LEIPZIG. (hpd) Dem Katholikentag in Leipzig fehlen die Besucher, während der Protest gegen das christliche Großevent immer lauter wird. In ihrem Katholikentags-Tagebuch berichtet Daniela Wakonigg von ihren Erlebnissen bei Veranstaltungen vom und gegen den Katholikentag.
Trotz der grünen Schalträger ist es heute wieder erstaunlich leer in der Innenstadt von Leipzig. Ich frage mich, ob Pressevertreter, die von menschengefüllten Straßen schreiben, tatsächlich vor Ort sind. Oder habe ich diese Straßen einfach nur noch nicht gefunden? Ich kann es mir kaum vorstellen, denn auch die Veranstaltungen des Katholikentags selbst scheinen insgesamt nicht stark besucht zu sein. Im Vorbeigehen schnappe ich ein Gespräch auf. Zwei Katholikentagsbesucherinnen unterhalten sich darüber, dass man in Leipzig, ganz anders als beim Katholikentag in Regensburg, für die Veranstaltungen mit den Promis hier ja gar nicht lange anstehen müsse.
Auf dem Plan steht heute eine weitere Veranstaltung aus dem Themenbereich "Leben mit und ohne Gott". Im Oberlichtsaal der Leipziger Stadtbibliothek findet die Podiumsdiskussion "Laizität – Verheißung oder Schreckensbild?" statt. Ein Thema, das nur 35 Katholikentagsbesucher interessiert, die sich in dem großen Saal fast verlieren.
Auf dem Podium – neben zwei VertreterInnen der laizistischen Staaten Frankreich und Türkei – Adrian Gillmann vom Arbeitskreis sozialdemokratischer Laizistinnen und Laizisten. Gillmann führt aus, warum er Laizität, im Gegensatz zu dem in seinen Augen religionsfeindlichen Laizismus, für ein gutes Staatsprinzip hält: weil es allen Weltanschauungen gleichermaßen die Entfaltung sichert.
Gillmanns Gegenspieler ist Christoph Thiele, Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamtes der EKD. Thiele trägt steile Thesen vor. Das aktuelle Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland hält er für das beste mögliche Modell, um Gleichberechtigung für alle Weltanschauungsgemeinschaften zu schaffen. Dass es in Deutschland eine "hinkende Trennung von Staat und Kirche" gibt, hält er für einen überholten Kampfbegriff der Säkularen, da das Bundesverfassungsgericht schon längst klar gestellt habe, dass der Staat eine "fördernde Neutralität" habe. Überhaupt gäbe es bei den Säkularen jede Menge Mythen wie die Tatsache, dass die Bischöfe aus Staatsgeldern finanziert würden. Und im Übrigen seien sowohl Laizismus als auch Laizität das Gegenteil von Religionsfreiheit, sie seien eine Diskriminierung von Religion. Punkt. Belege für seine erstaunlichen Thesen liefert Thiele nicht. Was bedauerlich ist, denn insbesondere, woher seine überraschende Überzeugung zum Thema Bischofsgehälter stammt, hätte mich interessiert. Und übrigens auch, warum so viele Christen den Begriff "aggressive Atheisten" nutzen, aber nur so wenige Atheisten den Begriff "aggressive Christen".
Eine wesentlich besser besuchte Unglaubens-Veranstaltung ist der "Sakri-legere Marsch", der um kurz nach 17:00 Uhr am Connewitzer Kreuz startet. Allerdings hat hierzu auch nicht der Kirchentagsveranstalter eingeladen, sondern "Die Partei", Ortsgruppe Leipzig-Reudnitz. Aus Protest gegen die Subventionierung des Katholikentags mit einer Million Euro aus dem Säckel der hochverschuldeten Stadt Leipzig ziehen im Zeichen eines mannshohen Kreuzes aus Bierkästen rund 150 Demonstranten über die Karl-Liebknecht-Straße Richtung Innenstadt. Mit provokanten Sprechchören kritisieren sie unter anderem die Haltung der katholischen Kirche gegenüber Frauen, Homosexualität und Sinnlichkeit.
