In Leipzig gibt es seit Beginn dieses Jahres – neben der an vielen anderen hiesigen Universitäten etablierten Religionswissenschaft – erstmals im deutschsprachigen Raum eine Professur für Religionskritik. Der Stifter Adolf Holl, namhafter "innerkirchlicher" Kirchenkritiker, habe, so Horst Junginger, Inhaber dieser Stiftungsprofessur, "ein sehr entspanntes Verhältnis" zur Kirche, das "auch anderen an(zu)raten" sei. Junginger versteht Religionskritik als eine "systematische Wissenschaft": Vor dem "Richterstuhl der menschlichen Vernunft" im Sinne Kants könnten "weltanschauliche" Religionskritiker, zumal mit dem "Aggressionspotential" des "wohl profiliertesten deutschen Kirchenkritiker(s)" Karlheinz Deschner, nicht bestehen. Kritische Anmerkungen von Gabriele Röwer zu einem Beitrag von Christian Röther für "Tag für Tag – aus Religion und Gesellschaft" im Deutschlandfunk (DLF) am 22. Januar 2018.
"Jenseits des Kirchenhasses": Unter dieser bezeichnenden Überschrift wurde im DLF die Horst Junginger durch den Stifter Adolf Holl anvertraute Professur für Religionskritik in Leipzig angekündigt. Das weist tendenziös voraus auf den im Beitrag des Religionswissenschaftlers Christian Röther für die Religionskritik im 20. Jahrhundert allein genannten Autor der Kriminalgeschichte des Christentums (Abk. KdC), Karlheinz Deschner (1924-2014). Dessen – angeblich! – biographisch fundierter ("Verarbeitung der eigenen Lebenserfahrungen") – angeblicher! – "Hass" gegenüber der katholischen Kirche (wieder und wieder von seinen Gegnern kolportierte Vorurteile!) habe, wie auch die "weltanschauliche Religionskritik" von der Antike (etwa Xenophanes) bis in die Neuzeit (genannt werden pars pro toto Marx, Feuerbach, Nietzsche), in der von Junginger angestrebten "systematischen Auseinandersetzung mit der Religion" keinen Platz. Denn "diese Art von Kritik" greife "Religionen scharf an", wolle "sie teils sogar abschaffen". "Systematische Religionskritik" hingegen solle sich wie bei Adolf Holl (wegen innerkirchlicher Kritik vom Priesteramt suspendierter Theologe) "mit einer heiteren Mine (sic!) ihren Gegenständen nähern".
Ein Lehrstuhl für Religionskritik erstmals in Deutschland? Anfängliche Spannung weicht leider bald – wegen fehlender bis allzu verengender Definitionen sowie Verfälschungen des Impetus von Karlheinz Deschners Lebenswerk – Enttäuschung und Skepsis, das vermissend, was ich sonst an dieser Magazinsendung des DLF zumeist schätze: "… dass Themenkomplexe intensiv aufbereitet und Hintergründe dargestellt werden" (zitiert nach Rundfunk evangelisch.de; Katholische Hörfunkarbeit). Wer von Karlheinz Deschner kaum belegbare Kenntnis hat, sollte dessen Leistung nicht in einem wenige Zeilen umfassenden Rundumschlag desavouieren, noch dazu in einem so prominenten Rahmen wie dem des DLF. Der Klarstellung gravierender Fehlbehauptungen über Deschner ist der zweite Hauptteil (Abschnitt 4) der folgenden kritischen Anmerkungen zu diesem DLF-Beitrag gewidmet.
1. Was bedeutet "systematische" (=wissenschaftliche) im Kontrast zu "weltanschaulicher" Religionskritik?
Diese Kontrastierung bleibt leider ohne jede Konkretion (ist doch alles Schreiben, auch das "wissenschaftliche", von der "Weltanschauung" der Autoren mitbestimmt, zumal das von kirchenfreundlichen Religionskritikern) – Jungingers Berufung auf Kants Kritizismus ausgenommen. Für Kant jedoch, dessen Schriften, neben jenen Schopenhauers und Nietzsches, bereits in den Schul- und Studienjahren zur geistigen Loslösung Deschners vom Christentum führten und auf den sich auch Jungingers "systematische" Kritik beruft, gibt es in der Kritik der theoretischen Vernunft (1781) Erkenntnis nur "innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" – ein Fanal für die geistige Revolution im Vorfeld von 1789 mit Absage an alle metaphysischen Glaubenssätze. Erst die Kritik der praktischen Vernunft (1788) öffnete diesen mit ihren Postulaten von "Gott, Freiheit, Unsterblichkeit" die Pforten (vgl. hierzu – "Glaubensbedürfnis des alten Lampe" – unübertroffen decouvrierend Heinrich Heines Zur Geschichte der Religion und Philosophie, 3. Buch).
Vor dem Hintergrund von Kants erster Kritik ist indes, gelinde gesagt, zu bezweifeln, dass nur – und ausgerechnet – Menschen mit einem von Junginger angeratenen "sehr entspannten Verhältnis zur Kirche" einer "systematischen" = wissenschaftlichen Religionskritik fähig sind. Andere nicht? Etwa die säkulare GBS (Giordano-Bruno-Stiftung zur Förderung eines evolutionären Humanismus)? Ihre Anfänge vor etwa 25 Jahren gehen laut Aussage ihres Stifters Herbert Steffen auf Karlheinz Deschners historisch-kritische Analyse der Glaubensgrundlagen des Christentums von 1962 in Abermals krähte der Hahn zurück, eine Auswertung der wissenschaftlichen Ergebnisse der modernen Theologie beider Konfessionen. Der wissenschaftliche Beirat der GBS versammelt etliche der (im Sinne von Kants Kritik 1781) besten Köpfe nicht nur unseres Landes. Mit Beiräten wie dem in Ägypten verfolgten islamkritischen Historiker und Autor Hamed Abdel-Samad und durch Mitinitiierung des Zentralrates der Ex-Muslime sowie der "säkularen Flüchtlingshilfe" bezieht die GBS in ihr wissenschaftliches und ethisches Engagement die Förderung von Aufklärung und Humanismus auch in nichtchristlichen Kulturkreisen ein. Die von der GBS mitbegründete fowid (Forschungsgruppe Weltanschauung in Deutschland) trägt durch wissenschaftlich erfassbare Informationen wesentlich zu einer von Junginger geforderten seriösen Kritik auch von Religion und Kirche hierzulande bei, indes durchaus nicht in einem von ihm dafür angeratenen "entspannten Verhältnis" zu jener.
