BERLIN. (hpd) Der Autor Dennis Riehle hat in einem Kommentar beim Humanistischen Pressedienst gefordert, die Freigabe auch sog. "weicher" Drogen generell zu verbieten. Das fordert Widerspruch regelrecht heraus. Frank Nicolai erklärt, weshalb die Legalisierung eher positiv für die Gesellschaft wäre.
Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch selbstverantwortlich ist und es soweit nur möglich allein in der Hand hat, über sein Leben zu bestimmen, muss man auch davon ausgehen, dass er seine Gesundheit wissentlich ruinieren darf.
Das klingt erst einmal irritierend, ist aber die logische Schlussfolgerung aus der Selbstverantwortung. Und so stehen in allen Supermärkten, "Spätis" und Tankstellen die weichen Drogen Alkohol und Tabak dem mündigen Bürger zum Kauf zur Verfügung. Das soll gleich angemerkt sein: Die Rede ist hier immer vom erwachsenen Menschen; von einem Menschen, der seine Selbstverantwortung auch wahrzunehmen in der Lage ist. Nicht umsonst gibt es Verkaufs- und Ausschankverbote für Kinder und Jugendliche.
Häufig wird – das erinnert an die Sterbehilfedebatte – mit dem Dammbruch argumentiert: Wenn man Marihuana und Haschisch legalisiert, wird dem Missbrauch von – im Artikel von Dennis Riehle angesprochenen – Crystal Meth und anderer harter Drogen Tür und Tor geöffnet. Dieses Argument ist jedoch keines. Nachweislich wird kein "Kiffer" automatisch zum Konsumenten von Methamphetaminen. So wenig, wie jeder Tabakraucher zu einem Marihuana-Raucher wird.
Auch hier sollte ein Blick in die Niederlande genügen, um die Unsinnigkeit dieser Argumentation aufzuzeigen: Dort ist der Erwerb und der Genuss von Marihuana ab 18 Jahren straffrei (nicht zu verwechseln mit legal!). Es existieren sogenannte "Coffee-Shops", in denen Marihuana gekauft und sofort in einer angenehmen Atmosphäre geraucht werden kann. Alle anderen Drogen außer Tabak und Alkohol sind auch in den Niederlanden illegal. Es zeigt sich hier, dass der Drogengebrauch nicht zu-, die Strassenkriminalität jedoch abgenommen hat.
Es entspricht sehr wohl einem humanistischen Menschenbild, wenn davon ausgegangen wird, dass jeder Mensch ein "Recht auf Rausch" hat. Der Drogengebrauch ist die freie Entscheidung jedes Einzelnen und gefährdet vor allem denjenigen gesundheitlich selbst. Sogar die Sozialschädlichkeit von z.B. Alkohol (zerbrechende Sozialstrukturen, gesteigertes Aggressionsverhalten) nimmt die Gesellschaft in Kauf, da die Freiheit des Individuums – zu Recht – gewichtiger eingeschätzt wird, als die Kosten, die für die Gesellschaft entstehen.
Obwohl längst über gesundheitliche Risiken aufgeklärt wurde sind Alkohol und (eingeschränkt) Tabak Teil unserer Kultur: Diese Drogen sind fester Bestandteil gesellschaftlich akzeptierter Rituale und Feiern. Das gilt in gleichem Maße in der Jugendkultur längst auch für Marihuana (und für härtere Drogen). Nicht ohne Grund ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz jeweils Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge.
Die Kriminalisierung der "weichen Drogen"
Zu den eher auf die Freiheit des Einzelnen abstellenden Argumenten kommt ein gesellschaftliches hinzu:
Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. Die überwiegende Zahl der Drogenkonsumenten lebt ein normales Leben. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals sozial integriert. Menschen mit problematischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen. (Schildower Kreis)
Die Kriminalisierung der "weichen" Drogen Marihuana und Haschisch bindet viele Kräfte in Polizei und Justiz. Und dazu noch relativ erfolglos. Ein abendlicher Spaziergang durch den Berliner Görlitzer Park oder über den Hermannplatz bestätigen das. Gerade hier wird auch offensichtlich, dass mit dem (illegalen) Verkauf auch eine erweiterte Kriminalität einhergeht.
