Wer ist Prof. Bettina Schöne-Seifert von der Uni Münster? Eine Ärztin, Aufklärerin und Medizinethikerin, die auch schon zu anderen Themen im humanistischen Sinne klare Stellungnahmen bezogen hat. Der hochkarätig besetzte "Münsteraner Kreis", der nun das Heilpraktikerwesen eindämmen will, wurde von ihr initiiert. Der Appell an den Gesetzgeber lautet: Es darf nicht länger einfacher sein, staatlich anerkannter Heilpraktiker zu werden als Krankenpfleger. Der Irrsinn dürfe nicht länger hingenommen werden.
Überwiegend unwissenschaftliche Gedankenwelt
In Österreich ist das Heilpraktikerwesen verboten, in anderen europäischen Staaten wird es stark reguliert. Anders in Deutschland: Das ursprüngliche Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) trat zum 21. Februar 1939 in Kraft. In der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts wanderten etliche Milieus direkt vom wundergläubigen Katholizismus in eine Heilfähigkeit versprechende Esoterik. Dabei lässt sich mit der "Komplementären und Alternativen Medizin (KAM)" auch ohne Medizinstudium Geld verdienen, eben nur mit dem leicht zu erwerbenden Prädikat "staatlich anerkannter" Heilpraktiker.
Sollen nunmehr Heilpraktikerberufe wegen mangelnder medizinischer Qualifikation und Unwissenschaftlichkeit abgeschafft werden? Dafür plädiert der "Münsteraner Kreis" um Prof. Schöne-Seifert. An den Gesetzgeber gerichtet schlägt das Gremium dringend eine Reform des deutschen Heilpraktikerwesens vor. Als Grund genannt wird die "unangemessene Ausbildung und die meist unhaltbaren Krankheitskonzepte". Der hpd berichtete bereits.
Als Alternative zur Abschaffung schlägt die 17-köpfigen Expertengruppe die Einführung sogenannter "Fach-Heilpraktiker" vor, d.h. eine Ausbildung analog etwa zur Physiotherapie auf Fachhochschulniveau. Jedenfalls ginge es darum, das "Missverhältnis von Qualifizierung und Befugnissen der Heilpraktiker zu korrigieren, ohne dabei die Selbstbestimmungsrechte der Patienten ungebührlich zu beschränken", wie es in dem "Münsteraner Memorandum Heilpraktiker" heißt. Bereits der 120. Deutsche Ärztetages vom Mai hatte eine deutliche Abgrenzung von der "Paramedizin" angemahnt und gefordert, "vom derzeit zulässigen Tätigkeitsumfang von Heilpraktikern sind alle invasiven Maßnahmen (wie chirurgische Eingriffe, Injektionen und Infusionen) sowie die Behandlung von Krebserkrankungen auszuschließen".
Um eben diese Abgrenzung geht es auch den Vertretern des Münsteraner Kreises. Während die akademische Medizin nach Evidenzbasierung und begründetem Fortschritt strebe, seien Heilpraktiker in der überwiegend unwissenschaftlichen Gedankenwelt der Komplementären und Alternativen Medizin (KAM) verankert. Problematisch sei zudem die Unverhältnismäßigkeit der Ausbildungsgänge mit dem langen Medizinstudium einerseits und der kurzen, weitgehend unregulierten Heilpraktiker-Ausbildung andererseits – versehen mit dem Etikett "staatlich anerkannt".
Wie sich die Diffamierten und Beleidigten wehren
Die Reaktion durch den Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände (DDH) ließ nicht lange auf sich warten. "Eine Gruppe von nicht im Heilpraktikerberuf stehenden Menschen urteilt ohne das Einholen ausreichender Sachkenntnis über eine gesamte Berufsgruppe und kommt auf wenigen Seiten zu dem Schluss, diesen Beruf abschaffen zu wollen", kontert der DDH-Vorsitzende Christian Wilms gegenüber der Ärzte Zeitung. Ulrich Sümper, Präsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker (BDH), kritisiert eine "Elfenbeinturm-Mentalität" des Münsteraner Gremiums und fügt hinzu: "85 bis 95 Prozent unserer Patienten waren vor dem Besuch in der Praxis beim Arzt."
