Replik auf einen hpd-Artikel

"In nach wie vor heiterer Gelassenheit"

In der vergangenen Woche veröffentlichte der hpd einen Artikel von Gabriele Röwer, in dem sie die Einrichtung einer Professur für Religionskritik in Leipzig kritisch hinterfragt. Der Inhaber dieser Stiftungsprofessur, Horst Junginger, kommentierte den Artikel ausführlich. Die Redaktion hat nach Rücksprache mit Prof. Junginger entschieden, die Replik als eigenen Artikel zu veröffentlichen.

Sehr geehrte Frau Röwer,

eingedenk der Tatsache, dass die Religionskritik an den Universitäten auf erhebliche Vorbehalte stößt, hielt ich es für eine gute Strategie, die Begründung für die von Ihnen kritisierte Stiftungsprofessur auf die Abgrenzung von den beiden Außenpositionen, der kirchlichen und der antikirchlichen, anzulegen. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Kritik nur begrüßen.

Es mag vielleicht etwas falsch herübergekommen sein, aber ich beurteile Karlheinz Deschner und sein Werk durchaus nicht negativ. Ganz im Gegenteil schätze ich ihn als bedeutenden Aufklärer. Es ist ein Glücksfall, dass er von Herbert Steffen bzw. der GBS (Giordano Bruno Stiftung, Red.) diese Förderung erfuhr. Meine Hochschätzung gilt auch der Arbeit von fowid (Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Red.) und den von großer Sachkenntnis geprägten Veröffentlichungen Carsten Frerks. Gleichwohl halte ich an der Bezeichnung "weltanschauliche Religionskritik" für Deschners Oeuvre fest und sehe nicht, was daran so schlimm sein soll. Deschners Kritik ist erklärtermaßen subjektiv, einseitig, parteiisch, eklektisch, unsystematisch, stark auf der deskriptiven und schwach auf der analytischen Ebene. Dass sie in dieser Form mit der Universitätswissenschaft kompatibel sein könnte, ist ausgeschlossen. Auch er selbst hat das verneint.

Im Grunde genommen ist Religionskritik auch nicht das richtige Wort für Deschners Ansatz, da es ihm ausschließlich um die katholische Kirche, und hier auch nur um die Amtskirche, geht. Andere Formen des Katholizismus kommen nicht vor. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als säße er der Behauptung der Kirchenhierarchie auf, sie allein würde den katholischen Glauben bzw. das Christentum insgesamt repräsentieren. Wenn man eine differenzierende Herangehensweise grundsätzlich ablehnt, beraubt man sich aber der Möglichkeit, gemeinsam mit katholischen Kirchenkritikern eine Änderung der Verhältnisse zu bewirken. Wenn man das will – ich unterstelle das einfach einmal –, wäre es sinnvoll, Bündnisse zu schließen, einen Keil in die Front der Feinde zu treiben usw. Kein anderer zeitgenössische Denker hat die deutschen Katholiken jedoch so zusammengeschweißt wie Karlheinz Deschner.

Prof. Horst Junginger; Foto via Uni Leipzig
Prof. Horst Junginger; Foto via Uni Leipzig

Mein Hauptkritikpunkt betrifft Deschners negative Bindung an den untersuchten Gegenstand, man könnte fast sagen, die Abhängigkeit von ihm. Dieser Punkt lässt sich nicht einfach damit abtun, dass er in der theologischen Polemik eine zentrale Rolle spielt. Deschner ist meiner Meinung nach nicht ganz unschuldig daran, dass seine Kritik als Spiegelung der christlichen Apologetik wahrgenommen wird, deren Bedeutung auf den kirchengeschichtlichen Referenzrahmens beschränkt bleibt. Wie könnte man unter Berufung auf die "Kriminalgeschichte des Christentums" den Buddhismus oder andere Religionen kritisieren? Ich selbst habe mich intensiv mit der christlich-theologischen "Kriminalgeschichte des Judentums" zwischen 1933 und 1945 beschäftigt. Gerade deshalb halte ich Deschners Anspruch, die "Verbrechensgeschichte" als Wesensmerkmal des Christentums herausarbeiten zu wollen, für problematisch. Man wird keiner Religion gerecht, wenn man Einzelnes herausgreift und – sei es im Positiven oder im Negativen – als das Ganze ausgibt. Derzeit wird in der politischen Rechten geradezu fieberhaft daran gearbeitet, eine "Kriminalgeschichte des Islams" zu schreiben. Ich sehe hier in der Tat das Problem, dass sich mancher dabei auf Deschner und seine Vorgehensweise berufen könnte.

Im Unterschied zur weltanschaulichen ist die wissenschaftliche Religionskritik gezwungen, sich an den Maßstäben zu orientieren, die auch sonst für das wissenschaftliche Arbeiten gelten. Das kann man kritisieren oder den etablierten Wissenschaftsbegriff insgesamt für Nonsens halten. Doch alternative Erkenntnisformen führen nicht automatisch zu besseren Ergebnissen. Wie die Arbeitsweise der Religionswissenschaft (i.U. zur Theologie) und die der Religionsgeschichte (i.U. zur Kirchengeschichte) aussieht, habe ich in meinem letzten Buch über die "Religionsgeschichte Deutschlands in der Moderne" knapp und eingängig erläutert (S. 13-22). Von dieser Perspektive aus kritisiere ich Deschners Kirchenkritik nicht weil sie kritisch, sondern weil sie zu wenig kritisch ist.

Wenn er beispielsweise sagt, die Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen – diese Meinung findet sich auch in dem von Ihnen verlinkten Text –, ist das wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben. Man kann so etwas nur annehmen, wenn man die Argumente des religiösen Binnendiskurses für bare Münze nimmt. Solche essentialistischen Vorstellungen suchen wir unseren Studenten schon im ersten Semester auszutreiben. Man sieht an diesem Beispiel aber auch, wie notwendig es ist, seine Quellen kritisch zu hinterfragen und den Stellenwert der darauf aufbauenden Interpretation an diese Prüfung zu koppeln.

Man mag mir das als déformation professionnelle auslegen. Aber ich bin tatsächlich der Meinung, dass die wissenschaftliche Kritik zwar Schwächen, aber auch Stärken hat, die man nicht unterschätzen sollte.

In nach wie vor heiterer Gelassenheit,

Horst Junginger


Siehe auch: Interview mit dem Inhaber der neuen Stiftungsprofessur für Religionswissenschaft und Religionskritik, Horst Junginger bei saekulare-sozis.de.