In der vergangenen Woche veröffentlichte der hpd einen Artikel von Gabriele Röwer, in dem sie die Einrichtung einer Professur für Religionskritik in Leipzig kritisch hinterfragt. Der Inhaber dieser Stiftungsprofessur, Horst Junginger, kommentierte den Artikel ausführlich. Die Redaktion hat nach Rücksprache mit Prof. Junginger entschieden, die Replik als eigenen Artikel zu veröffentlichen.
Sehr geehrte Frau Röwer,
eingedenk der Tatsache, dass die Religionskritik an den Universitäten auf erhebliche Vorbehalte stößt, hielt ich es für eine gute Strategie, die Begründung für die von Ihnen kritisierte Stiftungsprofessur auf die Abgrenzung von den beiden Außenpositionen, der kirchlichen und der antikirchlichen, anzulegen. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Kritik nur begrüßen.
Es mag vielleicht etwas falsch herübergekommen sein, aber ich beurteile Karlheinz Deschner und sein Werk durchaus nicht negativ. Ganz im Gegenteil schätze ich ihn als bedeutenden Aufklärer. Es ist ein Glücksfall, dass er von Herbert Steffen bzw. der GBS (Giordano Bruno Stiftung, Red.) diese Förderung erfuhr. Meine Hochschätzung gilt auch der Arbeit von fowid (Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, Red.) und den von großer Sachkenntnis geprägten Veröffentlichungen Carsten Frerks. Gleichwohl halte ich an der Bezeichnung "weltanschauliche Religionskritik" für Deschners Oeuvre fest und sehe nicht, was daran so schlimm sein soll. Deschners Kritik ist erklärtermaßen subjektiv, einseitig, parteiisch, eklektisch, unsystematisch, stark auf der deskriptiven und schwach auf der analytischen Ebene. Dass sie in dieser Form mit der Universitätswissenschaft kompatibel sein könnte, ist ausgeschlossen. Auch er selbst hat das verneint.
Im Grunde genommen ist Religionskritik auch nicht das richtige Wort für Deschners Ansatz, da es ihm ausschließlich um die katholische Kirche, und hier auch nur um die Amtskirche, geht. Andere Formen des Katholizismus kommen nicht vor. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als säße er der Behauptung der Kirchenhierarchie auf, sie allein würde den katholischen Glauben bzw. das Christentum insgesamt repräsentieren. Wenn man eine differenzierende Herangehensweise grundsätzlich ablehnt, beraubt man sich aber der Möglichkeit, gemeinsam mit katholischen Kirchenkritikern eine Änderung der Verhältnisse zu bewirken. Wenn man das will – ich unterstelle das einfach einmal –, wäre es sinnvoll, Bündnisse zu schließen, einen Keil in die Front der Feinde zu treiben usw. Kein anderer zeitgenössische Denker hat die deutschen Katholiken jedoch so zusammengeschweißt wie Karlheinz Deschner.
Mein Hauptkritikpunkt betrifft Deschners negative Bindung an den untersuchten Gegenstand, man könnte fast sagen, die Abhängigkeit von ihm. Dieser Punkt lässt sich nicht einfach damit abtun, dass er in der theologischen Polemik eine zentrale Rolle spielt. Deschner ist meiner Meinung nach nicht ganz unschuldig daran, dass seine Kritik als Spiegelung der christlichen Apologetik wahrgenommen wird, deren Bedeutung auf den kirchengeschichtlichen Referenzrahmens beschränkt bleibt. Wie könnte man unter Berufung auf die "Kriminalgeschichte des Christentums" den Buddhismus oder andere Religionen kritisieren? Ich selbst habe mich intensiv mit der christlich-theologischen "Kriminalgeschichte des Judentums" zwischen 1933 und 1945 beschäftigt. Gerade deshalb halte ich Deschners Anspruch, die "Verbrechensgeschichte" als Wesensmerkmal des Christentums herausarbeiten zu wollen, für problematisch. Man wird keiner Religion gerecht, wenn man Einzelnes herausgreift und – sei es im Positiven oder im Negativen – als das Ganze ausgibt. Derzeit wird in der politischen Rechten geradezu fieberhaft daran gearbeitet, eine "Kriminalgeschichte des Islams" zu schreiben. Ich sehe hier in der Tat das Problem, dass sich mancher dabei auf Deschner und seine Vorgehensweise berufen könnte.
