Schwedische Politikerinnen tragen bei einem Staatsbesuch im Iran Kopftücher und helfen so mit, dass Rechte das Thema "Kopftuch" besetzen können. Da sich Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National bei ihrem aktuellen Nahost-Besuch weigert, ein Kopftuch zu tragen, wird sie nämlich nun von den Abendlandrettern als Heldin verehrt. Dank dem unreflektierten Handeln vermeintlicher Feministinnen, die dem Kopftuchzwang nicht entschieden genug entgegen treten. Ein Kommentar von hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.
Meine Güte, was geht mir dieses Kopftuch-Thema inzwischen auf den Senkel. Nicht, dass ich was gegen Kopftücher an sich hätte. Das sind praktische Kleidungsstücke, wenn der Wind gerade mal wieder übers Land pfeift. Aber das profane Anti-Wind-Kopftuch ist ja meistens nicht gemeint, wenn dieser Tage in den Medien von Kopftüchern die Rede ist.
Da ziehen in Europa Musliminnen vor Gericht, weil sie sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht und ihrer Religionsfreiheit verletzt sehen, da sie das Kopftuch bei bestimmten Gelegenheit nicht tragen dürfen. Wobei die Justiz in in der Causa Kopftuch ebenso herumeiert wie die Politik. Dabei ist die Lösung an sich ganz einfach: Jeder kann ein Kopftuch oder sonstigen Religionsornat jederzeit und überall nach Gusto tragen – sofern er oder sie nicht gerade den Staat repräsentiert, welcher religiös neutral zu sein hat.
Durch solche Kopftuchprozesse findet eine Stilisierung muslimischer Frauen als Opfer der westlichen Kultur statt, welche ihnen angeblich brutal das Kopftuch vom Haupt reißen will. Dabei gerät leider bei vielen immer mehr aus dem Blick, dass in den meisten Ländern der Welt, in denen Frauen regelmäßig Kopftuch tragen, die Kopftuchtragerei nicht das Geringste mit Selbstbestimmung und Religionsfreiheit zu tun hat. Zum Mitschreiben: Die Anzahl von Frauen in westlichen Kulturen, die sich unterdrückt fühlen, weil sie bei einigen Gelegenheit ihr Kopftuch nicht tragen dürfen, steht in keiner, aber auch nicht der geringsten Relation zu der Anzahl von Frauen weltweit, bei denen das Tragen des Kopftuch ein mehr als deutliches Zeichen tatsächlicher Unterdrückung ist.
Das Erschütterndste jedoch ist, dass westliche Politiker und vor allem Politikerinnen das Unterdrückungsspiel aus falsch verstandenem Respekt vor Kultur oder Religion mitspielen. Wie jüngst eine Wirtschaftsdelegation der schwedischen Regierung - die sich selbst übrigens als "feministische Regierung" bezeichnet, weil das Kabinett zur Hälfte aus Frauen besteht. Bei einem Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran sahen Handelsministerin Ann Linde und die anderen schwedischen Vertreterinnen aus Politik und Wirtschaft offenbar kein Problem darin, sich zu verschleiern, um zu wirtschaftspolitischen Verhandlungen zugelassen zu werden. Denn im Iran herrscht seit der islamischen Revolution 1979 Kopftuchzwang für alle Frauen – auch für Ausländerinnen und Nicht-Musliminnen. Das Gebot wird streng überwacht von der Religionspolizei des Landes.
Ein trauriges Bild, das die westliche Politik hier abgibt. Aber wer Wirtschaftsverträge abschließen will, der schmeißt halt gern auch mal ein paar Menschenrechte über Bord. Ist ja nichts Neues. Mehr Mut zu deutlichen Gesten zeigten in diesen Tagen Schach-Sportlerinnen. Mehrere internationale Großmeisterinnen weigerten sich bei der aktuell stattfindenden Schach-WM im Iran anzutreten, weil dort der Verschleierungszwang für Frauen herrscht. Ihre konsequente Weigerung hilft Frauen im Iran, die aktiv gegen den Verschleierungszwang und für Frauenrechte kämpfen. Allen voran die iranische Frauenrechtsaktivistin Masih Alinejad, die mit ihrer Facebook-Seite My Stealthy Freedom (Meine heimliche Freiheit) national und international für Aufsehen sorgte, weil sie iranische Frauen dazu ermutigt, ihr Kopftuch immer häufiger fallen zu lassen. Wie zum Beispiel die achtzehnjährige iranische Schachspielerin Dorsa Derakhshani, die es wagte, während eines Schachturniers in Gibraltar im Januar kein Kopftuch zu tragen und dafür prompt aus dem iranischen Nationalteam ausgeschlossen wurde.
