Janine Burke entdeckt in Vogelnestern Kunstwerke der Natur

Wettstreit der gefiederten Baumeister

Jeder Mensch ist ein Künstler, mit diesem Credo war Josef Beuys in den Siebzigern noch ein Bürgerschreck. Damit, dass selbst Schimpansen Kunst machen können, überraschte Desmond Morris die Öffentlichkeit schon 1964, nachdem er an seinem Zögling Congo ein Gefühl für Symmetrie und Harmonie und Lust am Malen beobachten konnte. Und nun auch Vögel? Janine Burke ist in ihrem Buch "Nest. Kunstwerke der Natur" davon überzeugt: Auch Vögel machen Kunst.

Der Goldkopf-Zistensänger (Cystola exilis) Südostasiens näht regelrecht Blätter zusammen, um dann in deren beutelartigem Innern ein behagliches Nest zu errichten. Die Männchen tun es. Gefällt das einem Weibchen, zieht es ein. (Nicht anders ist die Rollenverteilung bei unseren heimischen Zaunkönigen, wo die Männchen oft mitunter mehrere Nester zur Auswahl aus Zweigen und Moos anlegen.) Australiens Laubenvögel konstruieren kniehohe Laubengänge, vor denen sie Sammlungen farbiger Gegenstände auslegen. Die eine Art nur blaue, die anderen nur rote. Eine dritte hat sich auf ein minimalistisches Grau spezialisiert. Die Vögel müssen bis zu fünf Jahre üben, bis sie erfolgreich zum Zuge kommen und mit einem Schaustück ein Weibchen überzeugen. Die irischstämmige Janine Burke lebt seit vielen Jahren in Australien und lehrt dort Kunstgeschichte an der Monash-Universität. So mag es nicht wundern, dass die jüngste Erweiterung des Kunstbegriffs derart inspiriert aus down under kommt.

Dabei richtet Janine Burke ihr Augenmerk auch auf verbreitete Vogelarten wie die europäischen Schwalben. Sie legen ihr Nest an unseren Hausfassaden unter dem Dachvorsprung und der Regenrinne von außen nach innen an: Erst bauen sie mit den Schnäbeln aus Lehmkügelchen die Lehmschale, dann formen sie das noch weiche Baumaterial mit ihren kleinen Körpern brutgerecht. Sie müssen also von Anfang an, an der Außenwand arbeitend. auch die Innenperspektive im Kopf haben.

Eine Planung des Ganzen. Damit ist schon ein Kriterium genannt, das es braucht, um das produktive Vorgehen der Vögel als Kunst bezeichnen zu dürfen. Sie benötigt zudem ein Publikum, einen Auswahlprozess und die Lust als treibenden Faktor, vor allem aber die Fähigkeit, mit den Gegebenheiten der Natur zu experimentieren, um einen Wandel zu erreichen. Schließlich führt Janine Burke Gilles Deleuze und Felix Guattari an, nach denen ein Kunstwerk die Setzung von etwas Geordnetem gegenüber dem Zufall ist.

In diesem Sinn mag schon Kunst entstehen, wenn der Zahn-Laubenvogel eine Bühne baut, bevor er seinen Gesangsvortrag anstimmt, indem er in einen bestimmten Umkreis alle Blätter am Boden so umdreht, dass ihre helle Unterseite aufschimmert, um die Aufmerksamkeit der Weibchen zu erregen. Mehr noch ahnen wir das Kunstwollen, wenn die Laubenvögel neuerdings auch Plastikbänder und Plastikflaschen oder Plastikdeckel vor dem Laubengang drapieren. Oder waren die menschlichen Hinterlassenschaften einfach noch viel blauer als es eine Beere je werden kann? Und kommen mittlerweile häufiger vor als diese? Zur Kunst gehört aber vielleicht genauso bei diesen Vögeln der Exzess, dem die menschliche Kunst bekanntlich von den Manieristen bis zu van Gogh vieles verdankt hat.

Dabei blicken die Vögel auf eine lange Vorgeschichte zurück. Alles begann mit dem Dinosaurier. Im amerikanischen Nordmontana wurden fossile Nester der Maiasaura entdeckt. Jack Horner erkannte, dass diese gigantischen Tiere bereits vor 80 Millionen Jahren in Nistkolonien brüteten. Wie heute die Silbermöwen und Albatrosse. „Sie legten Hügel mit einem Durchmesser von zwei Metern an … höhlten sie aus, bestückten sie mit Pflanzenmaterial, bedeckten die Nester und hielten sie warm, bis die Jungen schlüpften“, so Janine Burke in ihrem Essay. Vermutlich fütterten sie sie auch einige Wochen.

Irgendwann im Laufe der Naturgeschichte muss dann noch etwas dazugekommen sein: der Wunsch, etwas schön auszuführen. Wächter und Schiedsrichter darüber waren stets die Weibchen.

Janine Burke: "Nest. Kunstwerk der Natur", aus dem Englischen von Susanne Darabas, oekom Verlag München, 188 S., 20,00 Euro