Im Unterschied zur weltanschaulichen ist die wissenschaftliche Religionskritik gezwungen, sich an den Maßstäben zu orientieren, die auch sonst für das wissenschaftliche Arbeiten gelten. Das kann man kritisieren oder den etablierten Wissenschaftsbegriff insgesamt für Nonsens halten. Doch alternative Erkenntnisformen führen nicht automatisch zu besseren Ergebnissen. Wie die Arbeitsweise der Religionswissenschaft (i.U. zur Theologie) und die der Religionsgeschichte (i.U. zur Kirchengeschichte) aussieht, habe ich in meinem letzten Buch über die "Religionsgeschichte Deutschlands in der Moderne" knapp und eingängig erläutert (S. 13-22). Von dieser Perspektive aus kritisiere ich Deschners Kirchenkritik nicht weil sie kritisch, sondern weil sie zu wenig kritisch ist.
Wenn er beispielsweise sagt, die Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen – diese Meinung findet sich auch in dem von Ihnen verlinkten Text –, ist das wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben. Man kann so etwas nur annehmen, wenn man die Argumente des religiösen Binnendiskurses für bare Münze nimmt. Solche essentialistischen Vorstellungen suchen wir unseren Studenten schon im ersten Semester auszutreiben. Man sieht an diesem Beispiel aber auch, wie notwendig es ist, seine Quellen kritisch zu hinterfragen und den Stellenwert der darauf aufbauenden Interpretation an diese Prüfung zu koppeln.
Man mag mir das als déformation professionnelle auslegen. Aber ich bin tatsächlich der Meinung, dass die wissenschaftliche Kritik zwar Schwächen, aber auch Stärken hat, die man nicht unterschätzen sollte.
In nach wie vor heiterer Gelassenheit,
Horst Junginger
Siehe auch: Interview mit dem Inhaber der neuen Stiftungsprofessur für Religionswissenschaft und Religionskritik, Horst Junginger bei saekulare-sozis.de.
20 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Deschner "zu wenig kritisch". Da freue ich mich dann mal auf kritischere Töne; gerne hier im hpd.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Und ich erst!
„Wenn man eine differenzierende Herangehensweise grundsätzlich ablehnt, beraubt man sich aber der Möglichkeit, gemeinsam mit katholischen Kirchenkritikern eine Änderung der Verhältnisse zu bewirken. Wenn man das will – ich unterstelle das einfach einmal –, wäre es sinnvoll, Bündnisse zu schließen, einen Keil in die Front der Feinde zu treiben usw.“
In der Theologie mag es üblich sein, dass man sich auf Wahrheitsgehalte einigt und „Wissenschaft“ danach bemisst, ob sie im Einklang mit den anderen Meinungen und der Kirche steht. Konsens und Bündnisse spielen in den Kirchen eine herausragende Rolle.
Wissenschaft ist jedoch eine Methode, die man richtig anwenden kann, um die schlagenden Argumente zu erhalten - Selbst wenn man allein gegen alle steht. Das große Bündnis heißt hier Vernunft. Kein seriöser Wissenschaftler würde einen Konsens um des Konsens willens anstreben.
Ich freue mich darauf, die Ergebnisse ihrer Professur unter die Lupe nehmen zu dürfen. Mit diesem Lehrstuhl hat sich ihre Kirche garantiert keinen Gefallen getan.
