BERLIN. (hpd) Nur wenige Journalisten haben solche eine Wirkung erreicht, wie es Kurt Tucholsky gelang. Die Artikel der “fünf Finger einer Hand”, Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kurt Tucholsky, die er vorrangig für die Weltbühne schrieb, sind heute noch immer aktuell.
Ein “Schnipsel” zeigt, wie aktuell Tucholsky noch immer ist: “Die Deutschen brauchen immer einen, der daran schuld ist” schrieb er - und er wusste noch längst nichts über Pegida. Aber viel über den erstarkenden Faschismus und Antisemitismus in den 30-iger Jahres des vergangenen Jahrhunderts. Auch wenn diese Parallelen zwischen den Entwicklungen am Ende der Weimarer Republik und dem heutigen Anti-Muslimismus von einigen als “nicht vorhanden” abgetan wird; vieles von dem, was Tucholsky vor fast einem Dreivierteljahrhundert an Deutschland kritisierte, ist noch immer aktuell.
Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 in Berlin geboren; er starb am 21. Dezember 1935 in Göteborg vermutlich durch Suizid. In seinen 45 Lebensjahren verfasste er mehr als 3.000 Artikel für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Neben der - von ihm zeitweise geleiteten - Weltbühne veröffentlichte er in der Vossischen Zeitung, im Vorwärts, der Leipziger Volkszeitung und anderen. Zudem veröffentlichte er zwei wunderbare Romane: “Rheinsberg - ein Bilderbuch für Verliebte” und “Schloss Gripsholm” die beide noch heute lesenswert sind.
Auch seine Tagebücher - insbesondere die Q-Tagebücher - und Briefe zeichnen ein Bild von der Zeit, in der er lebte und arbeitete. In den Briefen an “Nuuna”, seine letzte große Liebe, die Zürcher Ärztin Hedwig Müller, zeichnet sich dann ab, dass er “des Lebens und des Kampfes müde” wurde. Er war zuvor einer der aktivsten, fleißigsten und politischsten Autoren der Weimarer Zeit. Der Wikipedia-Eintrag zu ihm zeichnet ein differenziertes Bild seines Lebens.
Die Sonderausgabe des Blättchens
Das Blättchen sieht sich in der Tradition der Weltbühne. In einer aktuellen Sonderausgabe zum 125. Geburtstag von Kurt Tucholsky schreiben unter anderem Fritz J. Raddatz, Daniela Dahn, Georg Schramm, Konstantin Wecker, Uwe Steimle und Heribert Prantl über den Gefeierten.
Der Herausgeber, Heinz Jakubowski, schreibt in seinem Editorial: “Dafür, dass Du uns so beispielhaft und eben wichtig bist, gibt es einen kurz zu fassenden Grund: Wir sehen in Dir einen Bruder im Geiste. Ich weiß, das mag anmaßend klingen, und das ist es für jemanden, der journalistisch-publizistisch mehrere Ligen tiefer spielt als Du, auch. Definiert man Deine Geisteshaltung aber in ihrem Kern als die eines kämpferischen Humanisten, der die Menschen liebte, auch wenn er zuletzt an ihnen verzweifelte, dann sei die Überhebung vielleicht entschuldbar.”
Deutschlands bester politische Kabarettist, Georg Schramm, bekennt sich dazu, dass “seine Texte … meine politische Haltung und später meinen Stil nachhaltig geprägt” haben. In seinen Artikel “Humanismousse au chocolat” erinnert er daran, dass Wohltätigkeit etwas sehr humanes ist. Ganz im Sinne Tucholskys sagt er in einer Rede bei einer Wohltätigkeitsversammlung: “Erst jetzt dringt wieder ins Bewusstsein aller – und unser Abend leistet in diesem Sinne einen wichtigen Dienst –, dass bestimmte soziale Leistungen eine Gabe sind, die erst dann gewährt werden kann, wenn bestimmte Spielregeln wie steuerliche Entlastung Besserverdienender und Verzicht auf ihre Diffamierung eingehalten werden.”
Der Liedermacher Konstantin Wecker erhielt im Jahr 1995 den Kurt-Tucholsky-Preis der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft. Er schreibt: “Meine Anleitung für den couragierten Mitbürger sieht nur vor, sich nicht schon in die Hose zu machen, bevor ein konkreter Anlass zur Feigheit gegeben ist, und das sollten sich die Kleinmütigen, so sie mutigen Willens sind, ruhig mal einverleiben. Oft versäumt man ja nur diesen Moment, der sich immer ausmachen lässt zwischen Drohgebärden und Prankenhieb, und meist ist dieser Hieb nicht die Folge von Widerspruch, sondern die Antwort auf das Fehlen jeglichen Widerstands. […] Tucholsky war ein Held, gerade weil er keinen geraden Weg ging, gerade weil auch sie ihn heute nicht für sich vereinnahmen dürfen.”
Große Worte über “den kleinen Dicken”, wie er sich selbstironisch oft selbst bezeichnete.