2. Kritik der "Religion": Welche der vielen Bedeutungen von "Religion" ist gemeint?
Der Sammelbegriff "Religion" umfasst bekanntlich, was im DLF-Beitrag nicht einmal angedeutet wird, eine Unzahl von Fragen nach dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält", ebenso eine Unzahl von Versuchen einer Antwort, mit jeweils unterschiedlichen ethischen Konsequenzen. Am Beispiel Karlheinz Deschners wird zudem deutlich, was in dessen (wie zu zeigen ist: fälschlicher!) Herabwürdigung als "Kirchenhasser" ebenfalls übersehen wird, dass auch Agnostiker, welche institutionalisierte (zumal Offenbarungs-)Religionen wie das Christentum scharf kritisieren, sich ohne jedes metaphysische Hintertürchen "religiös" nennen können: mit Goethe das Erforschliche zu erforschen trachtend und über das Unerforschliche schweigend. Und zwar im Sinne von "religio", dem Bewusstsein einer Verbundenheit "mit allem, was ist, einbezogen … in den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen." (Beiheft zu Band 9 der KdC, S. 19). In seinem großen Essay von 1977 Warum ich Agnostiker bin (S. 135) heißt es dazu: "Wer nicht an Gott glaubt – einst ein scheiterhaufenreifes Verbrechen – kann dennoch 'religiös' sein, nennt man so das Bewußtsein schon der Abhängigkeit von oder der Zugehörigkeit zu Gesellschaft, Natur, Kosmos…." (Neuauflage dieser und anderer Schriften Deschners zur Philosophie und Religion – z.B. Ich brauche kein Gottesbild oder Was ich denke – demnächst in der verdienstvollen Alibri-Reihe "Deschner-Edition"). So bewegt denn diesen Autor, mit Richard Dawkins, britischer Evolutionstheoretiker und Religionskritiker, 2007 erster Träger des 2004 durch die GBS gestifteten Deschner-Preises, "wie fast nichts sonst" dessen Bekenntnis, "dieser so traurig anrührende, in das Weltall hinausgestreute Zweifel: 'Kann sein, dass wir die Musik des Universums nie verstehen werden.'" Agnostiker, eine Variante des "homo religiosus"? Von den Herren Junginger und Röther kein Wort auch hierzu – es passt nicht in ihr tendenziös gefärbtes Bild Deschners.
3. Religionskritik: Welche ihrer vielen Varianten sind "wissenschaftlich" in Ergänzung der von Horst Junginger "mit einer heiteren Miene" vertretenen "systematischen" Religionskritik?
Den instruktiven Eintrag "Religionskritik" bei Wikipedia, worin auch die umfangreiche Phalanx namhafter agnostischer und atheistischer Religionskritiker von der Antike bis in die Gegenwart vorgestellt wird, Karlheinz Deschners KdC inbegriffen, eröffnet der Versuch einer Definition durch den Sozialphilosophen Günter Rohrmoser: "Religionskritik stellt Religiosität und Religionen, ihre Glaubensaussagen, Konzepte, Institutionen und Erscheinungsformen rational beziehungsweise moralisch-ethisch in Frage. Sie begleitet die Religionen durch ihre ganze Geschichte." Meine Kursivsetzungen verweisen auf die, im Folgenden nur ansatzweise konkretisierbare, Präsenz des Bezeichneten im gesamten kirchenkritischen Werk Deschners, das, so in diesem Eintrag von Wikipedia, "die inhumanen Wirkungen kirchlicher Machtpolitik und Heuchelei von Christen aller Epochen bis hin zum Klerikalfaschismus" aufdeckt.
Horst Junginger hingegen suggeriert, in Unkenntnis der Fakten, mit seinem Deschner-Bild einen aus der "eigenen Lebenserfahrung" resultierenden, angeblich von Deschner selbst "explizit" bestätigten "Hass gegenüber der katholischen Kirche", der seine aggressive Religionskritik leite. Dadurch sei er als "Vorbild für wissenschaftliche Religionskritik" nicht geeignet.
4. Einspruch gegen Horst Junginger
Deschners Religions- und Kirchenkritik: wissenschaftlich fundiert und ethisch motiviert
Schon Jahre vor der (trotz Georg Denzlers Infragestellung der nachweislichen) Exkommunikation Deschners wegen seiner 1951 zivilrechtlich geschlossenen Ehe mit einer geschiedenen Frau, löste er sich als Schüler und Student durch die gründliche Lektüre von Kant, Schopenhauer (dessen das Tier einbeziehende Mitleids-Ethik für Deschner wegweisend wurde) und Nietzsche geistig vom Christentum. Seine dort vertiefte Skepsis gegenüber jeglichen sakrosankten Setzungen spiegelt sich bereits in den frühen, vielbeachteten Romanen (vor allem Die Nacht steht um mein Haus, 1956) wie in der fulminanten literaturkritischen Streitschrift Kitsch, Konvention und Kunst von 1957, durch die "eine ganze Generation lesen lernte" (Günter Maschke).
Wer ein Werk wie das von Karlheinz Deschner pauschal auf erlittenen Groll über eine Exkommunikation zurückführt, "gipfelnd" gar in der KdC (35 Jahre später!), verkennt mit einer solchen Psychologisierung die Kraft des Denkens, den Drang zur möglichst illusionsfreien Wahrhaftigkeit in einem schon früh erstaunlich autonomen Menschen. Am Ende schreibt er: "Lieber möchte ich in tausend Zweifeln sterben als um den Preis der Lüge in der Euphorie."
