Der mexikanische Dokumentarfilm "The Devil’s Freedom" hat den Amnesty International Filmpreis erhalten. Der Friedensfilmpreis ging an den chilenischen Film "Adriana’s Pact", in dem die Folgen der Pinochet-Dikatur in der Familie der Regisseurin thematisiert werden. Auch den Berlinale-Besuchern lagen in diesem Jahr Menschenrechte am Herz. Philipp van Leeuws Kriegsdrama "Insyriated" und Raoul Pecks Dokumentarfilm "I’m Not Your Negro" wurden mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet.
Mit dem mit 5.000 Euro dotierten Filmpreis der deutschen Sektion von Amnesty International wurde Everardo González’ Dokumentarfilm "Devil’s Freedom" ausgezeichnet. Dem Mexikaner ist es für seinen bedrückenden Film gelungen, Menschen vor die Kamera zu bekommen, die in die mexikanische Banden- und Drogenkriminalität in der Region der berüchtigten Ciudad Juárez verwickelt sind. Sowohl Opfer als auch Täter stellen sich seiner Kamera und sprechen über die Traumata, die sie davongetragen haben. Man trifft auf junge Mädchen, deren Eltern vor ihren Augen erschossen wurden, auf ältere Frauen, die seit Jahren ihre Männer und Söhne vermissen, sowie auf junge Männer, die mit 14 ihren ersten Mord verübt haben und wissen, dass sie solange töten, bis es sie selbst einmal erwischt. Sie alle sprechen allein vor González’ Kamera, über ihrem Kopf ist eine Strumpfmaske gezogen, nur Augen, Nase und Mund liegen frei. Das Leid, das sie von innen zerreißt, springt den Zuschauer aus den Augen an, die Tränen, die sich aus ihnen ergießen, geben den ihre Identität schützenden Masken ein dunkles Muster. Die Masken geben den nüchternen Bildern aber auch eine gespenstische Atmosphäre. Der Effekt der Anonymisierung macht auch deutlich, dass es oft nur ein Zufall ist, welche Menschen auf der Seite der Opfer und welche auf der Seite der Täter auftauchen.
"Mit feinem Gespür und großem Respekt zeigt er ihren Schmerz und ihre Verletzungen. Er tut dies ohne zu werten, ohne zu kommentieren und ohne zu belehren. In intensiven und streng komponierten Bildern entsteht das zutiefst ehrliche und feinfühlige Portrait einer Gesellschaft, in der Angst und tiefe Verunsicherung dominieren, weil Gewalt von allen Seiten kommen kann", heißt es in der Begründung der Jury der Menschenrechtsorganisation, in der Regisseur Oliver Hirschbiegel, Schauspielerin Aylin Tezel und die AI-Kommunikationschefin Anne-Catherine Paulisch saßen. "Der Film hat uns tief beeindruckt, weil er innovativ einen im dokumentarischen Filmbereich neuartigen Weg beschreitet und uns trotz der Gewalt die Rückbesinnung erlaubt, dass wir am Ende alle Menschen sind", so die Begründung weiter.
Insgesamt waren 17 Filme für den Amnesty Filmpreis nominiert, darunter auch Philippe de Leeuws Drama "Insyriated", Raoul Pecks "I’m Not Your Negro" und Lisette Orozcos "Adriana’s Pact", die andere wichtige Preise erhielten. Auch Aki Kaurismäkis mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichneter Film "Auf der anderen Seite der Hoffnung" sowie der Eröffnungsfilm der Berlinale, Étienne Comars Biopic über den europäischen Jazzpionier Django Reinhardt, waren für den Amnesty-Filmpreis nominiert.
Die chilenische Filmemacherin Orozco geht in ihrem Debütfilm den Verstrickungen ihrer Tante in die Pinochet-Diktatur nach und wurde dafür mit dem Friedensfilmpreis der Berlinale ausgezeichnet. Als die in Australien lebende Tante die Familie besucht, wird sie festgenommen, weil sie für Pinochets berüchtigte Geheimpolizei gearbeitet haben soll. Die Tante bestreitet die Vorwürfe und flieht 2011 vor einem drohenden Prozess. Derweil hat sich ihre Nichte längst daran gemacht, Material zu sammeln und der mysteriösen Geschichte, die auch die Familie aufwühlt, auf den Grund zu gehen. Orozco thematisiert in ihrem Film nicht nur die schrecklichen Verbrechen und Folgen der Pinochet-Diktatur, sondern fragt auch danach, wo das Private aufhört, wo gesellschaftliche Verantwortung anfängt und wie sich all das auf das Filmemachen auswirkt.