Sicher ist dabei richtig, dass sich viele Patienten auch gerade deshalb an einen Heilpraktiker wenden, weil die "sprechende Medizin" in der ärztlichen Praxis meist zu kurz kommt. Aber ebenso nachvollziehbar ist, wenn es im Münsteraner Memorandum heißt: "So sollten aus unserer Sicht Verfahren der Alternativmedizin überhaupt keinen Platz in der wissenschaftsorientierten Versorgung haben, da dies als wissenschaftliche 'Adelung' des gerade Nicht-Wissenschaftlichen erscheinen muss."
Bettina Schöne-Seifert – Aufklärerin und Humanistin
Ergänzt wird dies von den Wissenschaftlern um Prof. Schöne-Seiffert mit dem Hinweis: Ein "der Patientenversorgung verpflichtetes Gesundheitssystem muss von unbelegten und überzogenen Heilsversprechen gänzlich freigehalten werden. Dies folgt unmittelbar aus dem ethischen Gebot der Wahrhaftigkeit im Umgang mit vulnerablen Patienten und ihren Angehörige."
Aus Sicht einer humanistischen Gesundheitsethik ist unbedingt zu begrüßen, dass zumindest einfachste einheitliche Standards etabliert werden. Es muss gewährleistet sein, dass Patientinnen und Patienten zwischen einem seriösen Anbieter und einem Scharlatan unterscheiden können.
Am Rande sei erwähnt: Als Medizinethikerin gehört Bettina Schöne-Seiffert seit Jahrzehnten zu den Befürworterinnen einer ärztlichen Suizidhilfe. Sie hat neben humanistischen Initiativen den Kampf gegen den § 217 StBG geführt – etwa als Expertin im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags. Bereits in den neunziger Jahren führte der Humanistische Verband in Berlin mit ihr zusammen einen Kongress zu Patientenautonomie am Lebensende durch. Die mehrfache Mutter spricht gern Klartext. Im Spiegel wird sie zu ihrem Vorstoß wie folgt zitiert: "Wir wollten ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte. Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen".
27 Kommentare
Kommentare
Dennis Riehle am Permanenter Link
Diejenigen, die derzeit gar die Abschaffung des Heilpraktikers fordern, haben offenbar wesentlich dessen Unterschied zum Arzt nicht verstehen können.
Heilpraktiker und Doktor müssen getrennt bleiben. Und wir sollten die, die auf beiden Seiten jeweils ihren Dienst verantwortungsbewusst tun, auch ernst nehmen. Scharlatanerie gab es schon immer, hier wie dort – und ich setze auf die Vernunft auch all jener, die selbst in körperlichen oder seelischen Ausnahmesituationen, in Not, nach jemandem suchen, der einen anderen Blickwinkel einnimmt, wonach auch ihm das gebührende Misstrauen entgegen gebracht wird, das für ein wachsendes und sich stets prüfendes Vertrauen zwischen Therapeut und Patient immer vonnöten ist.
Dass an der Ausbildung des Heilpraktikers verbindlichere Standards gesetzt werden und gegebenenfalls Beschränkungen in seinen Arbeitsfeldern verhängt werden müssen, ist ob der leidlichen Erfahrung über „Schwarze Schafe“ – die es wahrlich auch unter Ärzten geben mag – sicherlich eine Diskussion wert. Wer aber sogleich einen ganzen Berufszweig vom Markt verbannen will, der scheint vor allem darüber hinwegtäuschen zu wollen, dass Heilpraktiker zu einer Anlaufstelle für die enttäuschten Menschen geworden sind, die sich beim Mediziner nicht mehr verstanden gefühlt haben.