Emotionale Befreiung vom heimischen Traditionskatholizismus durch das epochale Werk Abermals krähte der Hahn (1962)
Emotional losgelöst vom Traditionskatholizismus seiner Steigerwälder Heimat, so Deschner, habe er sich erst durch sein 1962 erschienenes Werk mit dem bezeichnenden Titel "Abermals krähte der Hahn – Eine kritische Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Pius XII" (Abk. "Hahn"; vielfach, auch von Alibri 2015 in der Reihe "Deschner-Edition", neu aufgelegt, seit 1972 mit dem Untertitel Eine Demaskierung des Christentums von den Evangelisten bis zu den Faschisten). Dieses Werk, geschrieben, um sich selbst Klarheit zu schaffen, bewirkte weithin Aufklärung über bisher gut gehütetes theologisches Insider-Wissen, mit bahnbrechender Wirkung auch auf nachfolgende Kirchenkritiker wie etwa, einige Jahre später, Joachim Kahl, den damaligen geistigen Weggefährten. Es löste die erste große Welle von Kirchenaustritten in Deutschland aus, machte es doch erstmals, so der Göttinger Theologe Julius Groos, "die Masse der Gebildeten mit den Ergebnissen der modernen Forschung über das Christentum bekannt." Groos' Hoffnung: "Was unseren gelehrten Büchern versagt bleiben wird, Ihrem Werk dürfte es gelingen…"
Durch seine universitären Studien wissenschaftlich versiert, wertete Deschner die Ergebnisse der historisch-kritischen Entmythologisierungs-Forschung zumeist evangelischer, auch katholischer Theologen im Umkreis der Bultmann-Schule akribisch aus und widmete nahezu zwei Drittel seines umfangreichen Werks den vor- und außerchristlichen, zumal jüdischen und hellenistischen Ursprüngen des christlichen Glaubens sowie ihrer biblischen und, wie etwa im Trinitätsstreit des 4. Jahrhundertes, nicht selten gewaltsam herbeigezwungenen dogmatischen Verankerung. Damit ist der Hahn für viele sein wichtigstes, weil die frag-würdige Herkunft und Entstehung des Christentums aufzeigendes, kirchenkritisches Werk – von Junginger und Röther leider (warum?) ignoriert. Deschners gut untermauertes Fazit gibt ein Aphorismus der späteren Jahre wieder, dem Resümee Albert Schweitzers zu dessen Geschichte der Leben-Jesu-Forschung nicht fern: "Vom periphersten Brauch bis zum zentralsten Dogma, vom Weihnachtsfest zur Himmelfahrt: lauter Plagiate." Auch später verdeutlichte er, wie im Hahn, neben der ethischen immer auch die dogmatische Problematik des Christentums (ausführlich in Der gefälschte Glaube – Eine kritische Betrachtung kirchlicher Lehren und ihrer historischen Hintergründe, 1988/1992, und in Bd. III der KdC, 1990).
Im letzten Drittel des Hahn werden – unter dem seither Deschners gesamtes kirchenkritisches Schaffen bis zur zehnbändigen KdC leitenden Motto "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" – der urchristlich überlieferten Ethik einige der dunkelsten, nicht nur damals weithin verborgenen Seiten der Kirchengeschichte gegenübergestellt ("Die soziale Frage", "Das Verhältnis zur Toleranz" gegenüber Juden, Heiden, "Ketzern", Hexen und "Die Stellung zum Krieg" – von der Alten Kirche bis zur Kooperation kirchlicher Potentaten, zumal im Vatikan, mit dem europäischen Faschismus; ausführlich in Mit Gott und den Faschisten, 1965, Ein Jahrhundert Heilsgeschichte, 1982/83 – der inoffiziell 11. Band der Kriminalgeschichte des Christentums (1986-2013; durch ein Kapitel von Michael Schmidt-Salomon aktualisierte Neuauflage bei Alibri 2013 Die Politik der Päpste…).
"Abermals krähte der Hahn?" Die permanente Pervertierung der jahrhundertelang propagierten Ideale einer Liebesreligion, voran Armut und Friedfertigkeit, von Anbeginn aufs Ungeheuerlichste ins krasse Gegenteil – schamloser Luxus und blutige Gewalt gegen Andersdenkende, gegen Konkurrenten um die Macht – durch selbsternannte Stellvertreter "Gottes" bzw. "Christi" auf Erden, ihre fast zwei Jahrtausende währende, auch von Goethe (mit dessen Gedanken über das Christentum Deschner den "Hahn" enden lässt) angeklagte "Heuchelei im Heiligenschein", ihr Verrat dessen, auf den sie sich stets feierlichst beriefen, gab diesem Buch, in Anspielung auf Mk 14, 39.72, den Titel.
Jene Theologen, aus deren reichem Fundus Deschner durchweg schöpfte (gewissenhaft im Umgang mit den Fakten, belegt im ausführlichen Anmerkungsteil mit Quellenangaben zu über 4000 Textstellen wie auch im über 700 Titel umfassenden Literaturverzeichnis), zollten Deschner, dem Außenseiter ohne Mitarbeiterstab und ohne finanzielle Sicherung, große Anerkennung für dieses Werk (siehe deschner.info), darunter Fritz Blanke, Richard Völkl, Martin Werner – der Göttinger Neutestamentler Hans Conzelmann steht für viele: "Deschner hat sich informiert und er wird sich auf nichts einlassen als Information."
Ethisch begründete Einseitigkeit von Deschner Kirchenkritik
Andere jedoch monierten wie für die kirchenkritischen Teile im Hahn, so vor allem für sein Hauptwerk KdC die einseitige, von Mit-Leid getragene Parteinahme Deschners für die Opfer klerikaler Potentaten, das widerspreche einer Wissenschaft "sine ira et studio". Wohl niemals aber wurde diese Einseitigkeit, gerichtet auf die Politik bestimmenden Leitlinien geistlicher und weltlicher Macht und ihre horrenden Auswirkungen, überzeugender legitimiert als durch Hans Wollschläger (Literat und Übersetzer, 1935-2007) in seiner mehrfach publizierten Besprechung des 5. Bandes der KdC am 10.8.1997 im Deutschlandfunk: "Deschner schreibt nicht einfach Kirchengeschichte, etwas Spezielles also, beliebig, sogar kulturgeschichtlich zu Sonderndes; er schreibt als Kirchengeschichte die ganze Geschichte neu – und gibt sie in eben dieser Identität als die Kriminalgeschichte zu erkennen, die sie war. Das geht der gesamten Vertuschungs-Historiographie mitten ins Gesicht, und nur folgerichtig geschieht es mit allen dort verpönten Mitteln: urteilend, wertend – nämlich 'moralisch' wertend, nämlich aus der Sicht der Opfer urteilend, die das alles erdulden mußten: eine Greuel-Chronik ohne Wenn und Aber. 'Differenzierung' verlangt da habituell die Zunft-Kritik, um aus dem Blutsumpf in irgend eine 'Idee' abheben zu können; nichtsda: sie brächte, aus der Nähe der Erduldenden gesehen, keine Differenz. Diese Nähe, an der er unerbittlich festhält, ist Deschners Prinzip – und seine ihm nicht entreißbare Legitimation."
