Wie schwer sich die deutschen Parteien mit dem Verhältnis von Staat und Kirchen tun, führte die LINKE auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende wie im Glashaus vor. Die Delegierten hatten Samstagnacht mit knapper Mehrheit für einen Antrag gestimmt, der deutlich über den Leitantrag des Parteivorstands hinausging. Der Antrag aus Hamburg sah ein Aufkündigen der Staatsverträge mit den Kirchen vor. Er verlangte darüber hinaus, staatliche Finanzierungen, darunter die der kirchlichen Militärseelsorge sowie der Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen, abzuschaffen. In den Stunden zwischen Schlummertrunk und Frühstück bekamen die Genossen jedoch vernehmbares Baugrimmen. Am Sonntag wurde der beschlossene Antrag dann bei einer erneuten Abstimmung wieder gekippt. Auf kalten Füßen wurde so der am Vortag noch geschmähte Altar wieder in den Versammlungsraum getragen.
Die Delegierten lieferten sich auf dem Parteitag eine hitzige Debatte. In deren Verlauf meinte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau – frei von Sachkenntnis, aber höchst wirksam – ausgerechnet die Staatsverträge seien Ausdruck der erwünschten Trennung von Staat und Kirche. Sie seien nicht zu verwechseln mit den staatlichen Leistungen für die Kirchen, gegen die auch sie eintrete. Wie falsch diese Aussage ist, zeigt beispielsweise ein Blick ins noch immer gültige Bayern-Konkordat, das eine ganze Reihe von finanziellen Zuwendungen festschreibt, nicht zuletzt die Zahlung von Bischofs-Gehältern durch den Freistaat.
Für den Autor dieser Zeilen, bekanntlich ein Grüner vom alten Schrot und Korn, wäre es jetzt im Vor-Wahlkampf einfach, das Debakel der Konkurrenz mit Häme zu übergießen und sich die Peitsche verblichener Bußprediger auszuleihen. Die dazu passenden Leibesübungen bringen aber den säkularen Gedanken keinen Schritt weiter. Schwerer als jede klammheimliche Schadenfreude über die Blamage der Konkurrenz wiegt nämlich die Sorge, dass sich die LINKE aus Angst vor weiterem internem Streit aus der Debatte verabschiedet und den Dingen ihren Lauf lässt. Schon in den Verhandlungen zum Berliner Koalitionsvertrag war zu beobachten, dass der jetzige Kultursenator Lederer und andere Führungsleute das Thema nicht mal mit spitzen Fingern anpacken wollten. Der Vertrag ist daher an dieser Stelle so dürftig ausgefallen.
Aus dem verkorksten Wochenende sollten zwei Lehren gezogen werden. Politisch erfolgreich ist "säkular" eben nicht, jedem Bischof zur Begrüßung erst mal vors Knie zu treten. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Schaffung neuer Rahmenbedingungen für mehr weltanschaulich-religiöse Vielfalt nicht im Duktus des alten Kirchenkampfs zu führen ist. Der Vorsitzende der LINKEN feiert die Ablehnung des Hamburger Antrags mit der Begründung, die Partei habe ein gutes Verhältnis zu den Kirchen, das sie nicht aufs Spiel setzen wolle. Diese Aussage könnte auch von anderen "Partnern" der rot-rot-grünen Dissensgemeinschaft kommen. Weder polternde Religionsfeindlichkeit noch altbackener Antiklerikalismus sind innerhalb der relevanten deutschen Parteien mehrheitsfähig. Auch das Ausweichen auf eine eigene Partei ist nichts anderes als vorweggenommener Misserfolg. Diese Aussage befremdet ganz sicher diejenigen, die – oftmals mit einem theologischen Hintergrund – zeitlebens gegen die großen Kirchen gekämpft haben. Diese Haltung ist verständlich und menschlich gut nachvollziehbar. Politisch mit Aussicht auf Erfolg zu handeln macht es jedoch erforderlich, erstarrte Fronten in Bewegung zu bringen und Spielräume neu auszuloten. Reine Lehren führen in der Politik eben oftmals zu reiner Leere – und zur Verbitterung der Beteiligten.