Das liegt nicht nur allein am Gesundheitssystem, an Krankenversicherungen und Pauschalen, sondern auch an der Einstellung, wie man einem Patienten gegenübertritt. Viele Ärzte haben hier das Emotionale, das Feinfühlige, man mag es gar als das „Menschliche“ bezeichnen, verlernt. Doch dafür können die Heilpraktiker nichts, sie sind viel eher in den allermeisten Fällen eine gute Ergänzung, um sich eine zweite Meinung einzuholen, die auf anderen Erfahrungswerten basiert als die der Schulmedizin. Trotzdem gehören sie nicht in einen Topf, das muss deutlich werden.
In einem Land mit Berufs- und Freiheit der Weltanschauung darf es jedoch zulässig sein, dass beides nebeneinander und dort, wo es passt, auch miteinander existiert. Zwingend scheint, dass sich Medizinertum und Heilpraktiker-Handwerk nicht in derselben Person vereint, um keine Glaubwürdigkeit zu verspielen. Berücksichtigt man diese strikte Trennung, sehe ich keinen Anlass dafür, weshalb man Grundrechte in Deutschland beschneiden sollte.
Rosemarie Krütz... am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Riehle,
Beide Heilberufe in einer Person vereint ist das Beste für kranke Menschen.
☺
Monika Kistner am Permanenter Link
Interessante Aussagen der Dame...wer zahlt ihr das Honorar? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Die Konkurrenz muss nicht schlechgeredet werden, sie ist schlechter, mindestens fachlich.
Rosemarie Krütz... am Permanenter Link
Ganz genau! Seit es die Schulmedizin gibt, werden die Menschen immer älter und überleben mehr...
:-)
Andreas Schlecht am Permanenter Link
Ich bin seit 17 Jahren Heilpraktiker, Physiotherapeut und Pharmakologe. In dieser Zeit habe ich nicht einen Patienten kennengelernt dem die sog. Evident Bases Medicine helfen könnte.
Leute...wacht endlich auf! Ich habe Medizin studiert...das ist kein großes Ding. Wo sind die ergebnisoffen Studien zum Thema Krebs Cholesterin aufs. Hier geht es nicht um patientensicherheit...hier geht es um eine pathologische Form der gemeinen Profitgier...entweder leider Frau Professor an einer portrahierten Form von Alzheimer oder steht im Regen der Pharmaindustrie...selten einen so schlechten Artikel gelesen...peinlich
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Eine schulmedizinische Behandlung die nicht schadet ist schon als Erfolg zu werten."
Wenn man jemanden kennt, der auf schulmedizinische Behandlungsmethoden angewiesen ist, ist dieser Satz eine bodenlose Frechheit. Stattdessen Quacksalber und Zuckerpillenverschüttler als Lösung des vermeintlichen Problems zu deklarieren, zeugt von interessengesteuerter Fehlwahrnehmung.
Andreas Schlecht am Permanenter Link
Sie haben in ermangelung biochemischen Fachwissens meine Stellungnahme nicht verstanden. Die Rede ist hier von chronischen Krankheiten.Einem Diabetiker dem ich Insulin verabreiche habe ich nicht kausal geholfen...
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Einem Diabetiker (Typ 1) können Sie nicht kausal helfen, solange Stammzellentherapie bei uns nicht gestattet ist.
Thomas Baader am Permanenter Link
@ Andreas Schlecht:
"In dieser Zeit habe ich nicht einen Patienten kennengelernt dem die sog. Evident Bases Medicine helfen könnte."
Jetzt kennen Sie einen. Mich. Und ich kann Ihnen viele weitere nennen. Leben wir beide wirklich auf demselben Planeten?
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Selten einen Kommentar gelesen, in dem sich jemand so echauffiert, dass er seine gesamten Rechtschreibkenntnisse vergisst ...
Sim am Permanenter Link
Das stimmt nicht.
Das Wort "Schulmedizin" ist übrigens ein unseriöser Kampfbegriff. Es heißt entweder evidenzbasierte Medizin oder wissenschaftliche Medizin oder ganz schlicht Medizin. Dazu gibt es keine Alternative. Alternative Medizin ist genau so sinnvoll wie alternative Fakten.
