Podiumsdiskussion in Berlin

Lebenshilfe durch Sterbehilfe

BERLIN. (hpd) Die Veranstaltung war ausverkauft und der Raum in der Universitätsbibliothek überfüllt; einige Gäste mussten im Hintergrund stehen. Doch selbst ihnen wurden die zwei Stunden nicht lang, in denen auf dem Podium und mit dem Publikum über die aktuelle Situation der Sterbehilfe debattiert wurde.

Der Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung (GBS), Michael Schmidt-Salomon moderierte die Veranstaltung, die durch die GBS, die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) sowie den Internationalen Bund der Konfessionsfreien und Atheisten (IBKA) veranstaltet wurden. Auf dem Podium saßen Renate Künast (MdB, B90/Die Grünen), Uwe-Christian Arnold, der Arzt und Autor des Buches “Letzte Hilfe” sowie Dr. med. Ayke Schmook, der in den Niederlanden unter anderem Zweitgutachten anfertigte, wenn es um die seit 2001 in den Niederlanden legale “aktive Sterbehilfe” bei einwilligungsfähigen Schwerkranken ging. Zudem war der Geschäftsführer der Schweizer Sterbehilfeorganisation EXIT, Bernhard Sutter, anwesend.

Gerade die Beiträge der beiden Letztgenannten waren für das Publikum interessant, hieß doch der Untertitel der Veranstaltung “Praktische Erfahrungen aus dem Ausland”.

Zu Beginn stellte die Präsidentin der DGHS, Elke Baezner, die Gäste vor und wies darauf hin, dass im Saal viele Politiker aller Parteien sitzen. “Ich hoffe, dass sie gut zuhören und die Ergebnisse des Abends in ihre Parteien weitergeben werden.” Dieser Wunsch könnte realistisch sein; viele der Anwesenden machten sich Notizen.

In seiner Einführung wies Schmidt-Salomon noch einmal darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen die ärztliche Begleitung bei einem Suizid befürwortet. “Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Politik gegen die Interessen dieser Mehrheit ein Gesetz verabschieden könnte.” Renate Künast wies darauf hin, dass die Gesetzesinitiative des Gesundheitsministers Gröhe auf Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zurückzuführen sind. Mit den Worten “die SPD hat sich hier kräftig über den Tisch ziehen lassen” kommentierte sie, dass selbst die Sozialdemokraten nun für ein Gesetzesentwurf stehen würden, der der Mehrheitsmeinung der eigenen Mitglieder widerspricht.

Renate Künast hat bereits den Antrag der Säkularen Grünen für die Beibehaltung der derzeitig gültigen liberalen Regelung zur Sterbehilfe auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im November des letzten Jahres vertreten. Gestern wiederholte sie die dort vertretene Position: “Zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch ein selbstbestimmtes Sterben.”

Der Gegenseite bescheinigte sie eine “trickreiche und emotional” geführte Kampagne. Es ginge dabei nicht um Argumente, sondern um Gefühle. Selbst wenn immer wieder die Rede davon sei, dass die Palliativmedizin und die Altenpflege verbessert werden sollen; für sie sind das leere Versprechungen. Die Diskussionen sollten zudem streng getrennt geführt werden. Sie fordert “mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht” und hält eine Verankerung von Regelungen zur Sterbehilfe im Strafrecht für völlig unsinnig. “Das Strafrecht ist hier völlig fehlt am Platze”, sagte die Bundestagsabgeordnete, “ethisch-moralische Bewertungen haben im Strafrecht nichts verloren.” Ihr käme es so vor, als würde für einige Politiker das Strafgesetzbuch so etwas wie ein “Politikersatz” sein: “Was darin jetzt alles geregelt wird, ist kaum vorstellbar und hat mit Recht kaum noch etwas zu tun.”

Abschließend wies sie darauf hin, dass, wer die Sterbehilfe verbieten wolle, in Kauf nehme, dass “Strassenbahnfahrer und Lokführer weiterhin traumatisiert werden.”

Christian-Uwe Arnold wurde nach seinem Eindruck gefragt, in wie weit die Ärzteschaft in Deutschland für einen ärztlich begleiteten Suizid bereit ist. “Wenn ich nach den Mail und den Anrufen gehen würde, die ich tagtäglich erhalte: Alle.” Er schränkte aber sofort ein, dass dies natürlich nicht richtig ist. Es gäbe selbstverständlich auch Ärzte, die einen begleiteten Suizid aus moralischen Gründen ablehnen. “Das ist wie bei der Abtreibung; die nimmt auch nicht jeder Arzt vor. Das wird auch von manchen mit den gleichen Gründen abgelehnt.” Er sei derzeit dabei, Kollegen zu finden, die gemeinsam mit ihm in die Öffentlichkeit gehen, um sich für eine Sterbehilfe stark zu machen.

Nach seinen Erfahrungen lassen sich gut Zweidrittel derer, die mit ihm Kontakt suchen, nicht beim Sterben helfen. “Den Menschen genügt das Wissen, das ich im Falle eines Falles bereit bin, ihnen zu helfen.” Diese Worte wurden von einem langen Applaus des Publikums begleitet. Es scheint - das wurde auch in der späteren Diskussion deutlich - vielen Menschen vor allem um diese Sicherheit zu gehen. Das Wissen, am Ende des Lebens nicht zwingend leiden zu müssen, bringt viele dazu, einige Jahre länger zu überleben. "Vielen hilft allein das Wissen, dass sie Hilfe bekommen würden. Hier muss es dringend auch zu einer Anerkennung durch die Kassen kommen, so dass Ärzte sich die Zeit nehmen können, mit den Patienten diese Themen zu besprechen.

Über den langen Weg zum selbstbestimmten Sterben in den Niederlanden berichtete Dr. med. Ayke Schmook. “Die Änderungen brauchten fast 30 Jahre und sie ließen sich erst durchsetzen, als keine religiöse Partei in den Niederlanden an der Macht war.” Er bestätigte Arnold und wies darauf hin, dass sich auch in den Niederlanden gezeigt habe, dass es bei der Euthanesie [1] vor allem um ein gutes Verhältnis zwischen Arzt und Patienten geht.

Generell ist übrigens “auch in den Niederlanden die Euthanesie strafbar. Aber durch eine Ausschlussklausel kann sich der Arzt gegen eine Strafverfolgung absichern.” Diese Ausschlussklausel wird auch in Deutschland angewandt. Denn “letztlich ist auch eine Patientenverfügung eine ebensolche Ausschlussklausel, die den Arzt davon befreit, lebensrettende Maßnahmen einzuleiten.”

An Bernhard Sutter von EXIT wurde die Frage gestellt, weshalb der Verein in der letzten Zeit so viele neue Mitglieder gewinnen konnte. Er führte das vor allem auf einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zurück. “Die Menschen sind es gewohnt, ihr Leben selbstbestimmt zu leben.” Die Generation derer, die jetzt in das Alter kommen, um über ihren Tod nachzudenken, haben den Großteil ihres Lebens in einer Demokratie verlebt. Sie haben gelernt, dass sie Herr ihres Willens sind. “Hinzu kommen der demographische Wandel und auch, dass es in den letzten 50 Jahren eine enorme Verbesserung der Medizin gab. Die Menschen werden älter und sind selbstbewußter.”

In der Schweiz wird Sterbehilfe vor allem von Vereinen durchgeführt, “das, was nun in Deutschland verboten werden soll” ergänzte Michael Schmidt-Salomon. “Das waren ursprünglich Selbsthilfevereine”, erklärte Sutter. “Das macht das Menschliche daran aus.”

Auch schweizerische “Ärzte schicken die Menschen zu den Sterbehilfevereinen. Die einen, weil sie sich ‘die Finger nicht schmutzig machen’ wollen, die anderen, weil sie überhaupt keine Ausbildung dafür haben.” EXIT bildet die freiwilligen Sterbehelfer aus - es gibt derzeit 35 von ihnen - und diese “arbeiten unentgeltlich und aus Menschlichkeit”. Das habe zudem den Vorteil, “dass es (fast) keine Fehler gibt” - die Ausbildung erfolgt auch an Universitäten. “In all den Jahren ist es noch nie dazu gekommen, dass ein Sterbehelfer ins Gefängnis musste.” Alle Verstorbenen werden nach der Sterbehilfe von Gerichtsmedizinern untersucht; die Polizei und die Staatsanwaltschaft werden ebenfalls informiert.

Das Podium diskutierte die verschiedenen Modelle der Suizidbeihilfe in den Niederlanden, der Schweiz und die derzeitige Situation in Deutschland. Es wurde darauf hingewiesen, dass es in Deutschland derzeit die liberalste Regelung gibt; noch. Mit dem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Gröhe, aber auch den alternativen Entwürfen (außer dem von Künast u.a.) wäre damit Schluss.

Uwe-Christian Arnold wies noch einmal auf die Regelungen im US-Bundesstaat Oregon hin, die er als Vorbild sieht. “Es gibt inzwischen drei weitere US-Bundesstaaten, die die die Oregon-Regelungen übernehmen wollen.”

In der Diskussion mit dem Publikum zeigte sich wieder einmal, wie wenig viele Ärzte und Krankenhaus-Mitarbeiter über die rechtlichen Konsequenzen einer Patientenverfügung wissen. Renate Künast wies noch einmal auf den Unterschied zwischen einem begleiteten Suizid und einer Patientenverfügung hin: Bei ersterem muss der Patient “die letzten Handlung” selbst tun. “Eine Patientenverfügung greift eben dann, wenn der Patient dazu nicht mehr in der Lage ist. Die Patientenverfügung greift dann, wenn der Betroffene nicht mehr selbst handeln kann.”

Leider musste die Veranstaltung beendet werden, ehe alle Fragen geklärt und beantwortet werden konnten. Noch lange nach Ende der Veranstaltung standen diskutierende Gruppen zusammen. Was sich daran wieder einmal zeigte: das Thema “brennt”; die Menschen diskutieren und wollen über ihr Lebensende selbstständig entscheiden. Die Diskussionen sind noch lange nicht beendet.


  1. In den Niederlanden ist auch die aktive Sterbehilfe zulässig! - eine Forderung, die in Deutschland weder zur Debatte steht noch von irgendwem öffentlich vertreten wird.  ↩