Dass ausgerechnet westliche Politikerinnen, die sich als Feministinnen bezeichnen, beim Thema "Kopftuch" gnadenlos versagen – wie die schwedische Handelsministerin oder auch Grünen-Politikerin Claudia Roth, die sich vor zwei Jahren auf einer Iran-Reise ebenfalls dem Kopftuchzwang unterwarf, hat böse Folgen. Denn so konnten sich das Thema Kopftuch die Rechten unter den Nagel reißen. Gerade in Frankreich ist das derzeit zu beobachten. Auf ihrer aktuellen Nahost-Reise weigerte sich Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei Front National bei einem Treffen mit Scheich Deriane, dem Großmufti von Beirut, einen Schleier zu tragen. Daraufhin wurde das Treffen abgesagt und Marine Le Pen steht nun als Heldin und Verfechterin der Frauenrechte da. Dabei geht es bei Aktionen wie diesen eigentlich nicht um Frauenrechte, sondern vor allem darum, allem, was islamisch ist, möglichst medienwirksam einen vor den Bug zu ballern – auf dass europäische Frauenkörper gefälligst von der christlichen Leitkultur zu Gebärmaschinen deklariert werden können und nicht von islamischen Mullahs.
Darum: Bitte, liebe Politikerinnen und selbsterklärte Feministinnen in Europa, hört endlich auf, das Thema Kopftuch den Rechten zu überlassen!
Ein Land, das Frauen zwingt, ein Kopftuch zu tragen, ist kein Land, das Frauenrechte respektiert. Kriegt das in euren Schädel! Das Kopftuch ist – global betrachtet - ein Symbol für die Entrechtung und Unterdrückung von Frauen. Es hat nichts mit folkloristischen Eigenheiten zu tun, die man höflicherweise respektieren sollte - vor der islamischen Revolution im Iran und in anderen, heute streng muslimischen Ländern konnten Frauen nämlich tragen, was sie wollten.
Also hat es was mit der Religion zu tun? "Na, aber das muss frau doch erst recht akzeptieren", denkt sich die aufgeschlossene westliche Politikerin. - Ja, mit Religion hat es schon etwas zu tun, nur nichts mir Religionsfreiheit. Wäre es so, warum müssen sich dann auch nicht-muslimische Frauen dort verschleiern? Und warum dürfen sich muslimische Frauen dort nicht – wie übrigens in Europa – frei dazu entscheiden, ob sie ihren Glauben mit oder ohne Kopftuch ausleben wollen? Die Antwort ist einfach: Weil im Iran und anderen muslimischen Ländern die Religionsfreiheit ebenso mit Füßen getreten wird wie die Frauenrechte. Wer dort vom muslimischen Glauben abfällt, hat schwerste Strafen bis hin zur Todesstrafe zu erwarten.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau und auch die Religionsfreiheit wurden in Europa hart erkämpft. Bitte, liebe Politikerinnen, werft diese Errungenschaften bei den nächsten Planungen für einen Besuch in ein Land mit Kopftuchzwang nicht einfach für die Aussicht auf einen Handelsvertrag oder aus falsch verstandener Höflichkeit über Bord.