Beim soziokulturellen Zentrum naTo verlasse ich den sakri-legeren Protestmarsch, um dem Abendprogramm der Säkularen Tage zu folgen. Heute gibt es einen Vortrag von dem Kirchenfinanzexperten und Politologen Carsten Frerk. Er stellt sein neuestes Buch "Kirchenrepublik Deutschland" vor, in dem es diesmal nicht um die Reichtümer geht, auf denen die Kirchen sitzen, sondern um christlichen Lobbyismus in der deutschen Politik. Frerk stellt dar, wie die Mechanismen des christlichen Lobbyismus funktionieren, wie stark er aufgestellt ist und was er in den vergangenen Jahrzehnten bereits an politischen Entscheidungen bewirkt hat.
Auf Carsten Frerk folgt Gerhard Czermak, ehemaliger Verwaltungsrichter und Autor des Buchs "Religions- und Weltanschauungsrecht". Czermak entführt das Publikum in die Untiefen des Religionsverfassungsrechts. Für Nicht-Juristen keine ganz einfache Materie. Der Vortrag beschäftigt sich unter anderem mit den Regelungen des Grundgesetzes zum Thema Weltanschauungsgemeinschaften, dem Gebot zur weltanschaulichen Neutralität des Staates und den schwerwiegendsten Verstöße gegen dieses Gebot.
Zwei anstrengende aber sehr lehrreiche Vorträge an diesem Abend. Das eigentliche Thema des Abends ist jedoch die heiß diskutierte Frage: Was ist denn jetzt mit Moses – darf er oder darf er nicht in die Innenstadt?
Nach dem zweiten Vortrag gibt es endlich die Antwort: In einem Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht dem 11. Gebot in der Sache Recht gegeben. Natürlich hat der Katholikentagsveranstalter kein Hausrecht in der Innenstadt und darf die Versammlungsfreiheit nicht willkürlich einschränken. Weil aber in der Genehmigung, die die Stadt Leipzig dem 11. Gebot erteilt hatte, fehlerhafterweise Regelungen zu Sicherheitsmaßnahmen bei der Aktion fehlen und das Gericht im Eilverfahren nicht darüber entscheiden kann, ob eine Sicherheitsgefährdung vorliegt, darf Moses trotzdem nicht in die Innenstadt.
Die Organisatoren des 11. Gebots sind allerdings guter Dinge. Für morgen scheinen sie etwas zu planen. Das könnte interessant werden.
16 Kommentare
Kommentare
Nele Abels am Permanenter Link
Warum die Behauptung über die "Mythen" der Bischofsfinanzierung etc.?
Weil es sich eben leichter lügt als beweist. Die Kirchen hatten schon immer ein sehr lässiges Verhältnis zur Wahrheit, das ist ihr Geschäft.
lorz am Permanenter Link
Was ist das mit dem Moses, der nicht in die Innenstadt darf? Muss man das wissen, oder hätte das in obigem Artikel erklärt gehört?
René am Permanenter Link
Das weiß man, wenn man die Eilmeldungen der letzten Tage auf diesem Nachrichtenportal verfolgt hat. ;o)
lorz am Permanenter Link
Hat man aber nicht. Die Texte sollten so formuliert werden, dass auch "Außenstehende" bzw. gelegentliche Mitleser sie verstehen.
Gita Neumann am Permanenter Link
Katholikentag hohl, konfliktscheu und harmoniesüchtig
Wie sehr (!) im Recht die Moses-Figur mit ihrem 11. Gebot "Zahlet Euren Kirchentag selbst" ist, zeigte sich mir erst peu a peu. Als ich am Donnerstag, 26.5. als eingeladene Referentin zur Podiumsveranstalttung "Sterbehilfe oder Sterbebegleitung" anreiste, dachte noch angesichts eines nur etwa halbvollen Saals mit gut 70 Zuhörer/innen verwundert: Da besteht aber wenig Interesse. Da war mir noch nicht klar, dass dies eine gute Quote war angesichts der vielen fast leeren Veranstaltungen. Allein in einem einzigen Zeitfenster von 14 - 15.30 Uhr gab es am Do 104 Parallelveranstaltungen! Das überaus pompöse und irrsinnig aufgeblasene Programm als Maßstab für die Bedeutung der Kirche? Als quantitativen Ersatz für qualitativ massive Konfliktscheu und Mangel an Auseinanderstzungsfähigkeit?
