Das Cannabisgesetz der Bundesregierung leitet einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik ein, weg von Verboten und Strafe, hin zu mehr Jugendschutz, Gesundheitsschutz und Schwächung des Drogen-Schwarzmarktes. Das betont der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert (SPD). "Verbot und Strafe sind definitiv die falschen Mittel, um Präventionsarbeit zu machen. Sie erschweren, über Drogen-Konsum zu reden und führen zur Tabuisierung. Kein Wunder, dass trotz Verboten und Kriminalisierung nicht weniger, sondern immer mehr konsumiert wurde", betont er.
Herr Blienert, das Cannabisgesetz soll die Konsumenten entkriminalisieren und den Schwarzmarkt schwächen. Auf welchen Erkenntnissen beruht die Hoffnung, dass das die richtige Strategie ist?
Burkhard Blienert: Die Erfahrungen anderer Länder zeigen: Es macht Sinn, Menschen, die Cannabis konsumieren wollen, legale Zugänge zu ermöglichen, wenn man zugleich für konsequenten Jugendschutz sorgt, Werbung verhindert und Präventionsarbeit leistet. Der klar geregelte Eigenanbau ist ein Weg, der dafür sorgt, dass Menschen nicht mehr auf den Schwarzmarkt angewiesen sind. In Kanada zum Beispiel sind über 70 Prozent der Cannabis-Konsumierenden bereit, legale Wege zu nutzen. Das zeigt, dass legale Wege angenommen werden.
In europäischen Nachbarländern gibt es aber ganz unterschiedliche Erfahrungen mit liberaler Drogenpolitik, etwa in Portugal oder den Niederlanden.
In den Niederlanden hat man mit dem Modell der Tolerierung des Verkaufs in Coffeeshops nie geklärt, woher das Cannabis kommt. Dort hat sich die Organisierte Kriminalität das Geschäft des Anbaus und Großhandels aufgeteilt. Da gehen wir in Deutschland einen völlig anderen Weg. Und auch die Niederlande erprobt nun über Pilotprojekte, wie die Kette des Handels und Konsums von der Organisierten Kriminalität befreit werden kann. Die Portugiesen machen sehr gute Erfahrungen mit der Entkriminalisierung der Konsumierenden, die von Präventions- und Frühinterventionsmaßnahmen begleitet wird.
Warum brauchen wir jetzt ein solches Gesetz überhaupt?
Weil Verbot und Strafe definitiv die falschen Mittel sind, um Präventionsarbeit zu machen. Sie erschweren, über Drogen-Konsum zu reden und führen zur Tabuisierung. Kein Wunder, dass trotz Verboten und Kriminalisierung nicht weniger sondern immer mehr konsumiert wurde. Und wir müssen dafür sorgen, dass die, die auf den Konsum nicht verzichten wollen oder können, kleineren Risiken ausgesetzt sind.
Den legalen Besitz und Konsum von Cannabis sehen viele kritisch. Kinder und Jugendliche könnten durch die Freigabe zum Konsum ermuntert werden, denn was der Staat erlaubt, kann doch nicht schädlich sein, heißt es etwa.
Die Botschaft ist eindeutig: Keine Drogen in die Hände von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Die Realität heute ist, dass bereits 12-Jährige Cannabis konsumieren – trotz aller Verbote. Darum müssen wir zum Beispiel über Schulen oder Sportvereine durch Prävention und Frühintervention eingreifen. Wir müssen eindeutig klarmachen, Drogen sind für unter 18-Jährige extremst ungesund. Und, wenn sie dennoch Drogen nehmen, brauchen wir flächendeckend Beratung und Hilfe.
Die Angebote an Schulen sind Sache der Länder und Kommunen – mit bekanntlich meist klammen Kassen. Wie soll Präventionsarbeit dort auf sicheren Beinen stehen?
Da die Finanzierung in der Vergangenheit immer wieder zur Disposition stand, brauchen wir jetzt eine ernsthafte Debatte darüber, wie wir Prävention wirklich verstetigen können. Wir haben ein Drogenproblem in Deutschland und wir brauchen verlässliche Präventions- und Hilfestrukturen! Wir können nicht nach dem Motto weiter machen: Was wir nicht sehen wollen, darum kümmern wir uns nicht. Wir müssen genau hinschauen! Bei der Finanzierung sind Länder und Kommunen, aber auch der Bund in der Pflicht.
Der Jugendschutz wird groß geschrieben in dem Gesetz und soll etwa durch Zonen, in denen Cannabis nicht konsumiert werden darf, umgesetzt werden. Wer soll das kontrollieren?
