Rechnungen von Anno Tobak – Kirchen verklagen Ost-Kommunen

Vor kurzem wurde mal wieder beim MDR über die seit mehr als zweihundert Jahren gezahlten und nach Grundgesetz eigentlich abzulösenden Staatsleistungen an die beiden christlichen Kirchen gestritten. Ein CDU-Landtagsabgeordneter stellte die Behauptung auf, die Kirchen seien zur Ablösung dieser Leistungen bereit. Dem musste widersprochen und festgestellt werden, dass das eigene Verhalten, beispielsweise bei den Baulasten in Thüringen, klar zeigt, dass die Kirchen weder bereit sind auf alte noch auf neue Privilegien zu verzichten.

Da es im Nachgang Fragen zu dem von mir angeführten Beispiel gab, will ich dies gern etwas genauer erläutern.

Bereits im Mai 2016 berichtete die südthüringer Regionalzeitung Freies Wort über einen kuriosen aber bezeichnenden Rechtsstreit zwischen den Kirchen und kleineren Kommunen in der Region . Dabei geht es um sogenannte kommunale Kirchenbaulasten und Forderungen im Rahmen alter Rechte. So fordert etwa die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck bis heute wie vor hundert Jahren jährliche Zahlungen von der kleinen Verwaltungsgemeinschaft Haselgrund für Küsterpfründe, für die Ablösung von Kantorenrenten sowie eine Gebühr für den sogenannten Läutejungen.

Wer glaubt, hier im falschen Jahrhundert zu sein, hat ein böses Erwachen.

Solche und ähnliche „Altforderungen“ wurden von den Kirchen nach 1990 auch gegenüber ostdeutschen Kommunen erhoben – regelmäßig unter Hinweis auf die Enteignungen, die vor zweihundert Jahren im Rahmen der Säkularisation vorgenommen worden waren. Die Stadt Hildburghausen, die sich juristisch gegen solche kirchlichen Forderungen wehrte, erstritt am 11. Dezember 2008 dazu ein Grundsatzurteil vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Richter stellten klar, dass die Ansprüche der Kirchen an die ostdeutschen Gemeinden mit dem Einigungsvertrag untergegangen sind.

Rechtsfrieden ist mit dieser Entscheidung allerdings nicht eingetreten, denn die Kirchen sind nicht bereit, auf alte Forderungen zu verzichten. Im Gegenteil: Die Kirchen ziehen erneut vor Gericht, diesmal wollen sie mit Musterklagen durch alle Instanzen gehen. So hat sich die Evangelische Kirche Mitteldeutschland auf die Gemeinde Hochheim im Kreis Gotha konzentriert und verklagt diese auf Zahlung alter Forderungen. Gleichzeitig überzieht das katholische Bistum Fulda die thüringer Gemeinde Geisa im Wartburgkreis mit einer Klage. Und auch die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck bleibt nicht untätig, sondern bereitet eine Klage gegen Barchfeld vor.

Diese Klagen wollen beide christlichen Kirchen in wenig überraschender ökumenischer Eintracht durch alle Instanzen ziehen, um dann bis Mitte des nächsten Jahrzehnts eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwirken.

Würde dadurch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgesichts von 2008 gekippt, hätte das fatale Auswirkungen für den Osten. Die ohnehin finanziell dünn betuchten ostdeutschen Kommunen müssten dann erneut in die Bezahlung alter, anachronistischer Forderungen der Kirchen eintreten. Um welche Summe es dabei ginge, ist ziemlich unübersichtlich. Der profunde Kenner der Materie Carsten Frerk hat in seinem "Violettbuch Kirchenfinanzen" das Volumen der Baulastzahlungen von Ländern und Kommunen an die Kirchen deutschlandweit auf jährlich 100 Mio. Euro geschätzt.

Im oben beschriebenen aktuellen Rechtsstreit geht allein die Evangelische Kirche Mitteldeutschland von einem Streitwert von etwa 165 Mio. Euro aus. Die Gesamtforderung dürfte im Blick auf beide Kirchen und im Blick auf alle ostdeutschen Länder zusammen noch um ein Mehrfaches höher liegen.