Hier zeigt sich, dass der mühsame Weg der Grünen Partei doch der richtige war und ist. Bekanntlich hat sich eine flügel- und religionspolitisch übergreifende Arbeitsgruppe über zwei Jahre an die Arbeit gemacht, ein sorgsam ausdiskutiertes Papier zu verabschieden. Auf dieser Grundlage hat die Partei in Münster 2016 einen Grundsatzbeschluss gefasst, der – mit Ausnahme des Religionsunterrichts – das vielgestaltige und komplizierte Thema bearbeitet und politische Handlungsoptionen entwickelt. Bei allen Gegensätzen konnten sich die verschiedenen Gruppen verständigen. Aus säkularer Sicht hätten wir uns an einigen Stellen gewiss mehr gewünscht. Andere Mitglieder der Partei wiederum hatten aus einer gegensätzlichen Sicht heraus auch zu schlucken: aber das Papier beweist politische Handlungsfähigkeit und die Bereitschaft, zwischen durchaus bewährten Formen von Zusammenarbeit und verkrusteten Privilegierungen zu unterscheiden.
Leider hat es die Führung der LINKEN versäumt, einen solchen gründlichen Diskussionsprozess in die Wege zu leiten. So kamen wenig ausgegorene Anträge zur Abstimmung und ein mit schwachen Vorlagen gefütterter Parteitag veranstaltete in seiner Orientierungslosigkeit eine veritable Springprozession. Das Ergebnis ist misslich und ein Rückschlag für die säkulare Bewegung. Es ist zu hoffen, dass diese Niederlage nicht von Dauer sein wird und keine nachhaltigen Schäden hinterlässt. Ein erster Schritt wäre wohl die Gründung einer Säkularen Arbeitsgemeinschaft der Partei nach dem Vorbild der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft.
17 Kommentare
Kommentare
Ralf Michalowsky am Permanenter Link
"Ein erster Schritt wäre wohl die Gründung einer Säkularen Arbeitsgemeinschaft der Partei nach dem Vorbild der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft."
Kay Krause am Permanenter Link
Dann kann man sich als ehemaliger "linker" Wähler nur darüber wundern, sehr geehrter Herr Michalowsky, dass diese 450 Mitglieder es offensichtlich nicht zustande bringen, sich klar und offen zu positionieren
Es wäre Aufgabe der verantwortlichen LINKEN, hier Aufklärungsarbeit zu leisten: "Kirche" ist weder sozial noch gerecht, und schon gar nicht demokratisch. Kirche ist egoistisch und machtgeil, der sogenannte Glaube ist lediglich Mittel zum Zweck.
Wenn Sie - die LINKE - sich in dieser Richtung orientieren würden, täten Sie unserem Staat einen guten Dienst!
Wolfgang Prinz am Permanenter Link
Linke sind eben politische Feiglinge und Opportunisten.
Walter Otte am Permanenter Link
Als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne würde ich es begrüßen, wenn es auch in anderen Parteien arbeitsfähige Laizistische bzw. Säkulare Zusammenschlüsse gäbe, mit denen ggfs.
Erst letzte Woche sprach ich auf dem Iftar des LiberalIslamischen Bundes mit einigen Linken, die mir versicherten, die Linke brauche gar keine den Säkularen Grünen vergleichbare Gruppierung, da die Linke sowie grundsätzlich säkular sei.....! Nun, ja.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Bzgl. ihres Verhältnisses zu Religion/Kirchen habe ich bei *allen* im Bundestag vertretenen Parteien deutlichst vernehmbares Baugrimmen - einschl. der Grünen.
Jürgen Roth am Permanenter Link
Der Antrag ist doch nicht untergegangen! Er wurde vielmehr mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Mit irgendwelchen Konsequenzen?
Jürgen Roth am Permanenter Link
Darüber entscheiden die Wählerinnen und Wähler im kommenden September.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schaun mer mal.
Ich denke allerdings, dass das eher eine Wahl um den weiteren Einzug der Grünen (bzw. deren Anteil) in den Bundestag als um die Anerkennung des besagten Entwurfs werden wird.