Deschners kirchenkritisches Movens: nicht "Hass", sondern sachlich begründete "Feindschaft"
Nirgends aber – und das bezeuge ich als freundschaftlich-kritische Begleiterin des Werks von Karlheinz Deschner über 40 Jahre hin – sagte dieser "explizit", wie Junginger gar ein Zitat suggeriert, er schreibe "aus Hass gegenüber der katholischen Kirche". Unterstellt wurde ihm "Hass" von Kritikern wie dem Theologen Manfred Lütz. Der Untertitel Die haßerfüllten Augen des Herrn Deschner des von Ricarda Hinz mit Unterstützung von Jacques Tilly 1998 erstellten Videofilmes Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" im Kreuzfeuer verweist mit seiner ironischen Färbung auf den Kontrast der Interview-Aussage von Lütz zu dem im Foto gespiegelten Menschen Deschner "zwischen Melancholie und Revolte" (so sein Rowohlt-Lektor Hermann Gieselbusch) – nach Willi Winker in einem preisgekrönten Porträt Deschners zum Abschluss der KdC 2013 "der sanftmütigste Mensch, den sich eine Kinderbibel malen könnte".
In der ausführlichen Einleitung zu seinem Hauptwerk "Über die Methode, das Objektivitätsproblem und die Problematik aller Geschichtsschreibung" stellt er klar: "Ich schreibe aus Feindschaft. Die Geschichte derer, die ich beschreibe, hat mich zu ihrem Feind gemacht." Von Anfang an bis hin zur Kriminalgeschichte des Christentums – 1970, 20 Jahre nach (!) Deschners Exkommunikation, zusammen mit Hermann Gieselbusch (1937-2018) konzipiert und vom 1. bis zum 10. Band (1986-2013) unermüdlich vorangetrieben, von Herbert Steffen, Gründer der GBS, seit den 1990er Jahren dankenswert gefördert – leitet Deschners Schreiben also nicht "Hass" (ein von Junginger unterstellter biografisch bedingter Affekt), sondern, Ergebnis umfangreicher Studien, sachlich begründete "Feindschaft" gegenüber jenen, zumal klerikalen, zumeist kurialen Herren, die "im Namen des Herrn" prassten und mordeten – eine Blutspur ohnegleichen durch zwei Jahrtausende. Die vehemente und konsequente Parteinahme für die Millionen und Abermillionen Opfer, die dabei auf der Strecke blieben, leitet somit ein ethisches Motiv, das jeglicher Religionskritik, statt des von Junginger unterschiedslos empfohlenen "entspannten Verhältnisses zur Kirche", "anzuraten" wäre. Dieses Motiv kündigt sich, wie gezeigt, bereits im Titel seines kirchenkritischen Erstlings – "Abermals krähte der Hahn" – an.
Mit Blick auf Kritiker, die ihm Verengung seiner Perspektive oder Fehler vorwerfen werden, fügt er in der oben genannten Einleitung zum Hauptwerk hinzu: "Und nicht, weil ich nicht, was auch wahr ist, geschrieben habe, bin ich widerlegt. Widerlegt bin ich nur, wenn falsch ist, was ich schrieb." Zu widerlegen versuchte man 1992 während eines Symposiums "Karlheinz Deschners Kirchengeschichte auf dem Prüfstand" in der Katholischen Akademie Schwerte die Bände I und II der KdC – letztlich vergeblich, bis auf Ungenauigkeiten in Details (kaum je ganz vermeidbar). Ja, Professor Hans. R. Seeliger, Initiator der Tagung, würdigte den "ethischen Rigorismus" Deschners, allerdings konträr zu dessen Intention als "Partner der Kirchenreform": "Die Kritik Deschners weist auf ein Problem hin, das längst zum Fundamentalproblem der Kirche und Theologie geworden ist: auf das Glaubwürdigkeitsproblem."
Auch Adolf Holl, Stifter der ersten Professur für Religionskritik in Leipzig, merkte in seiner Autobiographie von 1992 an: "Wie furchtbar der Glaubenseifer sein kann, ist in der 'Kriminalgeschichte des Christentums' nachzulesen. Nach der Lektüre wirken all die Päpste, Kardinäle, Bischöfe und Äbte, Theologen, Nonnen, Mönche und Priester von den ersten Anfängen der Kirche bis in die katholische Gegenwart wie eine Bande von Gangstern, deren verbrecherische Machenschaften sich hinter Weihrauchwolken verbergen."
Deschners Haltung gegenüber den "guten Christen"
Doch im selben Buch von 1992 beklagt Holl: "Ausgeblendet ist dabei die lange Geschichte der christlichen Güte, die aus derselben Wurzel sich nährt wie der christliche Eifer."
Holl aber wie auch jenen Christen, die Deschner schrieben, er könne "noch so viele kirchliche Verbrechen zusammentragen", das erschüttere ihren Glauben an Christentum und Christus nicht, wäre mit Deschner zu erwidern, dass seine historisch-kritischen Arbeiten über die durchweg dem Synkretismus des Mittelmeerraumes entwachsenen geistigen und ethischen Grundlagen des Christentums zum einen die Berufung auf den christlichen Glauben ad absurdum führen – und damit jeglichen "Wort-Gottes"-Anspruch biblischer Schriften, zum andern die Berufung auf die Nächstenliebe als eines etwa durch die "Bergpredigt" des Matthäus ausgewiesenen christlichen Propriums verwehre. Voraus ging zum Beispiel, ohne Beeinträchtigung durch den vermessenen Anspruch monotheistischer Offenbarungsreligionen, die von Sokrates inspirierte Ethik der griechischen Stoa und Akademie (siehe etwa Theodor Birt, Von Homer bis Sokrates 2013, Seite 396), gründlich auch dies nachgewiesen schon 1962 in Deschners Hahn, Jahrzehnte später aphoristisch resümiert: "Es gäbe wenige Gläubige auf der Welt, kennten sie ihre Glaubensgeschichte so gut wie ihr Glaubensbekenntnis." Selbst wenn also, so Deschner in der Politik der Päpste (Neuauflage 2013, S. 866), "dies Institut fast zweitausendjähriger Verbrechen eines Tages, aus welchen Gründen immer, Frieden nicht nur predigen, sondern praktizieren, wenn es dafür leiden, schrumpfen, machtlos würde – es bliebe verächtlich, weil es dogmatisch unwahr ist."