21 Kommentare
Kommentare
Mamie Juliette am Permanenter Link
"Dabei ist die Lösung an sich ganz einfach: Jeder kann ein Kopftuch oder sonstigen Religionsornat jederzeit und überall nach Gusto tragen – sofern er oder sie nicht gerade den Staat repräsentiert, welcher religiö
Grundsätzlich bin ich dafür, dass man auch als nichtstaatlicher Arbeitgeber dem Personal das Tragen religiöser Zeichen jeder Art vertraglich verbieten können muss.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Volle Zustimmung, allerdings würde ich das als Auflösung des Arbeitsvertrags nicht so deutlich und klar zum Ausdruck bringen, besser sind juristische Wasserdichte Argumente, - die sich immer finden lassen,-sonst zahlt
Vor Gericht gibt es nicht immer Gerechtigkeit, sondern ein Urteil!!
Holger am Permanenter Link
Volle Zustimmung!
kerstin erlewein am Permanenter Link
danke sehr, daniela.
endlich mal ein wirklich vernünftiges statement zu diesem elenden thema.
Martin Mair am Permanenter Link
Warum nicht umkehren nach dem Motto gleiche Privilegien für ALLE: Warum soll nicht jeder Mensch sich kleiden wie er will, Star-Trek-Fans kommen eben in der Start-Trek Uniform in die Arbeit etc. etc.
Im Sinne der Gegenseitigkeit ist es natürlich Unsinn sich ein Kopftuch umzuhängen wenn andererseit das Kopftuch in Europa erlaubt ist. Es kann nur darum gehen, die PRIVILEGIEN der Religionsgemeinschaften zu überwinden, und das geht in zweierlei Richtung.
Ich bin mehr fürs Leveling Up als fürs Leveling Down ...
Markus Lauterborn am Permanenter Link
Wieso dürfen Menschen die den Staat repräsentieren keinen Religionsornat tragen, aber eine regierende Partei darf eine christlich-demokratische sein?
Walter PP am Permanenter Link
Weil eine Partei nicht regiert, sondern allenfalls einige ihrer Mitglieder zur Regierung gehören. Als Regierungsmtglieder/Minister/etc.
Hans Trutnau am Permanenter Link
D'accord, eigentlich ganz einfach.
Klarsicht am Permanenter Link
Zitat: „Bei einem Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran sahen Handelsministerin Ann Linde und die anderen schwedischen Vertreterinnen aus Politik und Wirtschaft offenbar kein Problem darin, sich zu verschleiern,
Dieses blamable „Ereignis“ hat leider noch eine nicht weniger blamable Fortsetzung, wie es der folgenden Link ausweist.
„Feministische“ Ministerin verhöhnt iranische Frauen:
http://www.mena-watch.com/feministische-ministerin-verhoehnt-iranische-frauen/
Gruß von
Klarsicht
David am Permanenter Link
Danke fūr den link.
Diese indifferente Oberflächlichkeit, fehlende Emphathie und impertinente Ignoranz macht wirklich sprachlos.
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Danke für die klaren Worte! Wer tolerant gegenüber Intoleranz ist, landet letztendlich dort, wo das Wort Toleranz keine Bedeutung mehr hat.
David Boehme am Permanenter Link
Danke, Herr Lehnert, für die Aufschlüsselung dieses Fallbeispiels, es ist in der Tat ein verwirrendes Spiel zwischen den Instanzen - und nicht ungefährlich.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Das jüngste Urteil des Berliner Arbeitsgerichts, bei dem es um die Einstellung einer Muslimin als Grundschullehrerin ging, die auch im Unterricht ihr Kopftuch tragen wollte, ist kennzeichnend für unsere irritierende R
In dieser zweiten Instanz erhielt die klagende Bewerberin bekanntlich Recht. Für sie sprach das übergeordnete Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015, wonach das Tragen eines Kopftuches erlaubt sei, sofern – und nun kommt das absolut alltagsuntaugliche Kriterium – der »Schulfrieden nicht gestört werde«. Damit wird die Entscheidung auf eine Ebene zurückverlagert, die Eltern, Lehrer und Schulleitung in einen zermürbenden Kleinkrieg zwingen. Das alles geschieht, weil keine Instanz – weder die Politik noch die Justiz – den Mut aufbringt zu einer eindeutig verfassungsgemäßen, klaren und operationalen Entscheidung. Die Gründe für diese politische Unentschlossenheit sind die Überdehnung des Grundrechts der Religionsfreiheit, politische und religiöse Zerstrittenheit quer durch Politik und Gesellschaft und eben die beklagte allgemeine Orientierungslosigkeit. Das langfristige Ergebnis wird Resignation und schließlich Kapitulation vor den Anmaßungen einer verfassungswidrigen Ideologie sein.
