Die LINKE und die Religionspolitik

Rhetorische Nebelkerzen und eine identitäre Grundeinstellung

Helge Meves, in der Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Linke im Bereich Grundsatzfragen tätig, hat in einem hpd-Artikel seine Partei gegen Kritik aus dem säkularen Lager verteidigt. Doch seine Ausführungen gehen zu einem guten Teil am Kern der Sache vorbei, übersehen, dass Religionspolitik Gesellschaftspolitik ist, und zeigen eine bedenkliche Nähe zu identitärem Gedankengut.

Als die britische Premierministerin Margaret Thatcher Anfang der 1980er-Jahre ihre neoliberale Politik durchsetzte, war ihr Slogan "There is no alternative". Doch es war wohl eher so, dass die "Eiserne Lady" mit diesem Spruch die Debatte über Alternativen zu ihrem politischen Kurs von vorneherein unterbinden und davon ablenken wollte, dass sich für ihre Politik kaum vernünftige Argumente finden ließen. Nicht anders ist es, wenn Helge Meves verkündet, dass "die Ausweitung des Modells der Staatsverträge" mit nichtstaatlichen Körperschaften öffentlichen Rechts "die einzig praktikable Lösung für eine Gleichbehandlung" sei.

Wer über diese "einzig praktikable Lösung" etwas genauer nachdenkt, stellt zunächst fest, dass dadurch das herrschende System der Benachteiligung Konfessionsloser und kleiner Religionsgemeinschaften nicht aufgehoben, sondern stabilisiert wird. Meves’ Vorstellung bewegt sich genau im Rahmen dessen, was die beiden großen Kirchen seit etwa 20 Jahren propagieren: Der Schulterschluss der abrahamitischen Religionen soll die Erosion ihrer Macht und ihrer Privilegien aufhalten. Die ganzen Ausführungen zur "Herrscherreligion" und der Religion der Unterdrückten erweisen sich als rhetorische Nebelkerze: Denn folgen wir Meves’ Vorschlägen, bleibt im Grundsatz alles beim Alten, nur ein paar Organisationen mehr werden mit Geld und Privilegien ausgestattet. Das schafft in erster Linie Posten für religiöse Funktionäre (vielleicht auch für eine Handvoll Funktionärinnen), die Gläubigen profitieren von dieser Entwicklung eher weniger.

Vor allem aber setzt Meves stillschweigend die Ausweitung des Körperschaftsstatus voraus, bezeichnet sie sogar als "Konsens in der Menschenrechtsdebatte". Richtig ist, wenn er darauf verweist, dass der jetzige Zustand in Deutschland historisch entstanden ist und die geschichtliche Entwicklung in den USA und Frankreich andere Voraussetzungen hatte. Falsch ist hingegen, wenn er suggeriert, dieser Zustand sei deshalb in Stein gemeißelt. In den vergangenen 50 Jahren hat sich die religiös-weltanschauliche Zusammensetzung der Bevölkerung drastisch verändert, so dass mir eine Änderung des Status quo – der Bevorzugung religiöser Organisationen vor anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren durch den Körperschaftsstatus und die damit einhergehenden Privilegien – notwendig erscheint. Denn ein im Grundsatz ungerechtes System wird nicht dadurch besser, dass es auf ein paar weitere Organisationen ausgeweitet wird.

Religionsfreiheit: Kollektiv und Individuum

Die nächste Nebelkerze wirft Meves, wenn er das Grundsatzprogramm der Partei Die Linke zitiert. Ich hatte gar nicht behauptet, dass Die Linke insgesamt nur das Kollektiv im Blick hat, sondern dass Meves, Buchholz & Co. in religionspolitischen Fragen diese Position vertreten und versuchen, sie gegen andere Auffassungen in der Partei durchzusetzen. Meves unterstreicht dies dankenswerterweise bereits mit der Überschrift seines Beitrags: "für gleiche Rechte aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften".

Und genau hier setzt meine Kritik an: Religionsfreiheit bezieht sich in dieser Interpretation nicht mehr auf die konkrete Lebenssituation der Gläubigen, sondern wird auf die Ebene der Organisationen verlagert. Dass allein dadurch die Religionsfreiheit der Einzelnen eingeschränkt werden könnte (z.B. durch die Einführung einer formellen Mitgliedschaft und die Notwendigkeit, sich öffentlich oder vor einer Behörde zu bekennen), hat Meves gar nicht im Blick. Oder sollte ich sagen: Er will von diesem Problem ablenken, damit nicht auffällt, dass sein Vorschlag eben doch nicht alternativlos ist?