Ein weiterer Kurt-Tucholsky-Preisträger, der Journalist Heribert Prantl, hebt die Aktualität der Artikel hervor. Das Zitat Tucholskys aus dem Jahr 1919: “Politik kann man in diesem Land definieren als die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke mit Hilfe der Gesetzgebung” könnte man als Motto an das Kanzleramt malen. “Das ist das Verblüffende und Erstaunliche, das Spannende an Kurt Tucholsky: seine gnadenlose Aktualität in Inhalt und Sprache: Da hat einer vor acht, neun Jahrzehnten, also vor journalistischen Ewigkeiten, die Tagespolitik durchdrungen und ist auf den Grund der Dinge vorgedrungen. Und wenn Politik und Justiz bis in die jüngste Zeit außer sich geraten wegen dreier Wörter von Tucholsky, dann zeigt das, wie sehr er den Nerv getroffen hat: ‘Soldaten sind Mörder’. Das war und ist der Aufschrei des Pazifisten gegen den Krieg, eine Anklage gegen die Brutalität und deren organisierte Form, den Militarismus.”
Prantl schreibt weiter: “Er war brillant. Er war so brillant, dass man sich fürchten kann. Und er war so hellsichtig, dass man verzweifeln kann. Wenn selbst so einer die Katastrophe nicht abwenden konnte … Er hat es versucht. Er hat gezeigt, dass man es versuchen muss. Und daher ist er ein Vorbild auch und gerade in Zeiten, die lang nicht so schwierig sind wie seine es waren.”
8 Kommentare
Kommentare
Andreas Lichte am Permanenter Link
“Schloss Gripsholm” ist auch online verfügbar:
http://www.digbib.org/Kurt_Tucholsky_1890/Schloss_Gripsholm
Da läßt sich probelesen, bevor das Buch – natürlich! – gekauft wird ...:
"(...) Das war, als wir uns kennenlernten. Ich war damals zum Tee bei ihr und bot den diskret lächerlichen Anblick eines Mannes, der balzt. Dabei sind wir ja rechtschaffen komisch... Ich machte Plüschaugen und sprach über Literatur -- sie lächelte. Ich erzählte Scherze und beleuchtete alle Schaufenster meines Herzens. Und dann sprachen wir von der Liebe. Das ist wie bei einer bayrischen Rauferei -- die raufen auch erst mit Worten.
Und als ich ihr alles auseinandergesetzt hatte, alles, was ich im Augenblick wußte, und das war nicht wenig, und ich war so stolz, was für gewagte Sachen ich da gesagt hatte, und wie ich das alles so genau und brennendrot dargestellt und vorgeführt hatte, in Worten, so daß nun eigentlich der Augenblick gekommen war, zu sagen: »Ja, also dann ...« -- da sah mich die Prinzessin lange an. Und sprach: »Einen weltbefohrnen dschungen Mann --!«
Und da war es aus. Und ich fand mich erst viel später bei ihr wieder, immer noch lachend, und mit der erotischen Weihe war es nichts geworden. Aber mit der Liebe war es etwas geworden. (...)"
Harald am Permanenter Link
Warum muss das Buch "natürlich!" gekauft werden? Der Autor, der es geschaffen hat und dafür fairen Lohn bekommen soll, der hat nichts mehr davon. Also nur kapitalistische Logik?
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Harald
– "natürlich!" – gekauft, weil "Schloß Gripsholm" sehr gut ist. Und weil es sich als richtiges Buch – "Papier!" – besser liest. Und sicher NICHT, weil hier irgendjemand ein Loblied auf den Kapitalismus singen möchte.
Andreas Lichte am Permanenter Link
Kurt Tucholsky hat auch EINDEUTIG über Rudolf Steiner (öfter mal Thema bei hpd ...) berichtet:
"Rudolf Steiner in Paris (...) Rudolf Steiner, der Jesus Christus des kleinen Mannes, ist in Paris gewesen und hat hier einen Vortrag gehalten. (...) Steiner trat auf. (...) Ich habe so etwas von einem unüberzeugten Menschen überhaupt noch nicht gesehen. Die ganze Dauer des Vortrages hindurch ging mir das nicht aus dem Kopf: Aber der glaubt sich ja kein Wort von dem, was er da spricht! (Und da tut er auch recht daran.) (...)"
F. Nicolai am Permanenter Link
Von Tucholsky stammt auch der Satz: "Satire darf alles!" http://hpd.de/artikel/10413
Andreas Lichte am Permanenter Link
"Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte.
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ F. Nicolai
... vielleicht darf Satire "alles" – aber bewirkt sie zumindest "etwas"? Tom Lehrer sagt: "I'm fond of quoting Peter Cook, who talked about the satirical Berlin cabarets of the '30s, which did so much to stop the rise of Hitler and prevent the Second World War."
Martin am Permanenter Link
Ich dachte, die Suizid-These sei vom Tisch und Tucholsky sei an einer Medikamentenfehldosierung oder so etwas gestorben?