Fazit
Welches Werk könnte das von Horst Junginger erstrebte, Deschner abgesprochene "Vorbild" für "wissenschaftliche Religionskritik" sein (umfassend definiert wie etwa von Rohrmoser, siehe oben, nicht verengend wie von Junginger) wenn nicht die Kritik des Agnostikers Deschner an Glaube und Klerus der institutionalisierten Religion des Christentums von den Anfängen bis in die Gegenwart. Sie zeichnet sich aus durch einen hohen ethischen Anspruch (Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeitsempfinden, das Partei ergreift für die Verlierer der Geschichte) und dessen gründliche, von zahlreichen namhaften Fachgelehrten (!) (siehe Anhang) geschätzte, zudem sprachmächtige Realisierung in seinem gesamten kirchenhistorischen Werk. Damit wurde dieses ein wünschenswertes Pendant zur Fülle theologischer ("wissenschaftlicher"?) Apologien der von Deschner aufgedeckten "Kriminalgeschichte" der christlichen Kirche, ein Pendant nicht zuletzt auch zu den Kritiken jener, die ihr, "in einem entspannten Verhältnis", "mit einer heiteren Gelassenheit", nahestehen.
Deschner – kein "Vorbild für wissenschaftliche Religionskritik"? Wohl kaum!
Vom Inhaber des ersten Lehrstuhls für Religionskritik in Deutschland hingegen ist wissenschaftlich Fundierteres zu erhoffen als die vagen, auch desavouierend-verfälschenden Verlautbarungen im DLF/Tag-für-Tag-Interview vom 22. Januar 2018 – über Religionskritik im Allgemeinen und über Karlheinz Deschner insbesondere, den Anspruch dieses Magazins im Deutschlandfunk verfehlend, "dass Themenkomplexe intensiv aufbereitet und Hintergründe dargestellt werden".
Zum Ganzen vgl. auch "Tatsachen gegen Behauptungen: Argumente gegen häufig kolportierte Falschmeldungen über Karlheinz Deschner und sein Werk"
28 Kommentare
Kommentare
Chr. Nentwig am Permanenter Link
Danke für diesen ausführlichen Kommentar.
Christian Nentwig
Klaus am Permanenter Link
Ja, danke , so ist es.
Werder Lantern am Permanenter Link
"Mogelpackung-Erweiterungsauslobung" - Diesem höchst interessanten wie instruktiven Artikel kann man aussagemäßig auch ergänzen, indem man auf die semantische Konnotation von "Kritik" im althergebr
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Normalerweise sollte die Kritik in jeder Wissenschaft system-inhärent sein.
Wer eine eigene Fakultät braucht, um zu erfahren, was wissenschaftliche Kritik ist, scheint selber keine Ahnung von wissenschaftlichem Arbeiten zu haben. Eine Bankrott-Erklärung der Theologie und Religionswissenschaften.
Da würde ich zu gerne erfahren, was Herr Junginger von meiner neuen Religionskritik „De Nos Tradamus“ hält.
Wolfgang am Permanenter Link
Religionskritik:
Warum Gläubige und Scheinheilige auf die Füsse treten, wenn man sie vor den Kopf stoßen kann?
Nicht der Kopf ist das eigentliche Problem, sie haben es mit dem Kreuz!
Christen haben die Fähigkeit, aus einem Verbrecher einen Heiligen zu kommunizieren.
Wenn Scheinheilige Beten erkennt man die Wirksamkeit des Christentums.
Blinder Glaube füllt die Kassen der Kirchen. Der Glaube versetzt Berge von Menschen unter die Erde.
Ist ein Leben nach dem Tode mit dieser ganzen scheinheiligen Gesellschaft erstrebenswert? Ach du lieber Gott!!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Mir fiel "Der gefälschte Glaube" als erstes in die Hände, nachdem ich für mich "Gott" lange als menschliche Erfindung erkannte. Wissenschaft braucht keinen Schöpfer.
Bis 2012 hatte ich eine "heitere Gelassenheit" der Religion gegenüber. Sie war für mich falsch basiert, "Gott" wirkungslos, Pfaffen Rhetoriker - schönen Tag noch.
Doch in jenem Jahr sah ich während der Debatte nach dem Beschneidungsurteil von Köln (7. Mai 12), dass die Religion auch heute noch Opfer produziert. Keine finanziellen - körperliche. Auch die christlichen Glaubenskonzerne pflichteten bei, es in die Entscheidung von Eltern zu legen, ihre männlichen Kinder genital zu verstümmeln - als "Kindeswohl" kaschiert. Wo leben wir denn?
Diese für mich kaum erträgliche mediale Nähe zu den aktuellen Opfern religiöser Praxis ließ meine Gelassenheit sterben. Ich wurde wütend, ich wurde Aktivist und erfand mich neu als Religionskritiker - sachlich, deutlich, den Opfern zugewandt.
Heute lerne ich jeden Tag dazu, werde immer fassungsloser gegenüber der mächtigsten Herzlosigkeit, die sich selbst den heuchlerischen Anschein der "Barmherzigkeit" verlieh. Drehen und Wenden, Lügen und Schwurbeln, Biegen und Vergessen im Namen der eigenen Macht - die nach außen ganz bescheiden als Machtlosigkeit verkauft wird.
Danke für diesen gerechten Überblick über Deschners Werk. In seinem Sinne sollten wir weiterarbeiten...
Wolfgang am Permanenter Link
Im Hundekuchen steckt kein Hund, in der Schillerlocke findet sich weder ein Schiller noch eine Locke und in der Bibel lebt kein Gott.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Oha, das hört sich wie eine offenbar gerechtfertigte Breitseite gegen H. Junginger an, ist aber streckenweise sehr schwer lesbar (obwohl ich diesbzgl. auch kein unbeschriebenes Blatt bin...).
"Abermals krähte der Hahn?" - Der Buchtitel hat doch aber kein Fragezeichen; dieses entpuppt sich beim Weiterlessen als Frage nach dem Urprung des Buchtitels, und die wiederum wird ganz am Ende des nachfolgenden Absatzes (nein, des nachfolgenden Satzungetüms) wie folgt beantwortet:
"Die permanente Pervertierung der jahrhundertelang propagierten Ideale einer Liebesreligion, voran Armut und Friedfertigkeit, von Anbeginn aufs Ungeheuerlichste ins krasse Gegenteil – schamloser Luxus und blutige Gewalt gegen Andersdenkende, gegen Konkurrenten um die Macht – durch selbsternannte Stellvertreter "Gottes" bzw. "Christi" auf Erden, ihre fast zwei Jahrtausende währende, auch von Goethe (mit dessen Gedanken über das Christentum Deschner den "Hahn" enden lässt) angeklagte "Heuchelei im Heiligenschein", ihr Verrat dessen, auf den sie sich stets feierlichst beriefen, gab diesem Buch, in Anspielung auf Mk 14, 39.72, den Titel."