Diskreditierung als rhetorische Strategie

Ein ganzes Arsenal an Nebelkerzen kommt zum Einsatz, wenn Meves versucht zu verbergen, wie nahe seine Auffassungen an identitären Vorstellungen liegen. Mehrfach verlässt er den Bereich dessen, was noch als Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung angesehen werden kann.

Schon die Überschrift seines Textes suggeriert, es gäbe einen Zusammenhang zwischen "Hass" und der Ablehnung einer Privilegierung von Religionsgesellschaften (was Meves "Gleichbehandlung" nennt). Allein dies ist bereits demagogisch, und natürlich wird (wie in Texten von Christine Buchholz auch) die Abgrenzung gegenüber der Alternative für Deutschland (AfD) nachgeschoben. Schließlich landet er bei der NSDAP und präsentiert eine Studie, nach der 18% der Konfessionslosen AfD wählen wollen. (Wie solche Statistiken mit einfachen Mitteln kritisch zu prüfen sind, war auf hpd schon nachzulesen.) Da die AfD das bestehende Verhältnis von Staat und Religionsgesellschaften überhaupt nicht ändern will, in ihrem Wahlprogramm sogar auf das "freiheitliche Staatskirchenrecht" Bezug nimmt (von dessen Segnungen lediglich "der Islam" auszuschließen sei), ergibt der Hinweis auf diese Partei in einer sachlichen Debatte keinen Sinn. Er dient Meves, wie auch Buchholz, allein dazu, laizistische Positionen zu diskreditieren, indem eine Verbindung mit der extremen Rechten in den Raum gestellt wird.

Ebenso ist seine Behauptung, der Laizismus werde zur Ausgrenzung von Muslimen instrumentalisiert, zu bewerten. Wenn Marine Le Pen die Förderung der Laizität und den Kampf gegen den Kommunitarismus propagiert, ist das kein Argument gegen Laizismus (ebensowenig wie es ein Argument gegen Kapitalismuskritik ist, wenn der Papst sich kritisch zu einzelnen Erscheinungen des Kapitalismus äußert). Die Ablehnung von Muslimen durch den Front National ist völkisch begründet und fußt nicht auf dem Prinzip der Laizität (ich habe ohnehin meine Zweifel, dass die Begeisterung von Marine Le Pen für den Laizismus etwas anderes war als Wahlkampfrhetorik).

Religionspolitik ist Gesellschaftspolitik, die Veränderung des Verhältnisses von Staat und Religions- & Weltanschauungsgemeinschaften hat Auswirkungen auf die Gesellschaft, und diese müssen reflektiert werden. Und ich bleibe dabei, auch wenn Helge Meves in Abrede stellt, dass es um eine Förderung der religiösen Rechten geht: Wer das bestehende System beibehalten und auf die Islamverbände ausweiten will, stärkt die konservativen gesellschaftlichen Kräfte. Welche Folgen beispielsweise ein weiterer Anstieg von Einrichtungen in der Trägerschaft religiöser Organisationen hätte, liegt auf der Hand (nur als ein Stichwort: reproduktive Selbstbestimmung).

Kann es für eine Oppositionspartei wirklich eine Perspektive sein, unter Hinweis darauf, dass für gesellschaftliche Veränderungen Mehrheiten notwendig sind (das ist natürlich korrekt, aber eben auch banal), richtige Positionen aufzugeben und einem unwesentlich korrigierten Status quo das Wort zu reden? Das wäre "Realpolitik" im allerschlimmsten Sinne des Wortes.

Identitäres Gedankengut

Ich fürchte aber, dass der Konflikt nicht in der mangelnden Fähigkeit von Meves, Buchholz & Co. begründet ist, politische Perspektiven oder Visionen zu verfolgen. Nach meinem Eindruck geht es um die Frage, ob ein universalistisch ausgerichteter Laizismus, der davon ausgeht, dass für alle Menschen (und eben nicht Religionsgesellschaften einer bestimmten Größe) das gleiche Recht gilt, grundlegender Teil der gesellschaftlichen Ordnung sein soll oder nicht. Meves hat sich hier ja nicht nur in seinem hpd-Artikel klar positioniert: Er befürwortet die Zusammenarbeit von Staat und ausgewählten Religionsgemeinschaften, deren Bevorzugung vor anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und die Diskriminierung vor allem der ohne Religion lebenden Individuen (wie auch derjenigen, die abseits der Kirchen und Verbände ihre Religiosität nach eigenem Geschmack ausleben möchten).