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Junginger,
Für eine Kommentierung en détail indes, die nahezu Satz für Satz in Ihrer Reaktion auf meinen (sehr unvollständig wiedergegebenen) Beitrag geboten wäre, fehlt mir wegen meiner Arbeit in der hiesigen Flüchtlingshilfe fast rund um die Uhr leider die Zeit. Nur dies: Erneut wird - nun auch von Ihnen - die wissenschaftliche (!) und daher von zahlreichen Fachgelehrten anerkannte Kritik der Glaubens (!) - Grundlagen der christlichen R e l i g i o n (!) in Deschners "Abermals krähte der Hahn" (und öfter) ignoriert - warum? Man darf einmal mehr gespannt sein auf Ergebnisse einer religionskritischen Forschung mit einem "sehr entspannten Verhältnis zur Kirche" wie dem des Stifters dieser Professur.
Gabriele Röwer
Sunder Martin am Permanenter Link
"Man wird keiner Religion gerecht, wenn man Einzelnes herausgreift..."
müßte man Deschner nicht ewig dankbar sein, daß er Einzelnes
herausgegriffen hat, nämlich die Verbrechen?
Ich denke, das würde den Ermordeten gar nichts nützen.
Ulrich von Kampen am Permanenter Link
Gutes Gelingen Ihrer Vorhaben. Vielleicht erlebe ich noch die religiösen Reformen Ihrer Arbeit. Schade nur, dass ich nicht in der Nähe von Leipzig wohne.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Wissenschaftliche Religions- wie Humanismuskritik folgt anderen Kriterien als denen, die in der „säkularen Szene“ vorherrschend sind.
Gelassenheit hat damit zu tun, etwas zu lassen, nämlich die Eiferei, diese oder jene. Wenn es einen aber verfolgt?
Warum ich das schreibe? Aus einer Erfahrung. Alle Strömungen in der „säkularen Szene“ haben ihre Funktionäre mit ihren je eigenen Sozialisationen und so mancher Streit um „Säkularisierung“, „Privilegien der Kirchen“ usw. ist auf diese Unterschiede zurückzuführen. Wenn Religion in der Sozialisation nur entfernt vorkommt oder gar nicht, vor allem nicht familiär, steht man/frau zu ihr in „natürlicher“ Gelassenheit. Man hat keine persönlichen offenen Rechnungen.
Da dies auch noch (nicht immer, aber oft) ein Ost-West-Unterschied ist, erklärt sich (ein Grund mehr), warum im Osten die Freidenkerei noch ärger gebeutelt ist als das Kirchentum. Der säkularisiertere Osten ist, freidenkerisch gesehen, eine Wüste, weshalb auch Religionskritik, diese wie jene, kein Gehör findet – und ein Humanismus, der sich betont säkular definiert, schon gar nicht.
Man wird ja sehen, was aus der Professur wird, wen sie anzieht; vermutlich auch jene, die aus religiösen Positionen Religionen kritisieren. Denen wird dann das Gleiche zu sagen sein wie den Deschner-Fans in diesem Kommentar; und sie werden auch zu kritisieren sein … und dann lieber ihre eigene Theologie aufmachen oder einen buddhistischen evolutionären „Humanismus“ anhimmeln, wie Harari, oder Bischöfe werden, die ihre Gegner kennen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Lieber Herr Groschopp.
"Manchen der besonders scharfen, 120prozentigen Kirchenkämpfer plagt lebenslang ein persönliches Motiv. Sie waren einmal Messdiener oder hatten Konfirmation. Das prägt.
Gelassenheit hat damit zu tun, etwas zu lassen, nämlich die Eiferei, diese oder jene. Wenn es einen aber verfolgt?"
Das gibt es sicher - in beide Richtungen.