Einer der bekanntesten Befürworter der Freigabe weicher Drogen ist der Bernauer Jugendrichter Andreas Müller. Er fordert in einem ZEIT-Interview Hanfplantagen in staatlicher Hand. Der Autor des Buches "Kiffen und Kriminalität" geht mit der derzeitigen Kriminalisierung hart ins Gericht: "In den vergangenen 40 Jahren haben wir mehr als eine halbe Million Menschen nur wegen Cannabis ins Gefängnis gesteckt, oft junge Leute, wir haben dadurch Leben und Familien völlig unnötigerweise zerstört, Menschen stigmatisiert und erst auf die schiefe Bahn gebracht…"
Und möglicherweise wird das Land sogar friedlicher: "Wenn wir auf einen Schlag alle Trinker, von denen es ja Millionen gibt, gegen Kiffer austauschen könnten, hätten wir in der Bundesrepublik kaum noch Probleme mit Aggressionen. Der Alkohol ist unser größtes Problem. In all meinen vielen Jahren als Jugendrichter hatten praktisch alle Gewaltdelikte mit Alkohol zu tun, aber nicht eins war auf alleinigen Cannabis-Konsum zurückzuführen."
8 Kommentare
Kommentare
Sim am Permanenter Link
Hier ist auch noch ein ganz ausgezeichneter Beitrag zum Thema.
https://youtu.be/wJUXLqNHCaI
Einer der wichtigsten Aspekte der ganzen Diskussion ist die schlichte Tatsache, dass der Staat gar nicht in der Lage ist Menschen vom Konsum von Drogen abzuhalten. Damit ist ja allein schon die Debatte ob man es verbieten sollte oder nicht hinfällig. Selbst wenn man davon ausgeht dass Drogen ein Übel sind. Wenn ich nicht in der Lage bin das Übel mit einem Verbot zu beseitigen sondern im Gegenteil noch mehr Übel produziere, dann muss die Vernunft siegen und zumindest das selbst verursachte Übel reduziert werden.
Menschen überdies für Dinge zu bestrafen mit denen sie sich nur höchstens selbst schaden halte ich für inhuman. Wenn ich so darüber nachdenke, dann fällt mir auf das Menschen ganz generell dazu neigen das Verhalten anderer Menschen mit externen Zwängen wie eben der Androhung von Strafen zu beeinflussen. Wieso setzt man nicht häufiger auf die humanerer Alternative? Nämlich dem in Aussicht stellen von Belohungen. Immer nur Strafe, Strafe, Strafe. Das erinnert mich an den christlichen strafenden, drohenden, rachsüchtigen Gott. Immer feste Druff wenn mir was nicht passt. Ich schweife ab, aber das ist mir gerade nur mal so aufgefallen :)
Hänfling am Permanenter Link
Alles sehr plausibel dargelegt. Allein: bei den Entscheidungsträgern kommen vernünftige Argumente nicht an. Es scheint also ein Problem mit einer gewissen Ideologie zu geben.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Frank,
ich kann deine Argumentation nachvollziehen, doch ist es eher ein Plädoyer gegen Alkohol.
Zigaretten sind in gewissem Sinn das harmloseste Problem, weil sich der Raucher selbst am meisten schädigt, wenn er im Freien raucht oder in Räumen in Gegenwart von Nichtrauchern eben nicht. Mittelbar wird natürlich die Gesellschaft geschädigt durch höhere Gesundheitskosten, für die die Solidargemeinschaft geradestehen muss.
Aber Autofahren etc. wird durch normales Rauchen nicht gefährlicher (von der heruntergefallen Kippe abgesehen) und Rauchen wirkt auch Aggression eher entgegen.