Man hätte sich viel besser auf ein Viertel bis ein Drittel der Veranstaltungen "beschränken" und dann von den 10 Millionen Kosten ja den entsprechend geringeren Anteil selbst übernehmen, also das 11. Gebot befolgen könne. Insgesamt weist das Programm ca. 1750 Referent/innen aus. Ich selbst erhielt Fahrtkosten und Übernachtung (ca. 100 Euro im Messehotel).
Als eine Art Alibi-Humanistin war ich eingeladen auf einem sich nur scheinbar streitbar anhörenden Podium "Sterbehilfe oder Sterbebegleitung?" zusammen mit 4 Christen-VertreterInnen: Hospizleiterin, Krankenhausseelsorgerin, SJ-Philosoph, Pfarrer. Als Impuls wurde das würdevolle Sterben im Hospiz vorgestellt mit Zitaten von Bewoher/innen. Im Vorgespräch vor Ort hatte ich angeboten, auch Zitate zu bringen, allerdings aus der Beschreibung einer Tochter "Wie unser Vater im Pflegeheim starb" - ein erschütternder Bericht von Anfang 2016 aus dem an sich ja gut versorgten Berlin (Schlaganfallpatient mit schlecht verheiltem Oberschenkenhalsbruch im gelähmten Bein mit unerträglichen Schmerzen), den ich dabei hatte: Die Famile schafft es trotz massiver Anstrengung bei zig Palliativmedizinern und SAPV-Teams
("Wir sind für Krebspatienten zuständig"), Schmerzambulanzen, Anfragen bei über ein dutzend Ärzten zusammen mit dem Pflegeheim usw. nicht, halbwegs kontinuierliche Abhilfe zu schaffen. Es werden meist nur Fentanylpflaster verordnet, zwar auch höherdosiert - die aber gar nichts nutzen, da der alte Mann bei nur noch 40 kg gar kein Unterhautfettgewebe mehr hat, welches für die Wirkung erforderlich ist. Im Krankenhaus, als das betroffene Bein einmal zum Röntgen gestreckt werden muss, wird eine Narkose verweigert - Kreislauf zu instabil, Patient könnte daran ja sterben - die Schmerzensschreie werden die Kinder nie vergessen.
Doch hier, am Diskussionsort des Katholikentags, will davon niemand hören. Ich soll das doch lieber nicht bringen, heißt es im Vorgespräch mit den anderen Podiusmteilnehmerinnen - ein Extremfall. Wir sollten doch das Publikum nicht "in Panik" versetzen, sondern tröstlich wirken.
Also Kuschelkurs - ja es bleibt auch im Pflegeheim hospizlich noch viel zu tun, heißt es dann im Abschlusstatement.
Immerhin habe ich dort kundgetan: Es ist der Kathololischen Kirche anzulasten, dass immer noch und wieder zunehmend die Gefahr einer Sterbeverkürzung so abschreckend wirkt - ein Kollateealschaden des § 217 StGB, den wir der erfolgreichen Kirchen- und Hospizlobby zu verdanken haben. Im Publikum und auf dem Podium: Null Reaktion darauf, weder zustimmend noch zurückweisend. Es wird so hingenommen - eine Auseinandersetzung findet nicht ansatzweise statt.
Im Publikum etliche Palliativärzte und -ärztinnen offenbar aus dem Münsterland und NRW: Probleme werden quasi abgestritten, es wird das Loblied der Palliativmedizin gesungen. Patientenverfügungen würden doch heute überall dankbar zur Kenntnis genommen und befolgt. Einziges Problem: Ja, die Krankenkassen würden sich noch oft genug bei der Kostenzusage schwer tun. Dann Schluss der überaus harmonischen Veranstaltung.
Eine (teils sogar leicht defensiv gefärbte) Moll-Stimmung scheint mir für den Katholikentag durchgängig gewesen zu sein. Verständnis aller Orten, es sollen doch die Gemeinsamkeiten statt Trennendem bei allen Menschen guten Willens betont werden - bloss um Himmelswillen keine Konflikte ansprechen oder sich darüber gar streitbar auseinandersetzen.