Es gibt aber auch andere Biografien, meine zum Beispiel. Ich wurde als Kind nicht religiös indoktriniert und hatte einen sehr netten Religionslehrer (ev. Pfarrer), der uns offen über Religionsgeschichte aufklärte. Ganz gelassen und unaufgeregt, aber deutlich - ohne die Gräuel der Religionen und ihre Beliebigkeit zu verheimlichen.
Daher verweigerte ich die Konfirmation (alle Bestechungsversuche waren wirkungslos) und versuchte über eine Distanz zur Amtskirche eine "höhere Macht" für mich zu erhalten, bis ich auch diese aufgeben musste, weil die Faktenlage eindeutig gegen sie spricht.
Bei mir war es also das durch meinen Religionslehrer angestoßene Interesse für Religion, ihre Herkunft und Wirkung, die mich auf Distanz gehen ließ. Dass dies nicht ganz emotionslos zugehen konnte, ist klar. Ich habe ein Hochschulstudium als Grafikdesigner hinter mir und da darf man nicht emotionslos sein. Ich brenne für Themen, die mich anzünden, mit Leib und Psyche.
Wer Religion nüchtern - heiter und entspannt - gegenübersteht, verwechselt Religion mit einem physikalischen Forschungsgegenstand. Aber sie ist eine Macht, die noch immer versucht, in unser Leben einzuwirken, uns zu manipulieren und zu instrumentalisieren.
Überspitzt sind wir alle - trotz fehlender persönlicher Betroffenheit bei mir - entweder Täter oder Opfer. Wobei die Täter auch wieder Opfer der vorherigen Generation sind. Meine fehlenden Negativerlebnisse haben es mir aber leicht gemacht, einen Beobachtungsposten einzunehmen, der zwar - weil unvermeidbar - mitten im System "Kirchenrepublik" liegt, mir jedoch genügend Distanz zum Gegenstand ließ.
Anderen, die unmittelbare Opfer des Systems wurden, mag dies nicht gelingen, doch deren Beiträge sind gerade wegen der Unmittelbarkeit wertvoll, um zu verstehen, WARUM Kirchenkritik notweniger denn je ist...
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Lieber Herr Groschopp, lieber Herr Kammermeier,
hier schalte ich mich gern nochmal ein, da ich eine weitere Variante religionskritischer Genese vertrete:
Biographisch bedingt fand ich zwischen 11 und 18 meine Heimat in einer kirchlichen Jugendgruppe, die Wahl des ev. Theologie-Studiums war "alternativlos". Sobald ich aber im Studium u.a. bei Hans Conzelmann in Göttingen mit der historisch-kritischen Erforschung der neutestamentlichen Glaubens-Quellen, zumal der Synoptiker Markus, Matthäus, Lukas, bekannt wurde, wachte ich auf und verließ die Kirche: Jeder in jener mythenschwangeren Zeit erzählt anderes, Jahrzehnte nach dem Tod jenes (vermutlich historischen, vermutlich sozial-aufrührerischen) Jesus, aus je eigenem Blickwinkel, aufgrund jeweils anderer Überlieferungen. Es häufen sich mit den Jahren die Interpretamente seiner Bedeutsamkeit, die damals für ungewöhnliche Menschen bereit lagen "wie der Sand rund ums Mittelmeer" (von der Jungfrauengeburt bis zum Gottessohn). Die Flucht ins "Kerygma" (in die Glaubenszeugnisse der Urgemeinde) war mir, anders als meinen Kommilitonen und Professoren, verwehrt, die Bibel, alt und neu, bot allenfalls noch, anthropologisch spannend genug, Erhellendes über die Wünsche und Sehnsüchte, Ängste und Rachegelüste der Menschen jener Zeiten - Abschied für immer seither vom "Wort Gottes", da "Wort der Menschen". Ein Abschied also, nicht (!) aus dem Leiden, sondern einzig aus dem, nicht immer wärmenden, Wahrhaftigkeitsbedürfnis der Ratio geboren! Wie bei Karlheinz Deschner, dessen 1962 veröffentlichte "Demaskierung des Christentums von den Evangelisten bis zu den Faschisten" in "Abermals krähte der Hahn" auf der Basis neutestamentlicher Grundlagenforschung ich, wie ihn selbst, erst etliche Jahre später kennen lernte (von Horst Junginger, wie die anderen nachprüfbaren Argumente meiner Replik bzw. Widerlegungen seiner Behauptungen über Deschner am 22.1.2018 im DLF, leider übergangen).
