle so selektiv und zynisch in Eurer Trauer." Wir sind nun in der dritten Phase, in der sich Leute gegenseitig erklären, wie Solidarität auszusehen hat und wie nicht.

4. Phase: Die Lösung des Problems: Sicherheit.

Inzwischen ist klar, dass der Anschlag einen islamistischen Hintergrund hat. Nun folgt der Auftritt des jeweils amtierenden Innenministers, das Land ist hierbei egal. Er wird sagen: "Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang." Zuerst geht es um einen besseren Austausch zwischen den Behörden. Dann geht es irgendwann um mehr Befugnisse für die Polizei zur Überwachung von Mobilfunk- und Internetdaten. Sprich: Um weniger Freiheiten für den Bürger, um diesen besser zu schützen. Auch wenn es im Endeffekt nur dazu führt, dass Terroristen vorsichtiger werden. Bei den Pariser Anschlägen 2015 nutzten die Attentäter konsequent nur neue Telefone zur Kommunikation und entsorgten diese rechtzeitig – oder nutzten von Opfern gestohlene Smartphones.

5. Phase: Ein Schritt zurück zur Normalität.

Oft schon nach einem Tag geht es langsam in Phase 5 über, denn Phase 4 wird meist noch am Anschlagstag erreicht. Nun geht es zurück zur Normalität. Fast. Denn Ängste, die geschürt werden, verstärken sich. Vermeintliche Erklärungen gewinnen an Attraktivität und die Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen gewinnt an Akzeptanz. Was wird daraus gelernt?

Vieles wäre vielleicht zu lernen, wenn man sich mit Fragen wie diesen beschäftigt:

  • Wie sieht eine gute und kompetente Berichterstattung bei Anschlägen, die nicht zu sehr die Ängste schürt, aus?
  • Wie wird die Anziehungskraft von Terrorgruppen auf junge Menschen zerstört, ohne dass "Märtyrer" produziert werden?
  • Wie verhindert man die Entsolidarisierung der Menschen untereinander? Denn Entsolidarisierung ist das Ziel aller Terroristen.

Und zuletzt:

  • Welches Europa wollen wir verteidigen? Ein offenes Europa oder eines, das sich selbst in Angst immer mehr verschließt?