Chapeau!
Warum H. Wollschläger allerdings überzeugend Einseitigkeit legitimiert, erschließt sich mir nicht so ganz. Das im Artikel kursiv gesetzte Zitat Wollschlägers ist doch sehr zutreffend?
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Lesen Sie bitte diesen Absatz nochmal genauer: Die bewusst "einseitige" Parteinahme Deschners für die Opfer klerikaler Macht wurde von seinem Freund Hans Wollschläger so überzeugend legitimiert wie m.W.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das "einseitig" empfinde ich als unpassend, weil pejorativ konnotiert; "gerechtfertigte Parteinahme" wäre m.E. treffender - oder ganz ohne Adjektiv.
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Aus besagten Gründen nannte Karlheinz Deschner selbst seine Haltung als Kirchenhistoriker "einseitig" und empfand dies gerade nicht als "pejorativ" angesichts der Fülle konträr Partei ergreifender
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nun blicke ich etwas besser durch (hätte aber auch gleich in einem weiteren Nebensatz eingebaut werden können...).
Roland Fakler am Permanenter Link
Hallo Frau Röwer,
Deschner schreibt die Wahrheit. Dass sie unangenehm ist für die Kirche, ist ja nicht seine Schuld!
Rene Goeckel am Permanenter Link
Junginger kann Deschners Werk nicht angreifen, also diskreditiert er den Autor. Das erinnert an das Wahrheitsministerium aus Orwells 1984.
Dionysos am Permanenter Link
Frau Röwer vergrößert die Aussagen Herrn Juningers über Deschner. Gut, sie legt dar, dass Deschners Abstandnahme zur Instiution Kirche bereits vor seiner Exkommunikation zu verorten ist.
Und für den Nachweis werden keine historischen Argumente dargelegt, sondern lediglich Aussagen zitiert, die über Deschners Werk geäußert wurden. Im Sinne eines wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Religionskritik sollte nicht die Moral Ausgangpunkt sein. Deschner ist aufgrund einer normativen Position, die ja darin besteht, "Lügen" und "Intrigen" aufzudecken selbst Gegenstand der Forschung. Wer glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, sollte sein Wissenschaftsverständnis noch einmal überdenken!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Die Reduktion einer Institution auf eine Wirkung."
Diese Aussage auf die Zeit des Nationalsozialismus projiziert würde zu einer extrem geschmacklosen Diskussion führen. Genauso wie die verharmlosenden Relativierungen im Fall des Hasspredigers Luther.
Wir sollten uns abgewöhnen, Gutes zur Relativierung des Schlechten zu suchen. Denn Gutes finden wir überall...
Klaus am Permanenter Link
Ehren wir Karlheinz Deschner. Er hat als Wissenschaftler der Aufklärung enorm viel dazu beigetragen, religiöse (meist = weltliche) Eliten in ihrer perversen, inhumanen Machtgeilheit zu entlarven.
Peter Pokrotkin am Permanenter Link
Wer liest denn sowas? Ich halte diesen Text für eine Zumutung. Wenn es eine Hölle für Atheisten gibt, dann müssen dort derartige Texte gelesen werden. Ellenlange Bandwurmsätze. Von einem roten Faden keine Spur.
So jedenfalls meine Meinung. Man mag mir mangelnde Intelligenz vorwerfen. Wer diesen Text jedoch gut strukturiert und klar verständlich empfindet, möge dies doch einmal bekunden und mich damit eines Besseren belehren. ;-)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Wer liest denn sowas?"
Ich!
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Der Text ist eben wissenschaftlich konnotiert. (Wissenschaftlicher Begriffsinhalt)
Andreas Leber am Permanenter Link
Christen stiften und besetzen nun also einen Lehrstuhl für wissenschaftliche Religionskritik.
Wer über ihre Art von Religionskritik hinaus geht, wie Deschner, der ist kein Kritiker, sondern ein Hasser. Und Wissenschaftlichkeit endet dort, wo sie der Religion widerspricht, ihr Primat nicht anerkennt.
Wehret den Anfängen: Sie deuten die Worte in ihrem Sinne um. Bewährtes Mittel aller Theologie.
Wolfgang am Permanenter Link
Hoffentlich gehen diese Christen stiften wenn sie einen Leerstuhl für Kritik an der Religion stiften. Was wissen die denn schon über Religionskritik!
Horst Junginger am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau Röwer,
eingedenk der Tatsache, dass die Religionskritik an den Universitäten auf erhebliche Vorbehalte stößt, hielt ich es für eine gute Strategie, die Begründung für die von Ihnen kritisierte Stiftungsprofessur auf die Abgrenzung von den beiden Außenpositionen, der kirchlichen und der antikirchlichen, anzulegen. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Kritik nur begrüßen.
Es mag vielleicht etwas falsch herübergekommen sein, aber ich beurteile Karlheinz Deschner und sein Werk durchaus nicht negativ. Ganz im Gegenteil schätze ich ihn als bedeutenden Aufklärer. Es ist ein Glücksfall, dass er von Herbert Steffen bzw. der GBS diese Förderung erfuhr. Meine Hochschätzung gilt auch der Arbeit von fowid und den von großer Sachkenntnis geprägten Veröffentlichungen Carsten Frerks. Gleichwohl halte ich an der Bezeichnung „weltanschauliche Religionskritik“ für Deschners Oeuvre fest und sehe nicht, was daran so schlimm sein soll. Deschners Kritik ist erklärtermaßen subjektiv, einseitig, parteiisch, eklektisch, unsystematisch, stark auf der deskriptiven und schwach auf der analytischen Ebene. Dass sie in dieser Form mit der Universitätswissenschaft kompatibel sein könnte, ist ausgeschlossen. Auch er selbst hat das verneint.
