Mainzer Premiere von "Der junge Karl Marx"

Es gilt die Welt zu verändern!

Zum Bundesstart von Raoul Pecks Biopic "Der junge Karl Marx" lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz gestern Abend in das Mainzer Capitol-Kino ein. Die Veranstaltung wurde eingeleitet mit einem Referat von Tupac Orellana, dem Fraktionsgeschäftsführer und Kreisvorsitzenden der Linken in der Landeshauptstadt.

Bis heute wird er verteufelt und verehrt: Karl Marx, Vordenker und Übervater des Kommunismus. Raoul Peck widmet sich in seinem Biopic "Der junge Karl Marx", das seit gestern in den deutschen Kinos zu sehen ist, dessen Leben zwischen 1843 und 1848.

Zum Kinostart zeigte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz den Film im Rahmen einer Abendveranstaltung im Capitol-Kino in Mainz. Ein einleitendes Referat hielt Tupac Orellana, Fraktionsgeschäftsführer der Mainzer Linken sowie Vorsitzender der Partei im Kreis Mainz-Bingen. Er betonte zunächst die nach wie vor hohe Relevanz von Karl Marx’ Werk, auf das sich noch heute verschiedenste Gruppen beriefen. Wie er erläuterte, zeige sich gerade aus diesem Umstand heraus ein interessantes Phänomen innerhalb öffentlicher Debatten: Viele politische Akteure stimmten zwar Marx’ Thesen zu, zögen aber häufig einander widersprechende Schlussfolgerungen aus diesen. Gerade bei der Frage, wie mit den Grundkonflikten, die sich angesichts der Verteilung von Produktionsmitteln ergeben, umzugehen sei.

Orellana, der anmerkte, dass er den Film selbst noch nicht gesehen habe, skizzierte die Schwierigkeit, die eine solche Filmbiografie mit sich bringe. So müsse sie einerseits dramaturgisch als unterhaltsame Erzählung funktionieren, dürfe aber andererseits die Biografien der Protagonisten nicht zu sehr vereinfachen. Weiterhin gab er zu bedenken, dass die marxschen Ideen ja erst lange nach dessen Tod zu globalen Umwälzungen führten. Eine Revolution, die sicherlich einiges an Schauwerten geboten hätte, könne man anhand seiner Lebensgeschichte nicht nacherzählen.

Filmplakat
Filmplakat

Einen Aspekt des Films lobte er aber bereits vorab. So sei die Einarbeitung von Friedrich Engels als weitere Hauptfigur sehr zu begrüßen, da der Weggefährte des übergroßen Marx allzu oft in dessen Schatten stehe.

Tatsächlich wechselt die Handlung des episodisch angelegten Werks zwischen beiden hin und her. Daher irritiert der Titel des Films, da sie sich nahezu gleichwertig die Leinwand teilen. Beide sind zu Beginn Mitte 20, lassen sich vom revolutionären Klima der 1840er mitreißen.

Karl Marx muss die Rheinische Zeitung in Köln verlassen, siedelt mitsamt seiner Gattin Jenny nach Paris über. Die geborene von Westphalen hat für den aufrührerischen Ehemann, der mit kritischen Artikeln gegen die bestehen Umstände anschreibt, ihr adeliges Leben hinter sich gelassen.

Friedrich Engels hadert indes in London mit seinem Schicksal als Sohn eines Großindustriellen. Als Prokurist verdient er in der väterlichen Fabrik auf Kosten der ausgebeuteten Arbeiter ein gutes Gehalt. Doch er verliebt sich in die Baumwollspinnerin Mary Burns, seine spätere Ehefrau. Und auch er veröffentlicht Texte, die die kapitalistischen Verhältnisse anprangern, sehr zum Missfallen seines reaktionären Vaters. Nach anfänglichem Misstrauen freunden er und Karl Marx sich an, beschließen gemeinsam, dass es die Welt revolutionär zu verändern gilt.

