Karl R. Popper und die "Verschwörungstheorie"

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Das sind KEINE Chemtrails
Das sind KEINE Chemtrails

Eine erste entwickelte Auffassung von einer Theorie zur "Verschwörungstheorie" findet sich im Gegensatz zu vielen Mythen bei dem österreichisch-englischen Erkenntnis- und Sozialphilosophen Karl R. Popper. In seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" sind es nur zwei Seiten, worüber man aber angesichts der im Internet kursierenden Welle von Verschwörungsvorstellungen reflektieren sollte.

Konspirationsgläubige behaupten gern: Der CIA habe 1967 "Verschwörungstheorie" als Wort erfunden, um Kritik an der amerikanischen Politik zu diskreditieren. Demnach gab es so etwas wie eine Konspiration zur "Verschwörungstheorie". Genaue Belege dafür existieren nicht, gleichwohl kursiert dies breit im Internet. Falsch ist die Behauptung aus mehreren Gründen: Denn die Bezeichnung ist schon für das 19. Jahrhundert nachweisbar, aber ohne genauere Definition und Erläuterung. Genau mit einem solchen Anspruch formulierte aber Karl R. Popper etwas zu "Verschwörungstheorien". Dies geschah in seinem bekanntesten Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", erschienen bereits 1945. Demnach kann die erwähnte Behauptung aus bloßen chronologischen Gründen nicht stimmen. Doch wie äußerte sich seinerzeit Popper zu "Verschwörungstheorien"? Und welchen Erkenntnisgewinn liefern seine Interpretationen heute noch? Eine Antwort auf diese Fragen gibt der genannte Klassiker, genauer der zweite Band "Hegel, Marx und die Folgen", worin es auch um "Marxens Methoden" in einem gesonderten Teil geht.

Der Autor stellte seinen dortigen Erörterungen auch ein allgemeines Kapitel voran, das "Die Autonomie der Soziologie" überschrieben war und methodisch die darauf folgenden Einwände gegen Marx vorbereiten sollte. Dabei erfolgte durchaus eine differenzierte Kritik, was mitunter bezogen auf Popper verkannt wurde. Er stimmte etwa dem "Antipsychologismus" von Marx ausdrücklich zu. Demgegenüber wurde die Annahme von historischen Gesetzen, eben der "Historizismus", in der Schrift und späteren Werken ausdrücklich verworfen. In diesem Argumentationszusammenhang kommentierte Popper auch eine Theorie, "die weit verbreitet ist, die aber das genaue Gegenteil dessen annimmt, was ich für das richtige Ziel der Sozialwissenschaften halte; ich nenne sie die Verschwörungstheorie der Gesellschaft." Auf nicht einmal zwei Seiten ging er danach auf die gemeinten Vorstellungen ein. (Sie finden sich übrigens in den späteren Auflagen der deutschsprachigen Ausgabe des Franke-Verlags, zunächst Bern und dann München, von 1958 auf S. 119 f., ohne Probleme findet man dort die folgenden Zitate).

Karl Popper (1980), (LSE Library, gemeinfrei)
Karl Popper (1980), (Foto: LSE Library, gemeinfrei)

Die gemeinten Ausführungen beginnen mit einer Definition, wobei in der Kritik dann Popper erklärtermaßen im sozialwissenschaftlichen Sinne am Theoriebegriff festhält: Hier werde behauptet, "daß die Erklärung eines sozialen Phänomens in dem Ausweis der Menschen und Gruppen besteht, die am Eintreten dieses Phänomens ein Interesse haben (…) und die zum Zwecke seiner Herbeiführung Pläne gemacht und konspiriert haben." Es soll demnach um absichtsvolle Handlungen von zwei und mehr Personen gehen, welche dazu eine geheime und verschwörerische Zielsetzung entwickelt hätten. Die Existenz derartiger Konspirationen wird von Popper an dieser Stelle übrigens nicht geleugnet, seine Einwände richten sich gegen die monokausale Interpretation sozialer Phänomene durch angebliche Verschwörungen. Er meint damit die Deutung unangenehmer Ereignisse, etwa Arbeitslosigkeit, Armut, Kriege oder Mangelerscheinungen, eben als "Ergebnis eines direkten Plans von seiten gewisser mächtiger Individuen oder Gruppen …" Derartige Auffassungen hätten eine lange Geschichte und existierten noch länger als der von ihm ebenfalls kritisierte moderne Historizismus.