Ansonsten finde ich die implizite Behauptung, dass nun gerade die Grünen der Vorreiter einer Trennung von Staat und Kirche seien, - sagen wir - etwas kühn.
Jedenfalls so lange, wie zur Spitze der Partei solche Potentaten wie Katrin Göring-Eckardt, Bettina Jarasch oder Winfried Kretschmann gehören, um nur drei zu nennen.
Schon deren Konfessionen indizieren doch, direkt ausgedrückt, eine ziemliche religionitische 'Durchseuchung' (mit dem Religionitis-Virus, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Durchseuchung) der Partei.
Und das wirkt auf mich dann schlicht und ergreifend unglaubwürdig.
Den inzwischen über 35 % Konfessionsfreien unserer Republik dürfte es ähnlich gehen.
Martin Mair am Permanenter Link
Seltsam: Im Vorspann steht, der Antrag sei mit knapper Mehrheit angenommen worden, im Text aber, er sei knapp abgelehnt worden ...
Vielleicht sollt auch mir mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. Antidiskriminierung argumentiert werden, denn auch die Kirchen sind als gewöhnliche NGOs wie alle anderen auch zu behandeln.
Rainer B. am Permanenter Link
Seltsam, dass ausgerechnet beim Thema Religion eine sonst bei der LINKE äußerst seltene Zweitabstimmung erfolgte.
Interessanterweise ist dieses Phämomen auch bei den Grünen und der SPD sowieso in letzter Zeit immer häufiger zu beobachten: Die Basis beschließt Anträge, die weit über die Position des Vorstandes hinausgehen und die letzterer stets mit Geschäftsordnungstricks oder Personalisierungen versucht zu verhindern, bzw. wie hier bei der LINKE zu revidieren. Die Vorstände agieren wie Konservative. In meinen Augen ein Armutszeugnis.
Franz Josef Koller am Permanenter Link
Auf die LInkenLAaizisten hat Ralf Michalowski ja schon verwiesen. Ich denke, dass die Führungskräfte der Parteien es sich nicht mit den (nun einmal konservativen) Religiösen verscherzen wollen.
Rainer B. am Permanenter Link
Ja, richtig. Die FDP sind neben den leider gescheiterten Piraten momentan die Partei mit den weitestgehenden säkularen Forderungen. Siehe z.B. die entsprechenden Parteibeschlüsse in Sachsen und Schl-Hol.
Problem ist nur: Diese Forderungen sind weniger emanzipatorisch als vielmehr wirtschaftspolitisch motiviert. Siehe Einkaufen auch Sonntags. Dahinter steckt die neoliberale Agenda, den Wirtschaftbereich gegen Einflüsse anderer gesell. Akteure abzuschotten. Daher kann man sich m.E. über die säkularen Forderungen der FDP nicht wirklich freuen, weil diese letztendlich einen Marktradikalismus zum Ziel haben. Mit dem gleichen Ziel mit dem die FDP Kircheneinfluss bekämpft, agiert sie auch gegen Gewerkschaften.
Herbert Thomsen am Permanenter Link
Die Debatte bei der "Linken" um das Verhältnis zu den Kirchen ist ja noch nicht so alt. Daher könnte dieser "Rückholbeschluß" auch neue Diskussionen auslösen. Es ist ein Anfang.
Mark Keller am Permanenter Link
Die leichte "Selbstbeweihräucherung" der Grünen in allen Ehren - sie ja tatsächlich nicht ganz unbegründet - sollte man natürlich auch im Hinterkopf haben, warum sich Sozialisten und auch Sozialdemokraten ge
Begründet oder nicht, wird hier oft genug mit einer grundsätzlich religionsfeindlichen ideologischen Ausrichtung argumentiert, die dann bestimmt nicht selten auch wieder die "üblichen Verdächtigen" aufs Tapet bringt, wie z.B. Stalin.
Natürlich kann man das argumentativ entkräften - es kommt nur meistens bei den der Religion wohlgesonnenen Zuhörern längst nicht mehr an, weil schon vorher die Schotten dicht sind.
Nicht nur bei der Linken, sondern eigentlich allen anderen Parteien ist eine breite innerparteiliche Diskussion längst überfällig - sonst übernimmt ein Anderer die Erklärungshoheit.