August Diehl besticht in seiner Darstellung von Marx als intellektueller Rebell, in dem es stets zu brodeln scheint. Stefan Konarskes Engels wirkt kühler, aber nicht weniger aufrecht in seinem Kampf für eine bessere Gesellschaft. Vicky Krieps und Hannah Steele können als Jenny Marx und Mary Burns ebenso überzeugen, bleiben aber aufgrund ihrer knappen Präsenz etwas blass. Hier wäre mehr Raum für die Hintergründe der Charaktere wünschenswert gewesen.

Allerdings arbeitet Regisseur Raoul Peck weitere historische Persönlichkeiten mit viel Feingefühl in das Geschehen ein. So wirken Marx und Engels in Paris im Kreis um Frühsozialist Pierre-Joseph Proudhon, geraten in Zwist mit Wilhelm Weitling und Karl Grün. Mit ironischen Sticheleien wird die spätere Auseinandersetzung zwischen Marx und dem russischen Anarchisten Michail Bakunin angedeutet. Die Darstellungen wirken authentischer als manche, an Abziehbildchen erinnernde Figurenzeichnung anderer Filmbiografien. Zumal sich die Bilder von Kameramann Kolja Brandt nicht in opulenter Ausstattung und animierten Industrielandschaften verlieren, sondern fast kammerspielartig auf die Protagonisten konzentriert sind.

Der Spannungsbogen des Films führt schließlich nach London, wo Marx und Engels in den "Bund der Gerechten", eine frühsozialistische Arbeitervereinigung, eintreten möchten. Zu deren Verdruss sind die dortigen Arbeiter aber noch nicht bereit für den Klassenkampf. Ein Rückschlag, der die beiden Revoluzzer schließlich zum Abfassen des "Manifests der Kommunistischen Partei" drängt.

Am Ende gibt Peck mit einer Texteinblendung zu bedenken, dass Marx’ Hauptwerk, "Das Kapital", als noch nicht abgeschlossen begriffen werden müsse. Dazu zeigt er Archivmaterial von Ereignissen und Umwälzungen des 20. Jahrhunderts: Verelendete Arbeiter in Fabriken, unterdrückte Schwarze in Afrika, Margaret Thatcher und Ronald Reagan reichen sich die Hände. Der Kapitalismus, er ist nach wie vor da, er ist nach wie vor prägend.

Insgesamt schafft es die filmische Biographie, trotz der für dieses Genre dramaturgischen Vereinfachung und nicht immer gegebenen historischen Akkuratesse, ein gelungenes Nachempfinden jener jungen Jahre des Duos Marx/Engels zu bereiten.

Raoul Peck, geboren in Haiti, wuchs in Kinshasa auf, studierte später in den USA, Frankreich und schließlich in Deutschland, wo er die Deutsche Film- und Fernsehakademie besuchte. Seither hat er sich sowohl mit Spiel- als auch Dokumentarfilmen international etablieren können, wobei er ein Gespür für die Bearbeitung komplexer politischer Stoffe bewies.

Parallel zu "Der junge Karl Marx" entstand seine Dokumentation "I’m Not Your Negro" über den amerikanischen Bürgerrechtler und Intellektuellen James Baldwin. Letzterer wurde bei der Berlinale mit dem Panorama-Publikumspreis geehrt. Bei den Academy Awards, wo er in der Kategorie "Bester Dokumentarfilm" nominiert war, musste er sich jedoch Ezra Edelmans "O.J.: Made in America" geschlagen geben. "I’m Not Your Negro" startet am 30. März in den deutschen Kinos.

Tupac Orellana verwies nach dem Film auf das anstehende Marx-Jahr 2018, in dem sich der Geburtstag des Revolutionärs zum 200. Mal jährt und das sich bereits anbahne. So haben sich ihm zufolge deutschlandweit an Universitäten „Kapital“-Lesekreise gebildet, außerdem stehe schon im kommenden Oktober ein Marx-Kongress in Trier an.

Karl Marx’ Ideen, sie sind angesichts der globalen Krisen des Spätkapitalismus auch über 130 Jahre nach seinem Tod noch von Bedeutung. Raoul Peck gibt mit seinem Film einen sehenswerten Anstoß zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem großen Philosophen.

"Der junge Karl Marx" - Originaltitel: "Le jeune Karl Marx", Regie: Raoul Peck
Kinostart: 02. März 2017

Trailer: