Deutschlandweite Proteste gegen religiöse Bevormundung

Der Karfreitag und das Tanzverbot

Am Karfreitag ist fast alles verboten, was Spaß macht, weil Christen an diesem Tag um Jesus trauern. Das Verbot gilt auch für Nicht-Christen. Genau daran nehmen Nicht-Religiöse in Deutschland immer stärker Anstoß und begehren am Karfreitag mit kreativen Protesten gegen die religiöse Bevormundung der Feiertagsgesetzgebung auf.

An einem Freitag vor rund 2000 Jahren starb nach der Legende die zentrale Gestalt der christlichen Religion: Jesus von Nazareth. Das genaue Datum ist unbekannt, auch hinsichtlich der Jahreszahl ist man unsicher, und nicht mal darüber, ob es diesen Jesus tatsächlich gegeben hat, herrscht vollständige Einigkeit unter den Gelehrten.

Wie stets, wenn es um Religion geht, sind exakte Fakten jedoch nicht so wichtig. Das gilt auch in diesem Fall. Entscheidend ist, dass die Christenheit an einem bestimmten Tag kollektiv um diesen Jesus trauern will – ein Tag, den sie Karfreitag nennt. In Zeiten, in denen fast die ganze Bevölkerung in Deutschland christlich getauft war, erhielt dieser Tag der christlichen Trauer einen speziellen staatlichen Schutz: Er wurde zu einem sogenannten "stillen Feiertag", an dem das Tanzen, das öffentliche Vorführung bestimmter Filme sowie sportliche und andere Veranstaltungen untersagt sind. Genaueres regeln die höchst unterschiedlichen Feiertagsgesetze der einzelnen Bundesländer, denn Feiertagsgesetzgebung ist Ländersache.

Noch vor zehn Jahren war die Karfreitagsstille in Deutschland weitgehend ungestört. Kinos und Diskos waren geschlossen und irgendwie hatte sich ein ganzes Volk daran gewöhnt, dass an diesem Tag nun mal tote Hose ist. Doch dann regte sich auf einmal Widerstand. Denn warum, so fragte sich der immer stärker wachsende nicht-religiöse Teil der Bevölkerung, warum sollen wir eigentlich hinnehmen, dass eine Religionsgemeinschaft mit stark schwindender Mitgliederzahl uns vorschreibt, was wir an diesem Tag zu tun oder zu lassen haben?

In jedem Jahr gibt es inzwischen mehr Proteste. Und längst gehen sie nicht mehr allein von atheistischen Vereinigungen aus. In Hannover beispielsweise veranstalteten die Jugendorganisationen von Grünen, SPD und FDP in diesem Jahr gemeinsam eine Demonstration unter dem Motto "Tanzen gegen Tanzverbote", während in Frankfurt am Main am Karfreitag Die Partei vor dem Dom zu einer Mahnwache mit Glühwein-Ausschank aufrief, um gegen die gesetzlichen Verbote am Karfreitag zu protestieren. Sogar der Deutsche Städte- und Gemeindebund tritt inzwischen für eine Lockerung der Feiertagsgesetze ein.

Die jahrelangen Proteste gegen das karfreitägliche Tanzverbot zeigen langsam Erfolg. Der Bund für Geistesfreiheit (bfg) schaffte es, die bayerische Feiertagsgesetzgebung durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen – und bekam Recht, dass das Gesetz unter bestimmten Umständen Nicht-Religiöse in nicht zumutbarer Weise einschränkt. In diesem Jahr feierte der bfg daher zum ersten Mal legal seine "Heidenspaß-Partys" in München und Regensburg. Auch die säkulare Initiative Religionsfrei im Revier hat es bereits zum Bundesverfassungsgericht geschafft. Durch die öffentliche Vorführung des – am Karfreitag verbotenen – Films Das Leben des Brian hatte sie in den vergangenen Jahren gezielt gegen das Feiertagsgesetz in Nordrhein-Westfalen verstoßen, um eine Überprüfung der NRW-Feiertagsgesetzgebung auf höchstrichterlicher Ebene zu erreichen.

Doch das ist bei Weitem nicht alles, was die Proteste bisher bewirkt haben. Am Karfreitag diskutiert ganz Deutschland inzwischen weniger über das Leiden Christi als über das Tanzverbot. Vielen Menschen wird so deutlich, welchen politischen Einfluss die christlichen Kirchen im 21. Jahrhundert noch immer haben – und das trotz ihres rapiden Verlustes an Rückhalt in der Gesellschaft.

Natürlich gibt es auch Proteste gegen die Proteste. Doch die Argumente, mit denen kirchliche Vertreter gegen die Karfreitagsproteste wettern, sind schwach. Man müsse ja wohl nicht 365 Tage im Jahr tanzen, ist zu hören, und die vermaledeiten Ungläubigen sollten - Himmel Herrgott Sakra! - gefälligst Toleranz zeigen gegenüber den Überzeugungen und Gefühlen ihrer christlichen Mitmenschen. Eine geradezu putzige Umkehr des tatsächlichen Sachverhalts. Sind es doch gerade jene Christen, die an der Feiertagsgesetzgebung in ihrer jetzigen Form festhalten, die keinerlei Toleranz gegenüber nicht-religiösen Menschen zeigen. Denn Nicht-Religiöse werden gezwungen, an diesem Tag bestimmte Dinge nicht zu tun – und das nicht mal in geschlossenen Räumen - obwohl für sie dieser Tag keine besondere Bedeutung hat. Umgekehrt zeigen die Nicht-Religiösen mit ihren Forderungen zur Reformierung der Feiertagsgesetzgebung sehr wohl Toleranz gegenüber den Christen. Sie wollen den Christen ihr Recht auf Trauer nicht nehmen, ja sie wollen sie nicht einmal in ihrer Stille stören, sondern fordern lediglich das Recht, in geschlossenen Räumen das tun zu dürfen, was sie selbst tun wollen, und nicht das, was die Christen ihnen aufzwingen wollen.  

Aber warum entzünden sich an dem bisschen Tanzen eigentlich so sehr die Gemüter? Nicht jeder Atheist möchte am Karfreitag tanzen. Also lohnt der ganze Aufwand überhaupt? Oh ja. Denn das Tanzverbot am Karfreitag ist nur die Spitze des Eisbergs religiöser Einflussnahme auf Politik und Gesetzgebung. Dass dieser Einfluss sichtbar gemacht und zurückgedrängt wird, dafür ist es höchste Zeit.