Es ist doch ganz einfach. Entweder kann man die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode belegen oder eben nicht. Kann man es belegen, dann ist alles gut. Wenn nicht... tja dann muss man schon mal nachfragen dürfen wieso man weiter an der Methode festhält.
Alternativ-Medizin besteht nur aus Methoden deren Wirksamkeit entweder unbelegt ist oder bei denen belegt ist, dass sie nicht funktioniert. Wäre eine Wirksamkeit vorhanden, würde man es Medizin nennen.
Und weil es so gut passt, möchte ich hier auf den grandiosen Tim Minchin verweisen.
https://www.youtube.com/watch?v=HhGuXCuDb1U
MartinT am Permanenter Link
Welcher Schule genau? "Der Schulmedizin läuft das Geld weg"? Der Schule nach Hahnemann zum Beispiel?
pavlovic am Permanenter Link
Verwandte von mir sind Ärzte und diese berichteten immer wieder von Fällen wo gerade besonders ungebildete Menschen, oftmals einfache Arbeiter, immer wieder zuerst zum Heilpraktiker gehen und schwere Erkrankungen wie
Thomas Baader am Permanenter Link
@ Monika Kistner:
"Interessante Aussagen der Dame...wer zahlt ihr das Honorar? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing! Der Schulmedizin läuft das Geld weg"
Das ist nun wirklich das älteste Ad-Hominem-Argument der Welt: Wenn mir die Meinung von jemandem nicht passt, sage ich "Wer bezahlt den?". Sehr durchschaubar und persönlich verletzend.
Abgesehen davon: Es gibt keine Schulmedizin, es gibt nur Medizin.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Das ist kein "ad hominem-Argument", sondern Klugheit! Wäre auch Ihnen zu empfehlen: Sobald Sie einen Vorschlag hören, der Ihnen ungewöhnlich vorkommt, stellen Sie sich zwei Fragen: Wo kommt das her?
Damit sind schon die alten Römer sehr gut gefahren.
Padotzke Wilfried am Permanenter Link
Diese Art von Ärzten haben auch im Mittelalter behauptet die Erde ist eine Scheibe.
Der Standestünkel Arzt ist schon eine tolle Sache. Früher wurde auch das medizinische Wissen nur an die Nachfolger weitergegeben. So sollte es doch wieder sein.
Thomas Baader am Permanenter Link
@ Padotzke Wilfried:
"Diese Art von Ärzten haben auch im Mittelalter behauptet die Erde ist eine Scheibe."
Die Gestalt der Erde ist nicht das Fachgebiet von Ärzten. Folglich haben auch nicht Ärzte im Mittelalter behauptet, die Erde ist eine Scheibe. Genau genommen war Theorie von der Scheibengestalt der Erde auch Mittelalter nur eine Minderheitenmeinung für eine begrenzte Zeit - entgegen dem, was geschichtswissenschaftliche Laien manchmal glauben.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das ist sicher ein extrem schwieriges Gebiet, da wir alle Patienten werden können, aber nur die wenigsten eine medizinische Ausbildung genossen haben.
Doch ist man Patient, geht es um das eigene Leben oder mindestens um Lebensqualität. Die "Apparate-Medizin" ist gerade durch lebensverlängernde Maßnahmen in Verruf geraten, die "alternative Medizin" gilt vielen als "menschlichere Medizin", weil hier der Patient noch angesprochen wird. Auf der anderen Seite stehen Schulmediziner an der Spitze der wissenschaftlichen Forschung, während Heilpraktiker in einer Grauzone agieren, bei der viel von Eignung und Berufsethos des Einzelnen abhängt.