Ideengeschichtlich handelte es sich für Popper um Säkularisierungsphänomene, hätten zuvor doch derartige Deutungen in religiösen Vorstellungen bestanden. So habe man etwa als alleinigen Faktor die Götter für den Krieg um Troja verantwortlich gemacht. Gleichwohl: "Die Götter sind abgeschafft. Aber ihre Stelle nehmen nun mächtige Männer oder Gruppen ein – unheilvolle Druckgruppen, deren Bosheit für alle Übel verantwortlich ist, unter denen wir leiden – wie die Weisen von Zion, die Monopolisten, die Kapitalisten oder die Imperialisten." Angemessen an dieser Aussage ist der Hinweis darauf, dass religiöse Auffassungen mitunter strukturell dem Verschwörungsdenken ähneln. Dies gilt auch für den im Christentum existenten Teufelsglauben, der in der gemeinten Figur das hauptsächliche Übel für die Welt sah. Die genannten Beispiele passen dann bezüglich des Grades eines Wahrheitsgehalts aber nicht zusammen. Für konspiratives Agieren gibt es durchaus Belege bei konkreten "Imperialisten" oder "Monopolisten", während man von einer Erfindung oder Fiktion bei den angeblich jüdischen "Weisen von Zion" sprechen muss.

Als tatsächliche Ereignisse leugnete Popper indessen reale Verschwörungen nicht, meinte er doch: "Verschwörungen sind ein typisches soziales Phänomen." Für eine Differenzierung benannte er aber keine klaren Kriterien zur Unterscheidung von realen Verschwörungen und fiktiven Verschwörungsvorstellungen. Die Anhänger der letztgenannten Auffassungen müssten Beweise dafür vortragen, was etwa bezogen auf Attentate, Finanzierungen oder Staatsstreiche möglich ist. Gibt es nur bloße Behauptungen mit einschlägigen Suggestionen, würde man von Verschwörungsideologien oder Verschwörungsmythen sprechen. Reale Konspirationen haben meist ein konkretes Ziel, demgegenüber sollen "Verschwörungstheorien" für eine längere Zeit gelten. Dies wäre darüber hinaus noch ein wichtiges Differenzierungskriterium, um Auffassungen in den beiden genannten Sinnen voneinander zu unterscheiden. Häufig behaupten Konspirationsideologien, es würde eine lang anhaltende und weltweite Verschwörung geben. Demgegenüber sind reale Konspirationen meist auf ein konkretes und kurzfristiges Vorhaben fixiert.

Derartige Einwände dürfen gegen Popper vorgebracht werden. Gleichwohl muss eine solche Kritik an dem Sozialphilosophen berücksichtigen, dass die Ausführungen für ihn nur von marginaler Relevanz waren. Immerhin definierte er die ideologische Auffassung von einer Verschwörungsvorstellung, womit er vielen heutigen Apologeten wie Kritikern voraus war. Es sei darüber hinaus noch zu seinen Einwänden gegen den Marxismus angemerkt, dass er diesen nicht für eine Verschwörungstheorie hielt. Bei allen Irrtümern dieser Lehre muss konstatiert werden, dass das klassische Buch dazu "Das Kapital" und nicht "Der Kapitalist" betitelt wurde. Es ging demnach nicht um die angebliche Bösartigkeit eines Kapitalisten, es ging um die postulierten Bewegungsgesetze einer kapitalistischen Produktionsweise. Wenn demgegenüber spätere Anhänger von Marx eine personalisierende Verschwörungsideologie vertraten, so spricht dies nicht für eine angemessene Deutung des Marxismus, sondern bezogen auf diese Anhänger von ihm für deren intellektuellen Verfall. Darin besteht ganz allgemein das von Popper postulierte Problem der Verschwörungsideologien.

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