Man stelle sich vor, ein jüdischer Lehrer hätte in Berlin-Neukölln in einer der muslimisch dominierten Schulen mit Kipa auf dem Kopf unterrichtet und einem muslimischen Schüler eine schlechte Note erteilt – den Rest kann man sich denken. Oder einer dieser ach so ruchlosen Atheisten hätte in einer ach so christlichen Schule in Berlin-Zehlendorf ein T-Shirt getragen mit der Aussage: Ich bin Atheist und das ist gut so. Bischof Dröge hätte einen Veitstanz aufgeführt – mindestens. Der Senat wäre mit Sicherheit zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt worden. Denn solche »offenen Provokationen« wären unter keiner Bedingung zu dulden. Da gälte es, sofort »klare Kante« zu zeigen.
Dabei wäre eigentlich alles ganz einfach. Mamie Juliette hat in ihrem obigem Kommentar den entscheidenden Satz von Daniela Wakonigg schon zitiert: Jeder kann ein Kopftuch oder sonstigen Religionsornat jederzeit und überall nach Gusto tragen – sofern er oder sie nicht gerade den Staat repräsentiert, welcher religiös neutral zu sein hat.
Anmerkung 1: Dass das Kirchliche Arbeits(un)recht in wesentlich drastischerer Form das Recht auf Glaubensfreiheit verletzt, wird weder von der Politik noch weiten Teilen der Gesellschaft noch wahrgenommen. Bekanntlich akzeptiert die Kirche in ihren konfessionellen Einrichtungen (Krankenhäuser, Pflegeheime, Kitas etc. mit ca. 1,3 Millionen Arbeitsplätzen) keine Arbeitnehmer, die nicht der Kirche angehören. Dieses widerspricht eklatant unserem Grundgesetz (u.a. Art. 3, Abs. 3) und damit einem wesentlichen Menschenrecht. Dabei werden diese Einrichtungen zu praktisch 100 Prozent von Staat und Sozialkassen, also von der Allgemeinheit finanziert. Hinnahme von Verfassungsbruch durch Gewöhnung! Verfassungsbruch jedenfalls dem Geiste nach, denn das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist seinerzeit nur durch interpretatorische Klimm- und Winkelzüge des BVerG zustande gekommen.
Anmerkung 2: Marine Le Pen vorzuwerfen, dass sie sich das Thema Kopftuch »unter den Nagel gerissen hätte«, ist eigentlich nicht ganz fair. Diese Dame muss uns wahrlich politisch nicht genehm und sympathisch sein. Sie hat aber – im Gegensatz zu allen anderen Politikerinnen – konsequent und richtig gehandelt. Auch wenn Politiker oft aus fragwürdigen und durchsichtigen Motiven handeln, muss man aber doch feststellen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
Kay Krause am Permanenter Link
Die Sache ist doch im Grunde ganz einfach: die Schachspielerin hat (z.Zt.) in ihrem Land keine Chance, sie darf ohne Kopftuch eben nicht antreten, muß als Demonstrantin damit leben, kann nur auf Besserung hoffen und w
Claudia Roth befand sich auf einer Iran-Reise. es wäre interessant, zu erfahren zwecks welcher abzuschließenden Handelsverträge die Dame in den Iran reisen mußte? Und - wenn ja - ob wir diese Handelsverträge unbedingt brauchen? Es gibt doch wirklich genügend "freie" Staaten, mit denen wir Handel treiben können, oder?
Oder war es eine Vergnügungs- (also Privat-) reise? Dann gehört dieses Beispiel nicht in diesen Artikel, was Frau Roth privat macht, ist ihre Sache. Ich jedenfalls würde nicht im Traum auf die Idee kommen, mit meiner Frau in eines dieser religions-diktatorischen Länder zu reisen, um sie dort der Religionspolizei auszusetzen, weil sie ein freidenkerischer Mensch ist und schon von den aufgezwungenen katholischen Riten in ihrer Kindheit die Nase voll hat.
Anders sieht die Sache mit Madame Le Pen aus: es wird wohl so gewesen sein, dass weder Madame Le Pen ein spezielles Anliegen an den Herrn Scheich hatte, noch dieser an sie, so dass sie sich die Verweigerung des Kopftuches erlauben konnte und das Treffen in's Wasser fiel, ohne jemandem zu schaden.
Frau Wakonigg, ich stimme Ihnen zu: auch mir hängt dieses saudumme Thema "Kopftuch" zum Hals heraus, und ich würde mich freuen, wenn wir uns wieder ernsthaften Fragen und Problemen zuwenden könnten. Schönes Wochenende!
Dr. Klaus Eckhard am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau Wakonigg,
Art Vanderley am Permanenter Link
Gute Analyse, vor allem, weil sie nicht umgekehrt auf ein KT-Verbot in Europa abhebt, sondern den liberalen Weg der individuellen Entscheidung hervorhebt, und sich keiner Illusion hingibt, was die eigentliche Motivati
Daß es ausgerechnet Feministinnen sind, die sich hier unterwerfen, ist nicht überraschend. Ein Feminismus, der längst nur noch privilegierte Frauen lobbyiert, bedrängte Frauen im Regen stehen läßt und kompetente Frauen gezielt zur Seite schiebt.
Der glaubt, es wäre gleichberechtigt, daß die Hälfte des Kabinetts aus Frauen besteht, völlig egal, welche konkrete Politik in Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen, aber auch von Männern gemacht wird, der also Oberfläche über Inhalt stellt.
Der glaubt, unkritisierbar zu sein und Kritik automatisch als rechts verunglimpft, obwohl er selber scharf rechte Tendenzen hat.
Viele glauben immer noch, der heutige Feminismus wäre dasselbe wie die Frauenbewegung früherer Tage. Falsch, der aktuelle Feminismus hat so gut wie gar nichts mehr zu tun mit der liberalen Frauenbewegung, die noch in den 90er-Jahren das Feld der Frauenrechte dominierte.
pikweller am Permanenter Link
Viele Argumente kommen mir wie von Pegida vor. Wenn in einem Land Gesetze gelten, die man für falsch hält, kann man sich bei einem Besuch doch nur anpassen oder auf den Besuch verzichten. Was sonst?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Es liegt letzten Endes an den muslimischen Religionsbehörden, das Kopftuch "zu entschärfen".
Würden z. B. alle islamischen Religionsbehörden öffentlich eine Fatwa verkünden, nach der das Tragen des Kopftuches künftig absolut freiwillig erfolge, d. h. dass z. B. Aus-, aber auch Inländerinnen z. B. im Iran ein Kopftuch nach Gusto tagen können, dann wäre ein erster Schritt zu Entspannung dieser nervigen Debatte getan. Die Verweigerung dieses Schrittes (der ja nicht weh täte, wenn mit dem Kopftuchtragezwang keine religiös-politische Absicht verfolgt würde) würde zeigen, dass es gar kein Interesse an einer Entspannung gibt.
Und wenn man ausländische, gar nicht-muslimische Politikerinnen wie Bären am Nasenring, pardon... Kopftuch durch die internationale Medienarena schleifen kann - "seht her, wie erfolgreich der Islam, die einzig wahre Religion, ist" -, dann muss der Triumpf der Mullahs zu besorgniserregenden Schwellungen ihrer Testikel führen.
Andererseits: Was wäre, wenn z. B. der Papst verkünde, es sei katholischen Frauen - auch im Ausland - verboten, ein islamisches Kopftuch zu tragen? Z. B., dass sie dann in die Hölle kämen. Dann müssten sich diese Frauen im Iran weigern, mit Verweis auf ihre religiösen Riten, ein Kopftuch zu tragen. Was dann? Dann würde man diesen Personen die Ausübung ihrer Religionsfreiheit verweigern. Warum nicht dann mit der identischen Begründung - als Gegenreaktion - muslimischen Frauen die gleiche Religionsfreiheit, nämlich das Tragen des Kopftuches - verbieten?
Und dies würde dann von demokratischen Politikern genau NICHT verweigert, weil wir das fortschrittlichere System sind, das bei uns lebenden Menschen ihre privaten Spleens und Riten lässt, soweit sie Dritte nicht gefährden. So könnte man auf internationaler Ebene deutlich machen, warum Demokratie der Theokratie haushoch überlegen ist: Demokraten lassen jedem ein ethisches Maximum an Freiheiten, während Theokratien dies nicht tun.
Allerdings nur kuschend aus falsch verstandener Toleranz das üble Spiel des Polit-Islams mitzumachen sendet das genau falsche Signal - vor allem an die vielen Widerstandgruppen, die längst im Untergrund für Frauenrechte kämpfen. Hier müsste der Westen demonstrativ Flagge zeigen und darauf verweisen, dass Demokratie wohl doch der Theokratie überlegen ist, weil sie Menschen mehr Freiheiten lässt - Freiheiten, die gerade Muslimen nutzen. Solange dies so ist, sollten sich alle Frauen, die diese Länder bereisen, ein Kopftuch verweigern - außer es stürmt fürchterlich...
Asinello am Permanenter Link
Der Iran ist (dank jahrzehntelangen geduldigen Wirkens einer westlich-demokratischen Supermacht) inzwischen ein Gottesstaat. Folglich gelten dort ziemlich andere Regeln als bei uns.
Eine Frau, die dort das Kopftuch verweigert, hat Glück, wenn sie ausländische Diplomatin ist. Dann wird sie nur umgehend des Landes verwiesen. Jede andere wird erfahren, wie die Religionspolizei handelt.
Das selbe Recht, mit dem wir ablehnen würden, hier nach iranischen Regeln leben zu sollen, kann auch der Iran gegenüber abweichenden Vorstellungen von Ausländern geltend machen.
Im Iran disqualifiziert sich eine Frau, wenn sie das Kopftuch verweigert. Das ändert sich nicht, wenn wir es von hoher moralischer Warte aus missbilligen. Natürlich können wir von Deutschland aus trefflich schwedische Diplomatinnen auffordern, die westlichen Werte zu verteidigen und auf Handelsverträge mit Leuten zu verzichten, die unsere Werte nicht teilen. Es kostet uns ja nichts.
Würden wir eine deutsche Politikerin für solch ein Fanal der Menschenrechte gewinnen, wäre der absehbare Erfolg, dass dort fortan ausschließlich mit Männern verhandelt würde. Man(n) wäre für solch einen Anlass vermutlich sehr dankbar. Derweil würde sich die Situation iranischer Frauen keinen Deut ändern. Wir müssten uns nicht umstellen und könnten prima weiter übers Patriarchat schimpfen.
Proteste von Außen ändern eine Gesellschaft nicht.
P.S.:
Ich finde es immer wieder interessant, wenn sich bei Diskussionen zwischen fundamentalistisch-religiösen und freiheitlich-grundrechtlichen Positionen beide Seiten der jeweils anderen im selben Maße moralisch überlegen fühlen.
Asinello am Permanenter Link
Wenn in Deutschland Leute ein Kreuzchen am Kettchen tragen, ist das nur dezenter als etliche Quadrat-Dezimeter Stoff, aber im Grunde das selbe.
Ja, es könnte ganz einfach sein.
Zur Religionsfreiheit gehört auch, hinzunehmen, dass andere Leute anderen Glauben pflegen. Bei den meisten Arbeiten (bis auf Spezialfälle wie zB ein Beichtstuhl, darin wir einen gesalbten Katholiken erwarten dürfen) ist ohnehin unerheblich, ob oder an welche unsichtbaren Mächte jemand glaubt. Was zählt, ist letztlich, sondern ob sie/er ihren/seinen Job richtig macht.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Der Kopftuchartikel ist gut - aber dass der Staat neutral zu sein hat bzw. hätte, müssen wir uns erst wieder erkämpfen.