Der Patient steht dem vergleichsweise ahnungslos gegenüber und bräuchte eine objektive Stelle, die ihm rät, sich dahin oder dorthin zu wenden. Dies könnte der Hausarzt sein, der eine erste Diagnose vornimmt. Doch um feststellen zu können, was einem Patienten am meisten hilft - unter Umständen können längere Gespräche wirksamer sein als Tabletten - bräuchte der Hausarzt ein großzügigeres Zeit-Budget. So, wie es jetzt gehandhabt wird, muss quasi der Patient selbst die Entscheidung treffen, ob er sich nicht (bzw. selbst), von einem Heilpraktiker oder von einem Schulmediziner behandeln lassen will.
Da er für diese Entscheidung oft auf zweifelhafte Quellen angewiesen ist, können auch geschäftstüchtige Quacksalber ihre Opfer finden. Wegen der unzureichenden Berufsqualifikation verstecken sich diese Quacksalber eher zwischen den Heilpraktikern als in der Schulmedizin, außer jemand fälscht seinen kompletten universitären Lebenslauf. Also müsste der Gesetzgeber in der Tat die Zulassung zum Heilpraktiker ähnlich strengen Kriterien unterstellen wie für den Schulmediziner. Gleiches gilt für die Methodik, die der Heilpraktiker anwenden will. Darunter kann in bestimmten Fällen sogar "Gesundbeten" fallen, wenn eine Besserung durch Aktivierung des Placebo-Effekts erreichbar ist.
Erneut die Frage: Wer entscheidet, ob "Gesundbeten" die richtige Therapie ist oder doch eher Tabletten, Spritzen oder OP? Vielleicht könnte man einen neuen Berufsstand definieren, eine Person, die umfassendes Wissen in allen möglichen Heilungsmethoden erworben hat und neutral (vom Staat?) finanziert wird. Dieser "Medizingutachter" würde selbst nicht heilen, sondern er begutachtet einen Patienten (in akuten Fällen wird man i.d.R. sowieso [not-]ärztlich behandelt) und rät ihm (in Absprache mit dem Hausarzt) zu einem möglichen Ansatz der Heilbehandlung. Dieser "Medizingutachter" sollte auf jeden Fall eine psychologische Ausbildung genossen haben, um den psychosomatischen Anteil der Erkrankung ausloten zu können.
Und schließlich könnte man noch eine zeitliche Frist einbauen, innerhalb der Heilungserfolge erzielt werden. Die Schulmedizin nennt dies "austherapiert", bei Heilpraktikern setzt gerade da aber oft erst ihre Arbeit ein. D.h. sie sind "die letzte Hoffnung" für Patienten. Natürlich kann und sollte man niemandem verbieten, sich auch sinnlosen Behandlungen zu unterwerfen, doch nach einer zu definierenden Frist wäre es doch dem Patienten gegenüber fair, wenn er zum "Medizingutachter" zurückkehren müsste, um den Stand seiner Erkrankung/Genesung zu bewerten. Stellt dieser dann fest, dass keine Verbesserung des Krankheitszustandes zu erwarten ist, sondern ein Heilpraktiker sich nur bereichern will (ich kenne so einen Fall aus dem Bekanntenkreis), dann sollte es eine Handhabe geben, den Patienten zu schützten.
Ich gebe offen zu, dass dies ein extrem schwieriges Gebiet ist, weil es sensible Punkte im Leben eines jeden Menschen betrifft. Wer krankt ist, will hoffen, und wer Heilung verspricht wird oft zum letzten Strohhalm. Und doch muss der Staat in seinem Wächteramt Wege finden, seine Bürger vor falschen Hoffnungen zu schützen...
Gita Neumann am Permanenter Link
Gesetzesiniative aus NRW / Übers Ziel hinausgeschossen? Debatte geht weiter:
Mit einer auch schon vorgeschlagenen Abschaffung des Heilpraktikerberufs würde nach Ansicht von Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, aber deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Es gebe bei vielen Menschen das Bedürfnis, sich abseits der medizinischen Kompetenz versorgen zu lassen, der Gang zum Heilpraktiker sei beliebt. Henke fordert aber eine Ausdehnung der Tätigkeitsbereiche, die unter einem Arztvorbehalt stehen. Und auch in erster Linie eine bessere Aufsicht, welche den Gesundheitsschutz zu gewährleisten hat. Sie müsse v.a. einheitlich sein und nicht in Viersen eine Berufsausübung verbieten, die dann im benachbarten Wesel wieder aufgenommen werden kann.