Alkohol, wie du Mülle richtig zitierst, enthemmt und lässt verborgene Aggressionen leichter heraus. Alkohol ist für viele "Enthemmungstaten", auch im Bereich Sexualität, verantwortlich.
Kiffen mag hier eher beruhigend wirken, ich kann es aus eigener Erfahrung nicht beurteilen. Jedoch sorgt es - im Gegensatz zu normalen Zigaretten - für einen wie auch immer gearteten Rauschzustand, d.h. für einen Verlust an Selbst- oder Umweltwahrnehmung. Wäre dem nicht so, könnte man sich das vergleichsweise teure "Gras" sparen. Wie kann nun getestet werden, ob jemand Haschisch konsumiert hat?
Ich argumentiere mal ganz praxisnah: Fährt einer Schlangenlinien bläst er ins Röhrchen und sein Alkoholspiegel kann gemessen werden. Doch wie kann man einen THC-Spiegel testen? Mit Blutentnahme. D.h. im Verdachtsfall müsste entweder ein Arzt in jeder Polizeistreife sitzen oder jeder Verdächtige müsste zur Wache, um dort das Blut zu entnehmen. Oder Polizisten müssten medizinisch dahingehend weitergebildet werden, die Blutentnahme vor Ort selbst vornehmen zu dürfen, inkl. Auswertung.
Jetzt mag man die Gefährdung des Straßenverkehrs durch Hasch-Konsum kleinreden wollen (so wie Alkohol-Konsumenten dies gerne tun), Null ist sie gewiss nicht. Eine Legalisierung (die sicher viele Vorteile mit sich bringt, z.B. Entkriminalisierung) würde m.M.n. derartige Polizeikontrollen komplizierter machen. Der reine Geruch von Haschisch im Auto wäre dann nämlich kein Grund mehr, den Fahrer festzusetzen. Auch und schon gar nicht der Fund einer "Tüte".
Auch der Geruch nach Alkohol darf nicht automatisch zu einer polizeilichen Maßnahme führen. Aber während der Alkoholspiegel problemlos gemessen werden kann, stelle ich mir das bei Haschisch anspruchsvoller vor.
Würde dies nicht neue Kosten für Überwachung im Straßenverkehr - die wegen Rauschmittelmissbrauch und der resultierenden Fremdgefährdung notwendig bleiben wird - produzieren? Quasi Standard-Bluttests für Autofahrer, die in eine Kontrolle geraten? Bei der rechtlich möglichen Verweigerung müssten alle mit zur Wache genommen werden etc. pp.
Dies ist kein Argument gegen Haschisch (in der Tat hat jeder das Recht, mit seinem Körper und Gehirn machen zu können, was er will), aber möglicherweise gegen eine Legalisierung.
Eine Idee, um aus diesem Dilemma herauszukommen, wäre, z.B. über entsprechend hohe Steuern auf Haschisch sämtliche dieser Kosten auf die Konsumenten abzuwälzen, so, wie ich auch dafür bin, alle Kosten für Alkohol- und Zigarettenkonsum den jeweiligen Konsumenten aufzuhalsen - über entsprechend hohe Steuern.
Ich bin da ganz deutlich: Jeder darf sich selbst (!) schädigen, aber solange diese Schädigung freiwillig und bewusst geschieht, sollte die Gesellschaft von den Folgeschäden verschont bleiben. Auch Fremdschädigungen müssen vollständig aus diesem Steuertopf (oder freiwilligen Versicherungen, die die Konsumenten abschließen) finanziert werden. Z.B. könnte der Nachweis einer Fremd- und Eigenschädigungsversicherung durch Drogenkonsum von der Tabak-/Alkohol- oder Haschischsteuer befreien.
Das mag Zigaretten, Alkohol und Haschisch dramatisch verteuern, aber wenn die Steuer flexibel ist, d.h. stets dem tatsächlichen gesellschaftlichen Schaden angepasst wird, dann könnte dies einen lehrreichen Effekt haben, dass nämlich Drogenkonsumenten verantwortlicher mit ihren Drogen umgehen, als dies bisher geschieht.
