Pressefreiheit

Kritischer Redakteur beim Südkurier kaltgestellt

KONSTANZ. (hpd) Nach rund neun Jahren ist Michael Lünstroths Zeit als Redakteur beim Südkurier wohl endgültig abgelaufen. Er bekam eine Abmahnung und darf nur noch Schreibtischdienst verrichten. Kaum vorstellbar, dass sich daran noch was ändert. Es sieht so aus, als unterwerfe sich sein Arbeitgeber auch wirtschaftlichen Interessen und ist bereit, dafür einen verdienten Mitarbeiter über die Klinge springen zu lassen.

Damit aber setzen die Verantwortlichen beim Südkurier fahrlässig ihre journalistische Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Ein Vorgang, der weit über die Stadtgrenzen hinaus für Aufsehen sorgt.

Mittlerweile ist hinreichend belegt: Lünstroths Berichterstattung über die bevorstehende Schließung des Scala-Kinos und seine Kritik über die zunehmende Verramschung der Konstanzer Innenstadt wurde ihm zum Verhängnis. Mehrfach hatte der Redakteur über Wochen hinweg die Verwaltungsoberen für ihre Untätigkeit und kulturpolitische Ignoranz gegeißelt. Seiner Meinung hätte sich vor allem CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt intensiver für das beliebte Kultkino einsetzen sollen. Da dem nachweislich nicht so war, attestierte Lünstroth dem Rathauschef mangelndes Gespür für die Bedürfnisse eines großen Teils der Bevölkerung. Der Fall Scala zeige, so der Journalist sinngemäß in einem seiner letzten Texte, wie weit sich Burchardt mittlerweile von der Realität entfernt habe.

Daraufhin, so vertrauliche Meldungen aus dem Rathaus, drohte dem Hausherrn schier die Halsader zu platzen. Denn eines kann der gelernte Forstwirt Burchardt gar nicht ab: Kritik an seiner Amtsführung, die nach Ansicht kommunalpolitischer Beobachter der größten Stadt am Bodensee zunehmend autokratische Züge anzunehmen drohe. Als er aus Lünstroths Feder auch noch lesen musste, dass sein lauer Einsatz für das Scala-Kino "Gerede ohne viel Substanz" gewesen sei, soll er seine guten Kontakte zur Südkurier-Chefetage in Gang gesetzt haben. Kurz darauf verschwand Michael Lünstroth in der journalistischen Versenkung.

Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit

Die Degradierung des angesehenen Kollegen wirbelt verlagsintern viel Staub auf, der sich aber zum großen Leidwesen der Geschäftsführung zunehmend durch die Türritzen zwängt und nun stückweise die Öffentlichkeit erreicht - nachzulesen auf dem Konstanzer Internetportal seemoz, dessen Zugriffsraten seitdem gewaltig steigen.

Bei einer eilig einberufenen Betriebsversammlung letzte Woche hat Chefredakteur Stefan Lutz erklärt, Lünstroth habe sich bei seiner Scala-Berichterstattung nicht an die "journalistische Sorgfaltspflicht" gehalten. Dafür allerdings fehlt jeder Beleg und die überwiegende Mehrheit der Südkurier-RedakteurInnen forderte, die Sanktionen gegen den beliebten Kollegen umgehend zurückzunehmen. Dennoch bleibt Lutz dabei: Die Abmahnung bleibt bestehen und Lünstroth darf "bis auf Weiteres" nur Schreibtischdienst verrichten, hat also ein klassisches Schreibverbot. Auch der Betriebsrat schweigt – noch. Man habe mit der Chefredaktion vorläufig "absolutes Stillschweigen" vereinbart. Doch das wird sich nicht lange halten lassen, denn die Südkurier-Belegschaft fordert eine klare Stellungnahme gegen den Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit.

Wirtschaftliche Interessen im Hintergrund

Längst hat sich herumgesprochen, dass die Stadt Konstanz beabsichtigt, ein eigenes Amtsblatt herauszugeben, das jeden Haushalt erreichen soll. Die Diskussion darüber blieb auch dem Südkurier nicht verborgen, der bisher für den Abdruck öffentlicher Bekanntmachungen der Stadt jährlich rund 70.000 Euro in Rechnung stellen durfte. Mit einem Amtsblatt fiele dieses lukrative Zusatzgeschäft weitgehend weg. Damit sich der drohende Verlust in Grenzen hält, hofft der Südkurier, das zukünftige Amtsblatt dann zumindest drucken und auch verteilen zu können. Das Projekt wird ausgeschrieben und der Konstanzer Gemeinderat entscheidet über die Auftragsvergabe. Doch der Standortvorteil der örtlichen Tageszeitung dürfe, so mehrere Kommunalpolitiker, nicht unterschätzt werden und müsse bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen.

Um den angedachten Deal nicht schon im Vorfeld zu gefährden, machte es sich natürlich gar nicht gut, dass Redakteur Lünstroth mit seiner Verwaltungsschelte in Sachen Scala sozusagen zur Unzeit der städtischen Verwaltungsspitze an den Karren gefahren war und somit dazu beigetragen hat, die Stimmung zwischen Rathaus und Südkurier-Management zumindest kurzfristig in den Keller sacken zu lassen.

Michael Lünstroth erschwerte mit seiner journalistischen Berufsauffassung, zu der auch Kritik und kontroverse Debatten gehören, ein sich anbahnendes Geschäftsmodell und soll nun, um den Burgfrieden zwischen den Hauptakteuren wieder herzustellen, im Gegenzug als eine Art Bauernopfer zum finalen Abschuss freigegeben werden.