Auch nach Ansicht der Deutschen Hochschulmedizin und des Medizinischen Fakultätentages ist die Heilpraktikerausbildung in Deutschland "völlig unzureichend". Zugleich wird in Mitteilungen aber darauf hingewiesen, dass komplementärmedizinische Ansätze die Schulmedizin wertvoll ergänzen könnten. Hierzu bedürfe es aber mehr wissenschaftlicher Evidenz als bislang. Die von Prof. Bettina Seifert angestoßene Diskussion sei wichtig – nur so lasse sich aufgeklärte Wahlfreiheit mündiger Patienten gewährleisten.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich finde es hochinteressant, dass es offenbar unglaublich viele Leute gibt, die sich eine Überzeugung und das Eintreten dafür nur und ausschließlich aufgrund pekunärer Anreize vorstellen können.
Ich oute mich ohne jedes irgendwie geartete persönliche Interesse als hundertprozentig hinter dem Münsteraner Memorandum stehend. Man findet mich dort auch in der Unterstützerliste. Warum? Weil es ein humanistiisches Anliegen par excellence ist, Menschen nicht Scheintherapien auszusetzen, zu verhindern, dass das Vertrauen in Rationalität und Wissenschaft untergraben wird durch die Schimäre, es gebe eine "zweite Medizin" neben der wissenschaftlich orientierten.
Noch in den 1990er Jahren war das Konzept der Dualität weit verbreitet: Lasst sie doch, schadet ja nichts. Inzwischen hat ein tiefgreifender Wandel im Sinne eines postiven Fortschritts eingesetzt. Die Medizin nahezu aller westlichen Industrieländer und auch vieler anderer bekennt sich konsequent zum Konzept der evidenzbasierten Medizin. Dieses Konzept setzt konsequent auf den wissenschaftlich gesicherten Wirksamkeitsnachweis von Mitteln und Methoden. Alles, was diesen Nachweis belastbar erbringen kann, ist Medizin. Alles, was dies nicht kann, ist - Nichts. Nicht alternativ, nicht komplementär, nicht integrativ. Alles nur Euphemnismen für Mittel und Methoden, die die Anforderungen der EbM nicht erfüllen können.
Wissenschaftliche Medizin muss wissenschaftlich ausgebildeten Menschen vorbehalten bleiben. "Nichts" darf niemand erlaubt werden, erst recht nicht mit staatlichem Segen. So richtet sich das Münsteraner Memorandum ja nicht nur gegen das Heilpraktikerwesen, sondern auch gegen die Praktizierung von Scheinmethoden durch Ärzte.
Beliebigkeitsmethoden und Wünsch-dir-Was-Medizin haben in einem öffentlichen Gesundheitssystem nichts verloren und können auch außerhalb dessen einem Staat, der sich für das gesundheitliche Wohl seiner Bürger verantwortlich fühlt, nicht gleichgültig sein. Dies ist ein zutiefst humanistisches Anliegen.
Tina Wiegand am Permanenter Link
Es ist schwer zu akzeptieren, dass die etablierte Medizin die Verbraucher nicht überzeugt und nicht hält, was sie verspricht.
Gita Neumann am Permanenter Link
"Und Frau Schöne-Seifert verspricht, dass man nicht stirbt, nur weil man beim Schulmediziner war? "
Nein, eben nicht, wie verkennt keinesfalls die Grenzen der Medizin und den Missbrauch der "Lebensverlängerungsindustrie". Dehalb ist sie auch eine Verfechterin des Humanen Sterbens und der Patientenautonomoie. Und wie im Beitrag erwähnt auch der ärztlichen Suizidhilfe und streitet dafür seit Jahren.