Ein Vergleich - cum grano salis - und zugleich Nachklang zur aktuellen Debatte sei an dieser Stelle erlaubt: So, wie Marx und Engels qua Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum und dessen genauer Kenntnis zu den schärfsten der damaligen seriösen Kritiker des Kapitalismus und seiner horrenden Auswirkungen wurden, können auch Forschende wie Deschner, qua Herkunft und Studium, zu den schärfsten seriösen Kritikern der christlichen Religion werden - ihrer (detailliert aufgedeckten!) Glaubensgrundlagen wie ihrer horrenden Auswirkungen unter der Ägide klerikal-weltlicher Potentaten (oft in Personalunion):
Wenn das - eine durch und durch rational basierte Forschung (Ursprung einer Religion) und ein konsequent Partei für die Opfer ergreifendes ethisches Movens (Wirkung dieser Religion) - nicht profunde Religionskritik bedeutet - was denn dann? Zur ebenso unabdingbaren Islamkritik wie der Kritik aller übrigen, vor allem institutionalisierten, Religionen (Quellen und Auswirkungen) sind nun andere berufen.
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich Gabriele Röwer
Thomas am Permanenter Link
"Wenn Religion in der Sozialisation nur entfernt vorkommt oder gar nicht, vor allem nicht familiär, steht man/frau zu ihr in „natürlicher“ Gelassenheit."
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Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Noch einmal ein Schlag mitten ins Gesicht von Herrn Deschner. Wenn eine Teilkritik keine wissenschaftliche Kritik sein kann, bleibt nur zu hoffen, dass Herr Junginger vollständig arbeitet.
„Wenn er beispielsweise sagt, die Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen – diese Meinung findet sich auch in dem von Ihnen verlinkten Text –, ist das wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben. Man kann so etwas nur annehmen, wenn man die Argumente des religiösen Binnendiskurses für bare Münze nimmt.“
Auch die bisherige Religions- und Kirchenkritik – z.B. von Martin Luther oder Herrn Junginger – sind Teil des religiösen Binnendiskurses und somit wohl nicht für bare Münze zu nehmen. Immerhin streiten sich evangelische und katholische Kirche exakt um diese Auslegung! Wem will Herr Junginger so etwas verkaufen?
Klaus Bernd am Permanenter Link
„Kein anderer zeitgenössische Denker hat die deutschen Katholiken jedoch so zusammengeschweißt wie Karlheinz Deschner.“
Die angebliche Einheit der Lehre mit dem unfehlbaren Papst an der Spitze ist das Pfund, mit dem die r.k.K. gerne wuchert. Deshalb ist es legitim, sie als Einheit zu kritisieren. Tatsächlich ist die r.k.K. offensichtlich so zerstritten wie z.B. die evangelischen Kirchen. Und zwar auf der Ebene der Bischöfe wie die letzte Synode gezeigt hat, als auch zwischen Bischöfen und Gemeindepfarrern. Letztere geben sich schon lange, z.B. zu den Themen Ökumene und Sexualität, deutlich liberaler als Papst und Bischöfe eigentlich erlauben. Was die Bischöfe angeht, hat der Papst eine Bankrotterklärung seiner Weisungsbefugnis abgegeben, indem er den Bischöfen defacto erlaubt hat, zu lehren, was in ihrem Herrschaftsbereich „inkulturiert“ ist. Vor dem Hintergrund dieser öffentlich zur Schau gestellten „Einheit der Lehre“ ist es nicht nötig, einzelne Denkrichtungen innerhalb der r.k.K. – die ja auch nicht selten mit brutaler Gewalt unterdrückt wurden – zu kritisieren. Es ist dies vielmehr ein zusätzlicher Kritikpunkt. Ebenso die diversen modernen Anpassungen jahrhundertealter Glaubensaussagen wie die zum Thema Vorhölle, Selbstmord oder Feuerbestattung. Oder die nach wie vor anhaltenden Diskussionen um das Priesteramt von Frauen. Das braucht außerkatholische Kreise nicht zu interessieren: Roma locuta, causa finita. Und Basta ! Dass man nur die sogenannte Amtskirche kritisieren kann ist doch wohl selbstverständlich, der „mystische Leib der Kirche“ lässt sich so wenig greifen wie das später erwähnte „vom Christentum eigentlich Gemeinte“.