Das hat sich leider mit der AfD längst bewahrheitet. Die preschen zwar auch hier wieder polternd vor, holen aber wieder scheibchenweise Leute ab, die ansonsten vielleicht eher links dieser Partei ihr Kreuzchen machen würden.
Wer den Erosionsprozess im Vertrauen in die Politik bemängelt und die AfD als Problem ansieht, muss also auch in dieser Frage zügig Positionen formulieren, und angesichts der zunehmenden Anzahl Konfessionsfreier in der Gesellschaft muss sich das zwingend auch in den Parteien manifestieren.
Ich persönlich bin eher peinlich berührt, wenn die Antwort des Spitzenpersonals der Politik auf eine ungelenk und idiotisch vorpreschende AfD darin besteht, mit dem "Herrn Bischof" und bestimmten Kirchen noch enger zu kuscheln, als das ohnehin schon der Fall ist. Tatsächlich würde ich mir hier von der Politik eher wünschen, dass man sich in konkreten Religionsempfehlungen eher zurückhält und ansonsten die konsequentere Trennung von Staat und Kirche voran treibt.
Den Widerspruch zwischen dem, was in der Gesellschaft gegenwärtig passiert und in der Politik nicht stattfindet, wird eigentlich jeder Nichtgläubige in dieser Frage seit Jahren bemerken müssen. Vielleicht ist hier die "kritische Masse" erreicht, dass sich in dieser Hinsicht etwas mehr bewegt - auch wenn das Spitzenpersonal der Politik dies nicht immer erahnen lässt.
Hier setze ich meine schmale Hoffnung aber eher auf die SPD als große und entsprechend einflussreiche Volkspartei, die sich gegenwärtig auch etwas in der Sinnkrise und Neuausrichtung befindet.
Warten wir es ab.
Thomas Gerlach am Permanenter Link
"Weder polternde Religionsfeindlichkeit noch altbackener Antiklerikalismus sind innerhalb der relevanten deutschen Parteien mehrheitsfähig" – Aua!
Doch auch trotz dessen mutiger Veröffentlichung der Wahrheit scheint für viele in den "relevanten deutschen Parteien" die Welt auch im 21. Jahrhundert noch eine Scheibe zu sein, denn verwundert fragt man sich, wer und was für den Autor als einem selbstapostrophierten "Grünen vom alten Schrot und Korn" denn bitte für "altbackenen Antiklerikalismus" stehen mag: Die Denker der Aufklärung? Die Analytiker des Kapitalismus und seiner religiotischen Verhimmelung? Die entschiedene Religionskritik von Feuerbach, Marx, Nietzsche? Oder die radikale Ablehnung der Religion durch Sigmund Freud?
Scheinbar fühlt sich der Verfasser diesen "altbackenen Antiklerikalisten" intellektuell überlegen. Vielleicht aber ist ihm bei seinem körnigen und schrötigen Marsch durch die Institutionen in Wahrheit nur aus dem Blick geraten, dass sein weichgespültes "Ausloten von Spielräumen" die auslotenden Realos ins System integriert und dessen Bestand befestigt.
enes am Permanenter Link
Selbstbeweihräucherung ist freundlich ausgedrückt, ich halte eine solche Kommentierung für unangebracht bis anmaßend.
Bü90/Die Grünen ist mit einer Bundesvorsitzenden, die sich darüber freute, dass "Deutschland religiöser" würde, keine ernstzunehmende Stimme (mehr), die einen säkularen Rechtsstaat einfordert u. die religionskritische Sensibilität innerhalb der "Zivilgesellschaft" schärft. Vielmehr ist die Partei von Christ_innen geentert, die im grünen Partei-Erziehungs-Programm eine Option sehen, das "Evangelium Christi" umweltbewußt und menschenrechtslieb realisieren zu können.
Oder von "anderen" gekapert, die in multikulturalistischer Ekstase u.a. geschlechtsspezifische Kleidervorschriften oder halal-Schächtung bejubeln ...
Ich meine, dass dieses Geplänkel parteipolitischer Rivalitäten und Werbeabanner plumper Wahlempfehlung auf dieser Website nichts zu suchen hat.