Ich trenne also durchaus zwischen verantwortlichem und unverantwortlichem Umgang mit Drogen welcher Art auch immer. Selbst den Suchtfaktor könnte man vernachlässigen, weil sich in der Tat jeder Konsument primär selbst schädigt. Wobei es noch viele ungeklärte Fragen gibt: Was ist, wenn jemand durch seinen Konsum von was auch immer arbeitsunfähig wird? Was ist, wenn jemand dadurch stirbt und Hinterbliebenenrente gezahlt werden muss? Und und und...
Auch dies müsste eigentlich aus dem Topf der Tabak/Alkohol/Hasch-Steuer finanziert werden. Ausnahmen wären natürlich medizinische Gründe, die für Hasch-Konsum sprechen. Aber hierbei wird ja ein Nutzen erzielt, während der medizinisch nicht indizierte Konsum von Rauschmitteln höchstens dem Konsumenten einen subjektiven Nutzen bringt.
Diese gesamte Problematik könnte man natürlich auch auf alle anderen Suchtfaktoren erweitern (Spielsucht, Handysucht etc.). Was der Staat (von der Gesellschaft getragen) anbieten muss, ist ein umfangreiches Hilfsangebot für Aussteigewillige, denn nicht jedem bekommt seine Sucht gut. Dann könnte eine Kriminalisierung entfallen (da diese in der Tat unnötig viel Kapazität im juristischen und exekutiven Bereich bindet).
Ein weites Feld also, das ergebnisoffen diskutiert werden muss...
Sanktmax am Permanenter Link
Teilweise ist Ihre Argumentation nicht nachvollziehbar. Wenn beispielsweise ein starker Raucher mit 65 an Lungenkrebs/Herzinfarkt etc.
Rage Davis am Permanenter Link
Seit wann sind Tabak und Alkohol "weiche Drogen"?
Thomas Friedrich am Permanenter Link
Ich würde die Legalisierungsforderung nicht auf weiche Drogen beschränken.
Davon abgesehen ist es nicht so, als wäre Cannabis die einzige weiche (illegale) Droge. Psychedelische Drogen wie LSD sind in Sachen Toxizität und Abhängigkeitspotenzial sogar noch harmloser. Außerdem haben sie ein großes therapeutisches und philosophisches Potenzial.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schöne Replik, Frank; aber ein sehr kontrovers diskutiertes Thema.
Roland Fakler am Permanenter Link
Es ist natürlich eine Dummheit, wenn der Staat Leute die Marihuana oder Cannabis konsumieren wie Schwerverbrecher behandelt. Das müsste auf jeden Fall geändert werden.
Aber eine Weltanschauung, die die Menschen zu gesunder Lebensweise motiviert, ist auf jeden Fall besser, gemessen an der Lebenstüchtigkeit, als eine, die Drogen und Giftstoffe verharmlost. Sollte dies allgemeine Position der Humanisten werden, schaden sie nicht nur ihren Anhängern, sondern auch der ganzen Bewegung. Dann müsste ich nämlich leider sagen: „Der Islam ist gesünder, so schlecht ich ihn finde, weil er seine Anhänger vor Giftstoffen wie Alkohol und Nikotin warnt“. Humanisten sollten nicht dafür eintreten Alkohol durch Marihuana und Cannabis zu ersetzen, sondern durch Apfelsaft und Orangensaft. Das gesellschaftliche Umfeld und die herrschende Ideologie, die sagt was „cool“ ist, können viel zu einer vernünftigen und gesunden Lebensweise beitragen oder auch das Gegenteil bewirken. Viele werden erst dann zu diesen Drogen greifen, wenn vernünftige Menschen es gar nicht so dumm finden, sich damit selber zu schaden. Dass wir hier verschiedener Meinung sind, ist ja wohl auch schon milieubedingt, ich wohne in einem schwäbischen Dorf und in Berlin verlangt man nach einer ideologischen Rechtfertigung für das Kiffen, weil es längst praktiziert wird.