„Gerade deshalb halte ich Deschners Anspruch, die "Verbrechensgeschichte" als Wesensmerkmal des Christentums herausarbeiten zu wollen, für problematisch.“
Ob Deschner das wollte, sei mal dahingestellt, Tatsache aber ist, dass die Verbrechensgeschichte zum Christentum dazugehört. Und angesichts der geschichtsklitternden Verherrlichungen und Schönfärbereien so mancher kircheneigenen Historiker und ihrer Auftraggeber bis hin zu den Päpsten ist das ein notwendiger Ansatz. Erst kürzlich sprach Bergoglio vor Indigenen in Peru von den „vielen Missionaren“, die den indigenen Völkern geholfen hätten, ihre Kultur und ihre Rechte zu wahren. Ob das wirklich viele waren und was sie erreicht haben sei mal dahingestellt, Fakt ist, dass sie ihnen ihre Religion genommen haben, was ja ein wesentlicher Teil ihrer Kultur war. Oder warum pocht man von Seiten der christlichen Kirchen und ihrer Vasallen zur Zeit so vehement auf das „christliche Erbe Europas“ ? Nur nebenbei: In der „Umweltenzyklika“ nennt Bergoglio die Zerstörung indigener Kulturen eine Umweltsünde; dass er damit auch die Missionierung als Umweltsünde anprangert, scheint er nicht wahrhaben zu wollen.
Eine "Kriminalgeschichte des Islams" braucht die Rechte nicht neu zu schreiben, die gibt es dankenswerter Weise schon: z.B. „Gabriels Einflüsterungen“ von Jaya Gopal mit dem Untertitel „Eine historisch-kritische Bestandsaufnahme des Islam. Und sie ist genauso berechtigt wie die Deschners. Ich weiß leider nicht, ob Gopal die gegen ihn verhängte Fatwa bisher überlebt hat, aber ich bin nicht besonders optimistisch, wenn ich in Wikipedia lese: Die Morddrohung (gegen Hamed Abdel-Samad) des Salafisten Scheich Assem Abdel-Maged wurde im ägyptischen Fernsehen übertragen: „Er muss getötet werden, und seine Reue wird nicht akzeptiert“.[27]
„Wenn er beispielsweise sagt, die Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen … ist das wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben.“
Das ist nicht wissenschaftlich, sondern eine Meinung, so formuliert kann ich dem zustimmen. Von der Voraussetzung ausgehend, dass „das vom Christentum eigentlich Gemeinte“ gar nicht identifiziert werden kann, kann ich auch dem „unsinnig“ zustimmen, aber das „historisch vollkommen daneben“ kann ich nicht akzeptieren. Beweise dafür, dass die Kirche(n) noch nichtmal ihrem eigenen jeweiligen Verständnis von Chtistentum gerecht wurden und werden finden sich genug.
??? „wenn man die Argumente des religiösen Binnendiskurses für bare Münze nimmt.“ ???