Der Film "hat eine klare Haltung, behauptet aber nicht, die Wahrheit zu kennen. Seine Spannung gewinnt der Film aus den wachsenden Zweifeln an der geliebten Tante. Die Regisseurin geht der Wahrheit auf den Grund und erliegt dennoch nicht der Versuchung, vorschnell zu urteilen. Sie überlässt es den Zuschauern, eigene Schlüsse zu ziehen", begründete die Jury ihre Entscheidung. "Gesellschaftlicher Frieden beginnt mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Diese sehr persönliche und schmerzliche Auseinandersetzung mit ihrer Familie und der Geschichte Chiles beweist außergewöhnliche Courage", heißt es weiter. Der mit 5.000 Euro dotierte Friedensfilmpreis wird von der Friedensinitiative Zehlendorf, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Weltfriedensdienst e.V. vergeben.
Philippe de Leeuws Drama "Insyriated" und Raoul Pecks "I’m Not Your Negro" wurden mit dem Panorama-Publikumspreis für den besten Spielfilm und den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet. Wir hatten bereits betont, dass der Film des belgischen Regisseurs, der einen Tag im Krieg in Damalskus aus der Perspektive von drei Frauen in einer belagerten Wohnung erzählt, der mit Abstand stärkste Film der diesjährigen Filmfestspiele ist. Das Votum der Zuschauer bestätigt diese Einschätzung. Der Film vermochte es wie kein anderer, sicht- und begreifbar zu machen, wie schmerzhaft der Krieg für die Syrer ist, heißt es in unserem Text. Und weiter: "Mit diesem filmischen Schlag in die Magengrube ist dem Regisseur und seinen Darstellern etwas gelungen, was fünf Jahre Nachrichten nicht geschafft haben. Sie haben den Zuschauern eine Idee davon gegeben, was es heißt, im kriegszerrütteten Syrien zu leben, was es heißt, "insyriated" zu sein."
Den Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm erhielt Raoul Pecks Verfilmung eines nie beendeten Textes von James Baldwin, einem der wichtigsten amerikanischen Intellektuellen, der sich mit Rassismus und Sexismus auseinandergesetzt hat. Baldwin hatte 1979 ein Skript begonnen, in dem er über die Bedeutung der Bürgerrechtsikonen Malcolm X, Martin Luther King jr. und Medgar Evers und deren Ermordung innerhalb von nur fünf Jahren schrieb. Der haitianische Regisseur hat dieses Manuskript nun verfilmt und erzählt in seinem Film die Geschichte der drei Bürgerrechtler, die Geschichte von Baldwin als die amerikanische Nation durchleuchtender Denker und schlägt die Brücke zum gegenwärtigen Amerika. Sein Dokumentarfilm ist der beste Beitrag zum Rassismus in den USA auf der diesjährigen Berlinale und ein künstlerisches Meisterwerk des politischen Kinos. Peck stellt Baldwins Blick auf die amerikanische Geschichte klug nach und illustriert, wie festgelegt die Rollenbilder des weißen und des schwarzen Mannes in den populären Massenmedien seit dem frühen 20. Jahrhundert waren. In Film, Werbung und Literatur werden die Weißen als wehrhafte Helden inszeniert, während die Schwarzen in der Rolle des unterwürfigen Sklaven verharren. Dieses Rollenbild hat sich in der Tiefe bis heute kaum verändert, daran haben auch acht Jahre Präsidentschaft von Barack Obama nichts geändert. Um zu verstehen, warum das so ist, müssten die Amerikaner bereit sein, ihr eigenes Verhalten kritisch zu betrachten. Sie müssten bereit sein, sich zu fragen, warum ihr Leben derart leer und hohl ist, dass eines der größten Vergnügen offenbar darin besteht, sich über Schwarze zu erheben, heißt es im Film.
Insgesamt 29.000 Berlinale-Besucher haben sich in diesem Jahr an der Abstimmung für den seit 1999 vergebenen Panorama-Publikumspreis beteiligt. Selten standen dabei die Menschenrechte so sehr im Vordergrund wie in diesem Jahr.