Wie nahe seine religionspolitischen Vorstellungen identitärem Gedankengut stehen, wird deutlich, wenn Meves schreibt, Muslime würden diskriminiert, "weil sie alle Teile der Gruppe der Muslime sind". Dass diese Aussage fragwürdig ist, wird schnell erkennbar, wenn man sich zum Vergleich die Situation der Schwarzen in den USA in den 1960er Jahren vor Augen führt. Damals gab es nicht nur Gesetze und Verordnungen, die in einer Reihe von US-Bundesstaaten diese Bevölkerungsgruppe offen diskriminierten, die Diskriminierung schlug auch voll auf jedes einzelne Leben durch (wie sich in zahlreichen Autobiographien nachlesen lässt). Eine ähnliche Gesetzeslage in Deutschland existiert nicht. Mir wäre auch nicht bekannt, dass es eine nennenswerte Anzahl an Restaurants gibt, die eigene Bereiche für muslimische Gäste ausweist, dass Muslimen bestimmte Sitzplätze in öffentlichen Verkehrsmitteln vorbehalten wären usw. Und die bislang verabschiedeten "Kopftuchgesetze" haben einer höchstrichterlichen Prüfung nur standgehalten, wenn sie nicht explizit und ausschließlich das religiös motivierte Kopftuch zum Beispiel für Lehrerinnen untersagt haben.

Des Weiteren ist zu bedenken, dass bei weitem nicht alle Musliminnen ein Kopftuch tragen. Wenn kopftuchtragende Frauen also durch diese Gesetze (wenn man es so bewerten möchte) diskriminiert werden, dann nicht weil sie Musliminnen sind, sondern weil sie eine bestimmte Interpretation des Islams durch ihre Kleidung öffentlich bekennen. Auch dies kann man kritisieren, nur ist es etwas völlig anderes, als Meves behauptet. – Vor allem aber: Keine einzige alltagsweltliche Diskriminierung würde durch die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an ein halbes Dutzend Islamverbände aufgehoben.

Meves’ Behauptung ergibt nur Sinn, wenn eine kollektive Identität "der Muslime", aus der sich weitgehend identische Interessen ergeben, angenommen wird. Nur dann könnte durch die Privilegierung von Verbänden, die diese Bevölkerungsgruppe wiederum weitestgehend repräsentieren müssten, individuelle Diskriminierung reduziert werden. Von der Idee einer Gesellschaft, in der Menschen sich zusammenschließen, um ihre Interessen zu vertreten, Wahlverwandtschaften eingehen und für Selbstbestimmung und Emanzipation kämpfen, sind Meves’ identitäre Gruppen-Vorstellungen sehr weit entfernt. Nicht der universalistische Ansatz des Laizismus bewegt sich innerhalb des von der AfD aufgezogenen Diskursrahmens, sondern Meves’ Befürchtung, die Religionsfreiheit "der Muslime" werde dadurch bestritten, dass der Muezzin-Ruf seine Grenzen am Immissionsschutz findet. Wie die AfD geht er von einer orthodoxen bis islamistischen Interpretation des Islams aus; dass er diese anders bewertet als die AfD, löst den grundsätzlichen Diskurs nicht auf. Dass es Muslime geben könnte, die im digitalen Zeitalter Kirchengeläut und Muezzin-Ruf als Dominanzgebaren verstehen, kommt ihm gar nicht in den Sinn.

Das ganze Schwarz-Weiß-Gemälde von der Religion der Unterdrückten und der Mehrheitsgesellschaft bietet nur ein Zerrbild der Realität. Es gibt zahlreiche liberale Muslime, die eine konsequente Trennung von Staat und Religionsgesellschaften zu schätzen wissen; ganz zu schweigen von denjenigen, die vor den gesellschaftlichen Verhältnissen geflohen sind, die mit Koran, Hadithen und Fatwas, also aus dem Islam abgeleiteten Recht, begründet werden. Der Antisemitismus in Frankreich ist nicht allein auf den Front National zurückzuführen, sondern grassiert eben auch in Teilen der muslimischen Bevölkerung. Und: Religion ist ein Bekenntnis, sie schlägt sich in Einstellungen und Verhalten nieder, die nicht zum Wesenskern eines Menschen gehören, sondern geändert werden können. Man könnte das, wie gesagt, Emanzipation nennen, und Religionskritik den Anstoß dazu.