Gita Neumann
Manfred H. am Permanenter Link
Ich kann die Ansichten von Herrn Riehle und Frau Kistner nicht teilen.
Um noch einmal deutlich zu machen, worum es eigentlich geht, empfehle ich die Lektüre des aktuellen Artikels im Skeptiker-Blog: http://blog.gwup.net/2017/08/25/wir-sind-keine-lobby-initiatorin-prof-schone-seifert-zum-heilpraktiker-memorandum/
drmarcuse am Permanenter Link
Es verwundert, wie viele (Berufs-)Esoteriker sich in den Kommentaren tummeln,
angelika richter am Permanenter Link
"Sicher ist dabei richtig, dass sich viele Patienten auch gerade deshalb an einen Heilpraktiker wenden, weil die "sprechende Medizin" in der ärztlichen Praxis meist zu kurz kommt."
Da liegt meines Erachtens der entscheidende Hebel.
"Alternativen" Scharlatanen gräbt man am Besten das Wasser ab, indem man den kranken Menschen im humanmedizinischen Bereich die Zuwendung und Aufmerksamkeit gibt (und vergütet), die sie in ihrer vulnerablen Situation suchen und brauchen.
Derzeit geht die Entwicklung leider noch in eine andere Richtung: Viele Arztstellen bleiben unbesetzt, an der Pflege wird bis zum geht- nicht- mehr gespart.
Ein großer Teil wird in diesem Bereich mit ausländischen Kräften besetzt, die sich mit gerade so ausreichenden Sprachkenntnissen und/oder fachlicher Qualifikation durch den Arbeitsalltag kämpft, eventuell ein Arzt - Patientenverhältnis auf Augenhöhe vom kulturellen Konzept her ohnehin nicht auf dem Radar hat.
Wenn der Münsteraner Kreis überzeugen will, muss er zusätzlich auch in diesen Bereichen ansetzen, mit Forderungen nach verbindlichen Pflegeschlüsseln, ausreichender Vergütung des Gesprächs, einer langen Einarbeitung- und Mitlaufphase für fremdsprachige und -qualifizierte Fachkräfte usw.
Tina Wiegand am Permanenter Link
Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der etablierten Medizin, die aggressiv und kriegerisch Symptome bekämpft und der alternativen Medizin, die das Gesunde stärkt und versucht, den Menschen in seinem Sym
Anstatt den Weg der Aufklärung und des Enablement der Patientenschaft zu gehen, die die Fähigkeit der Patienten stärkt, spielt sie sich Frau Schöne-Seifert als Retterin der armen, doofen, inkompetenten Opfer auf und bekämpft die Symptome einer suchenden Zeit. Ob sie schon einmal etwas vom Dramadreieck gehört hat? Es wird immer Menschen geben, die die Welt retten müssen, weil sie glauben, die Einzigen zu sein, die etsas verstanden haben. Allerdings ist in solchen Fällen das Wort Ethik verfehlt.
Medizinier verstehen etwas von Medizin, seriöse Heilpraktiker verstehen etwas von der Praxis der Heilung. Wenn sie sich stark machen würde, für eine gemeinsame Strategie für eine größere Seriosität im Heilwesen, für eine Vermehrung des Wissens und eine Symbiose der Kompetenzen - das würde damit beginnen, die Finanzindustrie aus dem Gesundheitswesen zu verbannen - und dazu die zusammentrommeln würde, die sich über Jahrzehnte bewährt haben, könnte ich ihren Vorstoß ernst nehmen. Hier könnte man auch über die Ethik der freien Entscheidung eines Patienten diskutieren. Aber die bisherige Vorgehensweise ist inakzeptabel, engstirnig und unethisch und erzeugt massiven Widerstand in der Patientenschaft.
Solange sich die etablierte und vielerorts unseriöse Schul-Medizin nicht transformiert - Hände weg vom Heilpraktiker.