Im Grunde genommen ist Religionskritik auch nicht das richtige Wort für Deschners Ansatz, da es ihm ausschließlich um die katholische Kirche, und hier auch nur um die Amtskirche, geht. Andere Formen des Katholizismus kommen nicht vor. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als säße er der Behauptung der Kirchenhierarchie auf, sie allein würde den katholischen Glauben bzw. das Christentum insgesamt repräsentieren. Wenn man eine differenzierende Herangehensweise grundsätzlich ablehnt, beraubt man sich aber der Möglichkeit, gemeinsam mit katholischen Kirchenkritikern eine Änderung der Verhältnisse zu bewirken. Wenn man das will – ich unterstelle das einfach einmal –, wäre es sinnvoll, Bündnisse zu schließen, einen Keil in die Front der Feinde zu treiben usw. Kein anderer zeitgenössische Denker hat die deutschen Katholiken jedoch so zusammengeschweißt wie Karlheinz Deschner.
Mein Hauptkritikpunkt betrifft Deschners negative Bindung an den untersuchten Gegenstand, man könnte fast sagen, die Abhängigkeit von ihm. Dieser Punkt lässt sich nicht einfach damit abtun, dass er in der theologischen Polemik eine zentrale Rolle spielt. Deschner ist meiner Meinung nach nicht ganz unschuldig daran, dass seine Kritik als Spiegelung der christlichen Apologetik wahrgenommen wird, deren Bedeutung auf den kirchengeschichtlichen Referenzrahmens beschränkt bleibt. Wie könnte man unter Berufung auf die „Kriminalgeschichte des Christentums“ den Buddhismus oder andere Religionen kritisieren? Ich selbst habe mich intensiv mit der christlich-theologischen „Kriminalgeschichte des Judentums“ zwischen 1933 und 1945 beschäftigt. Gerade deshalb halte ich Deschners Anspruch, die „Verbrechensgeschichte“ als Wesensmerkmal des Christentums herausarbeiten zu wollen, für problematisch. Man wird keiner Religion gerecht, wenn man Einzelnes herausgreift und – sei es im Positiven oder im Negativen – als das Ganze ausgibt. Derzeit wird in der politischen Rechten geradezu fieberhaft daran gearbeitet, eine „Kriminalgeschichte des Islams“ zu schreiben. Ich sehe hier in der Tat das Problem, dass sich mancher dabei auf Deschner und seine Vorgehensweise berufen könnte.
Im Unterschied zur weltanschaulichen ist die wissenschaftliche Religionskritik gezwungen, sich an den Maßstäben zu orientieren, die auch sonst für das wissenschaftliche Arbeiten gelten. Das kann man kritisieren oder den etablierten Wissenschaftsbegriff insgesamt für Nonsense halten. Doch alternative Erkenntnisformen führen nicht automatisch zu besseren Ergebnissen. Wie die Arbeitsweise der Religionswissenschaft (i.U. zur Theologie) und die der Religionsgeschichte (i.U. zur Kirchengeschichte) aussieht, habe ich in meinem letzten Buch über die „Religionsgeschichte Deutschlands in der Moderne“ knapp und eingängig erläutert (S. 13-22). Von dieser Perspektive aus kritisiere ich Deschners Kirchenkritik nicht weil sie kritisch, sondern weil sie zu wenig kritisch ist.
Wenn er beispielsweise sagt, die Kirche würde das vom Christentum eigentlich Gemeinte verfälschen – diese Meinung findet sich auch in dem von Ihnen verlinkten Text –, ist das wissenschaftlich unsinnig und historisch vollkommen daneben. Man kann so etwas nur annehmen, wenn man die Argumente des religiösen Binnendiskurses für bare Münze nimmt. Solche essentialistischen Vorstellungen suchen wir unseren Studenten schon im ersten Semester auszutreiben. Man sieht an diesem Beispiel aber auch, wie notwendig es ist, seine Quellen kritisch zu hinterfragen und den Stellenwert der darauf aufbauenden Interpretation an diese Prüfung zu koppeln.
Man mag mir das als déformation professionnelle auslegen. Aber ich bin tatsächlich der Meinung, dass die wissenschaftliche Kritik zwar Schwächen, aber auch Stärken hat, die man nicht unterschätzen sollte.
In nach wie vor heiterer Gelassenheit,
Horst Junginger
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich bin der Meinung, Kunstkritik kann man mit der von Ihnen geschilderten "gelassenen" Methodik betreiben. Oder Kulturkritik im Allgemeinen.
Allerdings agiert der Gegenstand der Religionskritik selbst im hohem Maße wenig "heiter" und "gelassen", sondern hin und wieder boshaft, menschenverachtend und gewaltbereit/-tätig, dass sich "heitere Gelassenheit" verbietet.
Deschner hat auch bewusst nicht die "Geschichte des Christentums" geschrieben, sondern dessen Kriminalgesichte. Das ist eine inhaltliche Zuspitzung als Korrektiv zur üblichen verharmlosenden Eigenberichterstattung des Klerus. Die Wirkung Letzterer beeinflusst bis heute die Politik in Deutschland, die noch immer von einem christlichen Abendland schwärmt. Bis hin zur unbegreiflichen Verharmlosung eines der größten und wirkmächtigsten Hasspredigers: Martin Luther.
Diesem medialen Übergewicht der Verharmloser kann Deschners Werk kaum etwas Gleichgewichtiges - wenn auch Gleichwertiges - gegenüberstellen. Religionskritik muss sich also dessen immer bewusst sein, dass Religion bis heute eine maßgebliche gesellschaftliche Relevanz hat - im Guten (was der Klerus selbst gerne herausposaunt), aber auch im Schlechten (was er gerne verschweigt)...
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Dem kann ich nichts Wesentliches hinzufügen, Herr Kammermeier.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Hallo Herr Junginger,
Gabriele Röwer am Permanenter Link
Danke, Herr Büchner! Ihr Kommentar trifft in m.W. singulärer Klarheit den Kern von Deschners Leistung, so oft ihm auch Kritiker, sogar aus den "eigenen Reihen", Mangel an analytischem Denken vorwarfen.
Ralf Rosmiarek am Permanenter Link
Nichts Neues in der deutschen Kirchenrepublik
Nachträgliche Anmerkungen zu Horst Jungingers Empfehlung „heiterer Gelassenheit“ als Movens religionskritischer Forschung in Leipzig
Nichts Neues also in der deutschen Kirchenrepublik. Das alte „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied sing ich“, setzt sich fort. Nun gar durch eine Professur für Religionskritik, gestiftet von einem Theologen. Kein Wunder nimmt es, wenn der Inhaber dieses Leer- oder doch Lehrstuhles sich den Kirchen in „heiterer Gelassenheit“ verbunden fühlt. Ein Treppenwitz beinahe. Man kann sich eigentlich nur angewidert abwenden oder eben versuchen, die Sache der Öffentlichkeit vorzustellen.
