Robert B. Reich, ehemaliger Arbeitsminister unter Bill Clinton und heutiger Professor für Politikwissenschaft, beklagt in "Rettet den Kapitalismus!" nicht nur die wachsende soziale Ungleichheit in den USA, sondern auch deren politische Folgen für die Demokratie. Der Autor schreibt mit leichter Hand und gut verständlich über Dynamiken, die auch in Deutschland eine Rolle spielen könnten und macht berechtigterweise auf Änderungsmöglichkeiten von menschlichen Entscheidungen aufmerksam.
Es kann auch eine Kritik des Kapitalismus im Namen des Kapitalismus geben. Dies macht jedenfalls der Titel des neuen Buchs von Robert B. Reich deutlich: "Saving Capitalism. For the Many, Not the Few", in der deutschen Übersetzung: "Rettet den Kapitalismus! Für alle, nicht für 1 %“.
Der ehemalige Arbeitsminister unter dem US-Präsidenten Bill Clinton, der heute als Professor für Public Policy an der Goldman School of Public Policy der University of California, Berkley lehrt, spricht in der deutschen Ausgabe auch die Lage in unserem Land an: "Ich kann den Deutschen nur raten, sich in Acht zu nehmen. Die gegenwärtige Entwicklung ist nicht nachhaltig, weder ökonomisch noch politisch. Keine Wirtschaft der Welt kann ohne die Kaufkraft einer starken, wachsenden Mittelschicht die nötige Fahrt beibehalten ... Und es ist einer der Gründe, weshalb Zorn und Frustration eines großen Teils der amerikanischen Wählerschaft ... eine nationalistische Revolte gegen das gegenwärtige Establishment und bequeme Sündenböcke wie Einwanderer nähren" (S. 12f.).
Damit spricht Reich politische Folgewirkungen von sozioökonomischen Verwerfungen an, welche es mittlerweile auch in Deutschland gibt. Gerade die Kombination dieser beiden Perspektiven macht denn auch den Reiz seines Buchs aus. Es gliedert sich in drei große Teile: Zunächst geht der Autor auf den Markt ein und macht die Notwendigkeit von Spielregeln deutlich, womit er sich gegen den Kult um den "freien Markt" nicht nur in den USA wendet. Es gebe nicht nur eine, die dominierende Form des Marktes, sondern unterschiedliche Möglichkeiten, um Märkte zu organisieren. Dabei fordert er, kritische Aufmerksamkeit gegenüber den mächtigen Akteuren zu wahren: "Der Gedanke eines 'freien Marktes', der vom Staat getrennt für sich existieren könnte, dient denjenigen als praktischer Deckmantel, die den Marktmechanismus nicht vollends aufgedeckt sehen wollen. Sie haben den großen Einfluss auf ihn und hätten gerne, dass das so bleibt. Der Mythos des 'freien Marktes' ist deshalb so nützlich, weil sich ihre Macht dahinter verstecken lässt" (S. 124).
Danach geht Reich dem Mythos der Leistungsgesellschaft nach, macht er doch auf die Mechanismen zu den Superreichen-Vergütungen aufmerksam. In der Konsequenz habe dies zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt. Das Heer der Erwerbsarmen wachse ebenso wie das der müßigen Reichen. Gegenüber dieser Entwicklung sei mit Blick auf die 1950er und 1960er Jahre für die Mittelschicht ein Schwinden der Verhandlungsmacht zu konstatieren. Dieser Prozess, so Reich weiter, erkläre sich aber nicht nur durch die Globalisierung oder Technologieschübe. Da es sich um eine Folge menschlicher Entscheidungen handle, sei auch eine Gegensteuerung in eine andere Richtung möglich. Hierzu müsse der zunehmende Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse durch die Großunternehmen oder die Wall Street gestoppt werden. Denn "wir müssen uns entscheiden zwischen einem Markt, der auf einen Wohlstand auf breiter Basis abzielt, und einem, bei dem so gut wie alle Gewinne in die Taschen einiger weniger ganz oben fließen" (S. 279).