Als Fazit meine provokativ formulierte, Meinung: Da soll ein Feigenblatt-Lehrstuhl für weichgespülte Religionskritik nach Art von Hans Küng etabliert werden, der den Kirchen nicht wirklich weh tut, sondern im Gegenteil, bei Bedarf, der Priesterkaste als willkommene Referenz auf „wirklich wissenschaftliche“ Kritik dienen soll.
Meine Einstellung als Atheist zur Religion dürfte inzwischen klar sein. Trotzdem nochmal neu und frisch formuliert mit den Worten von Boualem Sansal:
La religion fait peut-etre aimer Dieu mais rien n‘est plus fort qu‘elle pour fair détester l‘homme et hair humanité.
Roland Fakler am Permanenter Link
Interessant ist doch, dass die überzeugendste Religionskritik immer von Männern ausging, die unabhängig waren von einer Universität, also von Spinoza, Rousseau, Voltaire, Feuerbach, Freud, Nietzsche, Deschner… sobald
Martin Mair am Permanenter Link
Selbst eine an sich nicht direkt kirchenkritische Philosophin wie Hannah Arendt hat aufgezeigt, wie sehr der Katholizismus das Christentum durch Verschmelzung mit römischer Philosophie in Bezug auf den Zeitbegriff ver
Roland Fakler am Permanenter Link
Wenn man das Verhalten von Wasserflöhen studieren will, sollte man einen Standpunkt außerhalb des Teiches einnehmen.
Martin Winkler am Permanenter Link
Heitere Gelassenheit strahlt diese Entgegnung nicht aus. Zu bissig, etwas arrogant im Ton und zu kompliziert verfasst.
Roland Fakler am Permanenter Link
Es wäre höchste Zeit, dass die „Kriminalgeschichte des Islams“ genauso gut dokumentiert aufgearbeitet wird, wie die „Kriminalgeschichte des Christentums“.
Horst Junginger am Permanenter Link
Den „säkularen Sozis“ habe ich vor kurzem ein Interview gegeben, das vielleicht das eine oder andere Missverständnis auszuräumen vermag:
Außerdem hat mich das Leipziger Universitätsmagazin LUMAG nach meinem Forschungsgebiet und meinen Forschungszielen für die Stiftungsprofessur befragt. Weil die Onlineversion nicht allgemein zugänglich ist, füge ich meine Antwort nachstehend bei. Deren Schlusspointe mag nicht jedem gefallen. Sie hängt aber mit der Gelassenheit zusammen, die ich mir persönlich zu eigen gemacht habe.
Aber unabhängig von persönlichen Erfahrungen und individuellen Neigungen wäre es aus Sicht der Religionswissenschaft – ein nichtkonfessionelles Universitätsfach, das es in Deutschland seit etwa 100 Jahren gibt – angebracht, Religion(en) vorher zu studieren, bevor man sie kritisiert. Man kann und soll zwar auch die Religionskritik studieren. Doch das enthebt einen nicht von der Pflicht, sich desto intensiver mit religiösen Phänomenen auseinanderzusetzen, desto stärker man sie kritisieren will.
Horst Junginger
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Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet? Was sind Ihre Schwerpunkte?
Religionen sind außerordentlich vielschichtige und nicht leicht zu erforschende Phänomene. Mich interessiert an ihnen besonders der dialektische Zusammenhang von Sinn und Unsinn, der ihren Entwicklungsgang begleitet. Alle Religionen enthalten überempirische, den Naturgesetzen zuwiderlaufende Glaubensinhalte, die nur für die Gläubigen selbst existieren. Religionswissenschaft ist für mich insofern eine Aufklärungswissenschaft, als sie deren Vergegenständlichung in ihren jeweiligen kulturellen, sozialen, psychologischen, politischen, ökonomischen und anderen Bezügen so gut als möglich ausleuchtet und analysiert. Religionsimmanenten Widersprüchen, dem Gegensatz von gelehrter und gelebter Religion und Anpassungsleistungen im Kontext des religiösen Wandels gilt dabei mein besonderes Interesse. Weitere Forschungsschwerpunkte betreffen Fragen der politischen Instrumentalisierung und den Zusammenhang von Ideologie und Religion. Dass die herkömmliche Religionskritik die negativen Seiten der Religion oft überzeichnet oder sogar für das Ganze ausgibt, ist mir Ansporn, den an und für sich richtigen aber zu allgemeinen Gedanken der Ambivalenz des Religiösen genauer zu fassen und in einer systematischeren Weise zu untersuchen, als das bisher geschieht.
