Nordrhein-Westfalen

Philosophieunterricht in der Grundschule?

Soll ein Philosophieunterricht bald als Ersatzfach für konfessionellen Religionsunterricht in nordrhein-westfälischen Grundschulen angeboten werden? Ein entsprechender Antrag der Grünen-Landtagsfraktion wurde im Ausschuss für Schule und Bildung diskutiert.

An weiterführenden Schulen in NRW gibt es den Philosophieunterricht bereits. Nun fordern Bildungspolitiker die Einführung des Fachs auch für die Grundschulen. In einem entsprechenden Antrag der Grünen-Landtagsfraktion heißt es dazu: "Die Einrichtung eines Unterrichtsfach ‚Philosophieren mit Kindern‘ wird an den Grundschulen des Landes als Ergänzung des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts notwendig, um allen Kindern ein Angebot zu unterbreiten, in dem sie sich mit Sinn- und Wertefragen befassen."

Insbesondere durch den gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Pluralität und die daraus resultierenden Herausforderungen sei die Einführung des Philosophieunterrichts in der Grundschule notwendig geworden. Bereits 18,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler an nordrhein-westfälischen Grundschulen seien laut amtlicher Statistik für das Schuljahr 2016/2017 konfessionslos. 18,7 Prozent der Grundschulkinder werden in der Statistik dem islamischem Bekenntnis und 6,3 Prozent Kinder anderen Bekenntnissen zugerechnet.

Positive Resonanz

Verschiedene Sachverständige haben sich in Stellungnahmen positiv zum Vorstoß geäußert. So betonte Thomas Nisters, Philosophieprofessor an der Universität zu Köln: "Es ist kaum zu verantworten, Schülerinnen und Schülern in immer größerer Zahl einen Unterricht vorzuenthalten, dessen besondere Aufgabe es ist, Fragen der Sittlichkeit, des guten Lebens in den Blick zu nehmen."

Anne Goebels, Mitarbeiterin des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung Köln, wies darauf hin, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in sogenannten "Auffanggruppen" beaufsichtigt, aber nicht gebildet werden, zunehmend ansteige. "Diese Situation ist weder für die wissbegierigen Kinder und ihre Erziehungsberechtigten noch für Lehrerinnen und Lehrer akzeptabel", so Goebels. Ein philosophischer Unterricht schule dagegen im "eigenständigen, systematischen, reflexiven Denken und darin, andere Sichtweisen in ihre eigenen gedanklichen Operationen einzubinden." Mittelbar würden Schülerinnen und Schüler so "zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben befähigt – und zwar als autonomes, kritisch denkendes Subjekt."

Selbst Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche haben sich in einer Stellungnahme dafür ausgesprochen, einen Ersatzunterricht für Kinder anzubieten, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. "Die Auseinandersetzung mit existenziellen sowie Sinn- und Wertfragen ist auch und gerade in der Grundschule zu fördern", erklärten Kirchenrat Dr. Thomas Weckelmann, Beauftragter der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung, und Dr. Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen. "Wenn Eltern eine solche Auseinandersetzung für ihre Kinder außerhalb des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts wünschen, ist diesem Wunsch aus Sicht der Kirchen Rechnung zu tragen."

Grundsätzliche Kritik von Säkularen am Religionsunterricht

Schon lange kritisieren säkulare Organisationen den konfessionellen, bekenntnisorientierten Religionsunterricht und sprechen sich für ein allgemeinverbindliches Fach "Ethik/Weltanschauungskunde" aus. 

So fordert der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) mit der Kampagne "Reli Adieu!": "Soweit Ethikunterricht als Zwangs-Alternative zum Religionsunterricht noch erteilt wird, ist er als gleichrangiges Alternativfach zum Religionsunterricht auszugestalten. Den Kirchen und Religionslehrerverbänden darf kein Einfluss auf die Gestaltung der Lehrpläne des Ethikunterrichts eingeräumt werden; eine solche Einflussnahme der Kirchen auf Nicht-Mitglieder darf nicht hingenommen werden." Vielmehr müsse der Religionsunterricht grundsätzlich in die Religionsgesellschaften zurückverlagert werden. Der IBKA fordert daher die Streichung von Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes, wonach konfessioneller Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach sei. 

Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, benannte in einem Interview mit der Fachzeitschrift "Pädagogik" fünf Gründe, die seines Erachtens gegen den konfessionellen Religionsunterricht und für ein allgemeinverbindliches Fach "Ethik/Weltanschauungskunde" sprechen: "(...) Ich bin aus verschiedenen Gründen ein Gegner des konfessionellen Religionsunterrichts: Erstens verstärkt er den Trend zur religiösen Gettoisierung der Gesellschaft. Zweitens ist er ein Fremdkörper im schulischen Curriculum, das Erkenntnisse vermitteln soll, die belegt sind – nicht Bekenntnisse, die weitgehend widerlegt sind. Drittens fördert der Religionsunterricht die problematische Neigung zum konventionellen Denken, da er grundsätzlich von einer göttlich vorgegebenen Werteordnung ausgehen muss. Viertens untergräbt die religiöse Rückbindung der Normen eine politische Einsicht, die für plurale Gesellschaften maßgeblich ist: Denn Werte, die für alle gelten sollen, müssen auch für alle einsichtig sein, weshalb sie eben nicht auf religiösen Überzeugungen fußen dürfen, die weite Teile der Bevölkerung nicht akzeptieren. Fünftens – und das ist vielleicht der schwerwiegendste Einwand – läuft der konfessionelle Religionsunterricht auf eine weltanschauliche Manipulation von Kindern und Jugendlichen hinaus."