Reich trägt seine Auffassungen mit leichter Hand in lockerer Schreibe vor. Er beklagt dabei nicht moralisierend eine Entwicklung, sondern macht faktenstark an Fallbeispielen und Statistiken deren Wirkung deutlich. Derartige Aussagen kennt man bereits von anderen Kritikern. Reichs Buch berührt aber auch immer wieder die politische Sphäre: "Wenn ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr an eine faire Chance für sich und seine Kinder glauben kann, beginnt sich der stillschweigende Gesellschaftsvertrag aufzulösen, ohne den in Gesellschaften eine freiwillige Zusammenarbeit nicht möglich ist" (S. 16). Das was für Deutschland etwas dramatisierend klingt ist bereits Realität in den USA. Insofern ist Reichs Buch ein Blick in eine düstere Zukunft. Er will indessen optimistisch schließen und fragt nach der "Countervailing Power" (S. 208), der Gegenmacht zu Großunternehmen, Superreichen und Wallstreet. Die Akteure bleiben dabei diffus, die Möglichkeiten nennt er sehr wohl. Robert Reich unterstützte daher auch Bernie Sanders. Potentiale gibt es auch in den USA.
Robert B. Reich, Rettet den Kapitalismus! Für alle, nicht für 1 %, Frankfurt/M. 2016 (Campus-Verlag), 320 S., 24,95 Euro
2 Kommentare
Kommentare
little Louis am Permanenter Link
Zu:
"..Robert Reich unterstützte daher auch Bernie Sanders. ..." (Zitatende)
Ich warne in Bezug auf Sanders vor zu viel Vorschusslorbeeren und zu naivem Optimismus. Denn:
Der Schulterschluss mit H. Clinton nach allem, was geschehen ist, lässt in mir doch erhebliche Zweifel an der Ernshaftigkeit seiner (bisher nur rhetorischen Wahlkampf-) Agenda aufkeimen.
Wieso unterstützt jetzt Sanders jemanden, von dem er wissen muss, dass DER das, was er (Sanders) propagiert hat, mit großer Wahrscheinlichkeit bei Machterhalt als "puren Kommunismus" bekämpfen wird und vermutlich die bisherige außenpolitische Linie nicht ein Jota ändern wird?
Manchmal überlege ich, ob Sanders vielleicht nur als "Blitzableiter" im aufkommenden Unwetter der ökonomisch unzufrieden Protestwähler dienen sollte.
Damit wäre er das Äquivalent zum aktuellen deutschen (Mainstream-) Sozialdemokratismus.
Die überaus ekligen aktuellen Nachrichten über die Machenschaften (und auch Todesfälle)hinter den Kulissen verwirren umso mehr machen mich noch misstrauischer.
Aber vieleicht stecken ja hinter allem nur die Russen, denn irgendwie glauben wir doch alle an das Gute im (amerikanischen) Menschen. - Oder etwa nicht?
Kay Krause am Permanenter Link
Ursprünglich ging es mal um einen "Sozial verantwortlichen Kapitalismus".
Die Gewerkschaften, die diese Balance zwischen Millionen Arbeitnehmern und wenigen Bossen aufrechterhalten sollten, haben m. E. nur noch eine Alibifunktion, da sie bereits seit über 50 Jahren eigene Konzerne aufgebaut haben bzw. finanziell an solchen beteiligt sind. In diesen Gewerkschaftsbetrieben geht es keinsfalls "sozial gerechter" zu als bei privaten Unternehmen, eher im Gegenteil. Kein Wunder, dass nur noch ca. jeder zweite Arbeitnehmer organisiert ist, dass durchschnittlich nur noch jeder zweite zu Wahlen geht. Staat, Kapital, Banken, Konzerne, Kirchen und Gewerkschaften halten zusammen und haben uns fest im Griff. Alles eine Wichse! Und wir 80 Millionen Bürger glauben an Demokratie, an die Bestimmung der Lebensumstände durch das Volk selbst. Armes Deutschland! Und um das zu erkennen, muß man kein Kommunist sein. Man muß nur ein wenig die Augen und Ohren offenhalten! Wer wissen will, kann wissen.