Heitere Gelassenheit also ... Anempfohlen durch Professor Junginger im Umgang mit den Kirchen, doch angesichts kirchlicher Zumutungen und Dreistigkeiten ist das wohl kaum die richtige Art des Reagierens. Gerade heute Morgen las ich, dass der ehemalige Salzburger Weihbischof Laun die Segnung Homosexueller mit der Segnung von Konzentrationslagern verglich. Ungeheuerlich allein seine geistliche bzw. geistlose Absonderung, Konzentrationslager segnen zu wollen. Aber er befindet sich ja in guter Gesellschaft, denn auch dem ehemaligen obersten Glaubenswächter seiner Organisation, Gerhard Ludwig Müller, ist die Segnung homosexueller Paare ein „Gräuel an heiliger Stätte“.
Heitere Gelassenheit also ... Die dürfte dann ja auch die Politik freuen, braucht sie sich auch weiterhin nicht um das unrühmliche 100jährige Jubiläum der Missachtung des Verfassungsauftrages zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen zu kümmern. Wenn ich das richtig sehe, dann wurde der Verfassungsauftrag auch im neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD nicht verhandelt. Die Mitteilung des Humanistischen Pressedienstes darüber, dass es erstmals parlamentarische Mehrheiten gibt, die der Ablöseforderung positiv gegenüberstehen, ist vielleicht als ein kleiner Hoffnungsschimmer zu bewerten, politische Realität scheint damit jedoch nicht verknüpft.
Heitere Gelassenheit also ... Dreiundzwanzigtausend (23.000 !) „Korrekturen“ enthält eine der ältesten Bibelfassungen, der Codex Sinaiticus, das ist einigermaßen erstaunlich für ein erklärt verbal oder göttlich inspiriertes Buch. Es könnte also durchaus heiter stimmen, sich mit der (christlichen) Religion zu beschäftigen. Die Erfindungen und Ausschmückungen verschiedenster himmlischer Paradiese könnten zum Lachen zwingen.. Die Kernkompetenz der Religion besteht im Erzählen von Märchen, das ist natürlich eine Kulturleistung. Diese Kernkompetenz, auch Seelsorge genannt, lässt sie sich überaus fürstlich entlohnen, nicht nur durch die Mitglieder der jeweiligen religiösen Organisation, sondern in Deutschland noch immer durch den allgemeinen Steuerzahler. Jedoch taugen die Märchen sogenannter Heiliger Schriften nicht allzu viel. Selbst die zentralen Punkte führen innerhalb der Verkünder und der Zuhörerschaft zu arg divergierenden Interpretationen, zu denken wäre etwa an die Gottessohnschaft Jesu, das Abendmahl, die Auferstehung, das ewige Leben. Volks- und Kunstmärchen sind durchaus ebenfalls zweifelhaften Charakters und zarten Gemütern nicht immer verdaulich, da blutrünstig, auf Rache sinnend, sie malen diese phantastische Welt in Schwarz und Weiß oder Gut und Böse, kennen Leibeigentum und andere Scheußlichkeiten mehr, doch zu Völkermord und Krieg rufen sie nicht auf, zur Beherrschung der menschlichen Geisteskräfte auch nicht. Sie verzichten auf das Ansinnen, eine Gesamtwirklichkeit zu konstatieren. Das sind Alleinstellungsmerkmale von monotheistischen Religionen, und diesen Irrsinn bezahlen wir alle. Trotz allem anderslautenden theologischen und häufig auch politischen Geschrei taugt die Religion nicht einmal als Prothese der Moral.
Heitere Gelassenheit also ... „(M)an wird keiner Religion gerecht, wenn man Einzelnes herausgreift“, schreibt Herr Junginger. Da wäre dann erstens zu fragen, warum sollte man gegenüber der Religion Gerechtigkeit üben? Und zweitens wäre zu fragen, wann übte Religion je gegen andere Gerechtigkeit? Was ist das für ein Argument einer wie auch immer aufgefassten Religionskritik? Seit über 2000 Jahren legt sich das Christentum zurecht, was gerade in die Zeit passt. Es übersieht nur immer wieder den Grundirrtum, dass es dieses Christentum gar nicht geben dürfte. Schon der binnentheologische Diskurs weiß: Es bedarf keines Wortes, daß sich Jesus in der Erwartung des nahen Weltendes getäuscht hat (Rudolf Bultmann). Und das Neue Testament schrieb etliche Jahrzehnte nach dem Tod des Religionsstifters Jesus den Grundirrtum fest, so im Evangelium des Lukas: Ich sage euch aber wahrlich, daß etliche sind von denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden, bis daß sie das Reich Gottes sehen (9,27). Sind Erbsünde, Trinität, Jungfrauengeburt, Auferstehung usw. tiefsinnige Bilder oder doch Tatsachen? Gar allesamt Missverständnisse? Im historischen Verlauf als Realität gepredigt, heute nur auf Zeichen reduziert? Man verwendet viel Zeit darauf und vergeudet sie, die verschiedenen Katechismen dem gesunden Menschenverstand anzupassen, denn schon dem antiken Menschen waren sprechende Schlangen und wiederkehrende Tote zumindest verdächtig.
Karlheinz Deschner hat diese jüdische und christliche Realität jedenfalls sehr deutlich herausgestellt und damit die Wirkung von Religion vor Augen geführt. Die Geschichte des christlichen Glaubens ist eine Kriminalgeschichte von Anfang an. Dass man bei einer solchen Arbeit eine „Bindung“ an den zu untersuchenden Gegenstand besitzt, ist wohl eine Banalität. Wie sieht wohl die bindungslose Untersuchung des Herrn Junginger aus? ... ach ja, da gibt es ja freilich diese heitere Gelassenheit.
Der religiöse Glaube ist ein einzigartiger Missbrauch menschlichen Erkenntnisvermögens, er ist eine perverse kulturelle Monstrosität, stellt er doch einen Fluchtpunkt dar, der jegliche rationale Auseinandersetzung hindert. Wer sich für eine lebenswerte Welt einsetzt, dem steht die (monotheistische) Religion im Wege. Für diese lebenswerte Welt bedarf es keiner Fesselung der Intelligenz, sondern ihre Freiheit und Fröhlichkeit.