Das Parlament wird ein praktikables Gesetz beschließen, das die gesteckten Ziele erreichen wird. Es muss einen praktikablen Ansatz geben, wie Sicherheits- und Kontrollbehörden damit vor Ort umgehen können. Wichtig ist auch, dass wir die schlechten Erfahrungen mit Alkohol und Tabak im Blick haben. Wenn wir ehrlich sind, brauchen wir eine Gesamtdebatte darüber, was im öffentlichen Raum möglich sein soll und was nicht. Die Frage nach geschützten Bereichen muss an sich gleichermaßen für das Rauchen und den Konsum von Alkohol gelten. Das ist das Konfliktfeld, für das die Gesellschaft noch keine klare Antwort gefunden hat.
Auch für die Anbauvereine sollen strikte Vorgaben für die Abgabe von Cannabis an ihre Mitglieder gelten. Was macht Sie so sicher, dass diese Vereine die Drogen nicht doch auch außerhalb verteilen?
Diejenigen, die so einen Verein gründen, wissen um ihre Verantwortung. Zudem sind die Menschen eher bereit, sich an Regeln zu halten, als dagegen zu verstoßen. Der Aufwand der Gründung eines Cannabisvereins wird sich für kriminelle Akteure kaum lohnen. Außerdem werden die Vereine auch staatlich kontrolliert; das ist sehr unattraktiv für Kriminelle.
Für die Berliner Partygänger am Wochenende ist es doch einfacher, auf dem Weg zum Club noch schnell im Görlitzer Park vorbeizuschauen, um sich Drogen zu besorgen oder?
Deswegen ist die zweite Säule ja so wichtig, also, dass wir über lizensierte Fachgeschäfte in Modellregionen letztlich auch für die Gelegenheitskiffer Möglichkeiten schaffen, sich Cannabis legal zu besorgen. Das ist eine wesentliche Ergänzung. Erst mit der zweiten Säule steht das Haus und ist bezugsfertig.
Kommen mit dieser zweiten Phase, mit den kommerziellen Lieferketten, dann doch die Coffeeshops wie in Amsterdam?
Wir reden über lizensierte Fachgeschäfte, die von außen als solche nicht erkennbar sein werden. Im Moment gibt es viele Ideen, unterschiedliche Abgabestellen auszuprobieren, etwa auch über Apotheken. Kommerzielle und nichtkommerzielle. Da ist noch viel im Fluss. Aber noch einmal: Mit dem Niederländischen Modell, wie wir es bisher kannten, hat das nichts zu tun.
Künftig soll der Besitz von 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt werden. Wie kommt es eigentlich zu diesem Grenzwert?
Mit 25 Gramm kann auch jemand, der regelmäßig kifft, seinen Bedarf decken und ist nicht auf den Dealer angewiesen. Der Grenzwert ist ein Kompromiss und gibt eine klare Regel vor. Die jetzt gültigen unterschiedlichen Werte für den Eigenbedarf in den Bundesländern verwirren und lösen keine Probleme.
Innerhalb der Koalition sind davon noch nicht alle überzeugt. Es dürfe kein neues Bürokratiemonster entstehen, das Strafverfolgungsbehörden zusätzlich belastet, heißt es etwa aus der FDP.
Wir schaffen mehr Jugendschutz, Gesundheitsschutz und drängen den Schwarzmarkt zurück. Das sind die gesteckten Ziele. Dazu gehört auch ein Werbe- und Sponsoringverbot für Cannabis und Anbauvereine. Ich vertraue auf die Abgeordneten, dass sie ein gutes Gesetz beschließen.
Nicht nur in der Cannabis-Community wird argumentiert, Alkohol sei die viel schlimmere Droge. Brauchen wir nicht endlich ein umfassendes Drogenpräventionsgesetz mit strengen Regulierungen auch für Schnaps und Zigaretten, denn auch das Rauchen hat unter Jugendlichen wieder zugenommen.
Ich denke, wir werden in den kommenden zwei Jahren auch in dieser Debatte vorankommen. Wir sind ein Hochkonsumland bei Alkohol, auch beim Rauchen steigen die Zahlen wieder. Das ist die Quittung dafür, dass viele Maßnahmen, die die Prävention gestärkt und den Schutz der Konsumierenden verbessert hätten, blockiert worden sind. Gut, dass wir nun über verstärkte Leitplanken für mehr Gesundheitsschutz sprechen.
Das Interview erschien in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Das Parlament vom 21. Oktober 2023