Haben Sie sich für Ihre Tätigkeit an der Universität Leipzig ein bestimmtes Forschungsziel gesetzt? Welches?
In theoretischer Hinsicht ist es mein Ziel, das Konzept einer wissenschaftlichen Religionskritik auszuarbeiten. Kritik stellt für mich im Sinne Kants die unabdingbare und keine Ausnahmen erlaubende Grundvoraussetzung jeder Wissenschaft dar. Dadurch, dass ich die Religionskritik positiv auf den Menschen und seine Bedürfnisse beziehe, betrachte ich sie als religionswissenschaftliche Grundlagenforschung, deren Aufgabe es ist, die verschiedenen Dimensionen der Religion, ebenso wie die verschiedenen Erkenntnisweisen des Glaubens und Wissens, stärker zu differenzieren. Nach meiner Meinung steht diese Art der Religionskritik aber auch in der Pflicht, über die Verbreitung sachlich fundierter Kenntnisse zum Abbau von Missverständnissen, Vorurteilen und Fehlinterpretationen beizutragen. Den Atheisten die Angst vor der Religion und den Religiösen die Angst vor dem Atheismus zu nehmen, könnte ihr dabei als Leitmotiv vorangestellt werden.
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Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Ich begrüße den Vorschlag von Herrn Junginger, zwischen Sinn und Unsinn in Glaubensinhalten zu unterscheiden und den Aberglauben auch als Aberglauben zu bezeichnen.
Aber den Atheisten wird er die Angst wohl kaum nehmen können, denn es gibt zwei Arten von Unsinnsgläubigen. Die, die den Unsinn wirklich glauben, und die, die den Unsinn benutzen, um die Gläubigen auszunehmen. Und sowohl vor Dummen als auch vor Verschlagenen sollte man sich in Acht nehmen. Aber Herr Junginger zeigt uns – wissenschaftlich (!) – den „wahren“ Glauben, der kein Aberglauben und kein Unsinn ist;-)
In heiterer Gelassenheit, dass Herr Junginger niemals zwischen sinnigen und unsinnigen Glaubensinhalten unterscheiden können wird.
rainerB. am Permanenter Link
"Weitere Forschungsschwerpunkte betreffen [...] den Zusammenhang von Ideologie und Religion."
Zusammenhang? Wesenseinheit! Religion ist Ideologie in reinster Form.
Kay Krause am Permanenter Link
traurigerweise bis heute höre ich immer noch von den Unverbesserlichen: "Nein, so schlecht war es in der Nazi-Zeit auch nicht!, Hitler hat schon auch Gutes bewirkt: er hat die Autobahnen gebaut, die Arbeitlosigke
So - liebe Freunde - sieht es aus, wenn man Einzelnes herausgreift und als positives Argument verwendet!
Wenn wir damit bei der verbrecherischen, heuchlerischen und mafiös arbeitendenkath. Kirche anfangen, dann werden wir kein Ende finden,all die guten Taten der Kirche aufzuzählen, sodass sie letztlich als leuchtendes Beispieleiner humanen Organisation dastehen wird! Somit gefällt mir von allen möglichen Betrachtungsweisen dieser staatsausbeutendenFirma "Kirche die wissenschaftliche noch am besten. "Alternative Fakten sowie das ausstreuen von Blumenteppichen sind hier fehl am Platze!