In einer Podiumsveranstaltung u. a. mit dem Präsidenten des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg "Beiträge zur Gestaltung einer guten Gesellschaft" gab es einen einzigen Streitpunkt - den der Redakteur Thomas Bille kurz ansprach: Hätte man die AFD nicht doch besser einladen sollen? Ansonsten vermittelten die Teilnehmer/innen (darunter eine Bundestagsabgeordente der Linken) für mein Gefühl auch dort die "Saft-und Kraftlosigkeit", welche Gysi zurecht beklagt - und einen schon abenteuerlichen Konsens. Allein dass sich die Bischöfin Rosemarie Wenner aus Frankfurt a.M. stets allein auf ihren Gottesglauben berief, fiel aus dem Rahmen.
Die offene Präsenz in der Stadt, die vielen kreativ gestalteten weißen Spitzdach-Zelte, die vielen internationalen Musikdarbietungen unter offenem Himmel oder in der Bahnhofhalle habe ich durchaus als gelungen und anerkennenswert empfunden.
Alles gut, teuer und schön. Wenn wir denn nicht in einer Welt und Realität leben würden, die den Verzicht auf streitbare Auseinandersetzung um richtige und falsche Wege durchaus zur Sünde machen.
Gita Neumann (Humanistischer Verband Deutschlands, Berlin)
Sven Schultze am Permanenter Link
Liebe Frau Neumann, vielen Dank für diese ausführlichen interessanten Impressionen. Das hätte doch auch ein ganzer Artikel werden können (sollen).
Dieter Bauer am Permanenter Link
Kirchentage sind dazu angetan, geistliche Hymnen an die Nacht zu verbreiten. .... und stört mir meine Schauermärchenvorträge nicht .... , so schallt es aus Leipzigs leeren Gassen.
Rosebrock, Almut am Permanenter Link
Liebe Frau Neumann!
Ich war auch beim Katholikentag - und mir haat es gut gefallen.
Ich war allerdings nicht in so speziellen Veranstaltungen, sondern viel einfach so in der Stadt unterwegs. Mich haben die vielen Begegnungen ermutigt - und die großen Gottesdienste auf dem Augustusplatz - der auch schon so ganz Anderes erlebt hat - werden mir in dauernder Erinnerung bleiben. Ich bin übrigens evangelische Christin mit viel Kirchentagserfahrung.
Gita Neumann am Permanenter Link
Liebe Frau Rosebrock,
M.f.G.
Gita Neumann (HVD), Berlin
Peter Friedrich am Permanenter Link
Nach all dem angerichteten Leiden wenn möglich, eine kurze Frage an Sie, Frau Rosebrock, die man öfters auf braunreligiösen Internetseiten sieht, wo mit ungeheurer Empathielosigkeit und Häme Minderheiten besudelt werd
Wolfgang am Permanenter Link
Der Kirchentag macht mich sehr nachdenklich: Erstens, Jesus war nicht eingeladen, Gott erschien nicht, aber als ein "Moses" den Kirchentag "störte", waren die "Gläubigen" sofort bei einem
Übrigens erlaube ich mir auch die Frage, die Zuschüsse waren ja sehr hoch, denn man hatte mit mehr "Pilgern" gerechnet. Muss jetzt zurückgezahlt werden???
timur am Permanenter Link
hallo wolfgang, ich genieße den pressedienst sehr - aber nur immer bis ich auf deine kommentare stoße. Als Atheist tue ich mich fremdschämen für deine prollig-primitiven anteile.
mit grolligem gruß
tmur
Paul am Permanenter Link
Ja das leidige Sicherheitsproblem, es wird ein Ziel verfolgt und wenn es mit der einen Begründung nicht klappt, wird es eben auf die andere Weise mit einem Sicherheitsproblem begründet - hatte Moses etwa ein Standhaft
Andi am Permanenter Link
Die in "Lügenkunde" bewanderten Steuerverschwender und Parasiten schaffen es nicht mal nach Jahrhunderten kriegerischer Auseinandersetzungen unter sich Christen gemeinsam zu Abend zu essen.
"Die Wahrheit siegt!"
Kay Krause am Permanenter Link
Hallo Andi! Mit dem Begriff "Wahrheit" ist das man so 'ne Sache. Genau mit dem selben Wort argumentieren nämlich auch die indoktrinierten Verteidiger von Gott und Glauben!
Kay Krause am Permanenter Link
Hier zur Abwechsling mal kein Kommentar, sondern ein herzliches "Dankeschön" an Daniela Wakonigg für ihre erfrischenden Berichte,