Ingrid Matthäus-Maier, Sprecherin der Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz (GerDiA), begrüßt das heute vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefällte Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland.
"Das Urteil des EuGH ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und wird hoffentlich dazu führen, dass das kirchliche Arbeitsrecht endlich aufgebrochen wird", sagt die Juristin und ehemalige SPD-Spitzenpolitikerin Matthäus-Maier.
Seit Jahren unterstützen die Initiatoren der GerDiA-Kampagne, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA) sowie die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Klagen von Opfern des kirchlichen Arbeitsrechts und fordern dessen Abschaffung, da es Kirchen und kirchennahen Betrieben die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Weltanschauung, sexuellen Orientierung oder persönlichen Lebensentscheidungen erlaubt.
"Die beiden Kirchen haben in den vergangenen Jahren ihre Arbeitsrichtlinien zwar minimal verändert, aber bei Weitem nicht ausreichend", sagt Matthäus-Maier. "Auch hängt es oft von der persönlichen Haltung des Leiters einer Diakonie- oder Caritas-Einrichtung ab, ob jemand eingestellt oder gekündigt wird, wenn er gegen die kirchlichen Arbeitsrichtlinien verstößt."
Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs setzt der arbeitsrechtlichen Diskriminierung durch kirchliche und kirchennahe Arbeitgeber nun enge Grenzen. Während die Kirchen in Deutschland sich bisher auf ihr gesetzlich verankertes Selbstbestimmungsrecht beriefen und auf dieser Grundlage von allen Mitarbeitern die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft als Anstellungsvoraussetzung forderten, stellte der EuGH heute klar, dass die Rechtmäßigkeit diese Forderung von der Nähe der jeweiligen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag der kirchlichen Organisation abhänge.
Ingrid Matthäus-Maier fordert die Kirchen auf, nun selbst ihre Arbeitsrichtlinien zu ändern. "Es kann doch nicht sein, dass Betroffene durch alle Instanzen gehen müssen, um dann erst beim EuGH Recht zu bekommen", sagt sie. Matthäus-Maier ist jedoch zuversichtlich, dass sich spätestens durch die massive Abnahme der Kirchenmitgliedszahlen in naher Zukunft etwas ändern wird. "Wir haben derzeit bereits mehr als 35% Konfessionsfreie in der Bevölkerung – Tendenz steigend. Spätestens wenn die kirchlichen Arbeitgeber sehen, dass sie ihre Arbeitsplätze nicht besetzen können, wird bei ihnen wohl Vernunft einkehren."
13 Kommentare
Kommentare
CnndrBrbr am Permanenter Link
Warum über die Diskriminierungspraxis der Kirchen jammern, und trotzdem noch ihre Dienste in Anspruch nehmen?
Werner Haas am Permanenter Link
Ihr Plädoyer ist mir sehr sympathisch. Allerdings verkennen Sie die bundesrepublikanische Realität.
Das Urteil ist deshalb aufgrund der leider bestehenden Machtverhältnisse tatsächlich ein wichtiger Schritt.
Noch ein größerer Schritt freilich wäre es, das Subsidiaritätsprinzip selbst vom europäischen Gerichtshof kippen zu lassen.
Stamm-Kuhlmann am Permanenter Link
Wenn in manchen Regionen Kirchen in sozialen Dienstleistungen das Monopol haben, hat man als Kunde wie als Mitarbeiter keine Wahl.
Nick Rudnick am Permanenter Link
"und boykottiere die Kirchen komplett" Diese Aussage erscheint mir reichlich unrealistisch.
Melanie Klinger am Permanenter Link
Ja, ganz einfach! Als wäre die Arbeitsstelle irgendein Hobbyverein, den man sich einfach aussuchen könnte! Im sozialen Bereich hat man aber oft eben nicht die freie Wahl!
Thomas am Permanenter Link
Geht mir genauso. "Uns" kann es nur um die BESEITIGUNG der Religionen, ihrer Trägervereine und deren Krebswucherungen im Sozialsystem gehen.
Isabella am Permanenter Link
Weil man als Erzieher gerade auf dem Land keine Chancen auf einen Job hat. Die meisten Einrichtungen sind von der Kirche besetzt. Außerdem ist die kirchlichen Einrichtungen nicht das einzige Problem.
Hermann am Permanenter Link
Da haben sie recht.
Mann sollte den Kirchen sämtliche staatlichen Vergünstigungen , finanzielle Zuwendungen komplett streichen.
Was die Gewerbebetriebe angeht, die in sozialen Bereichen aktiv sind, Betriebe, die sich aus den Nurzern finanzieren, da sollte man ihnen eine Betätigung untersagen.
Dann kann man sagen, die Kirchen stehen auf eigenen Beinen. Sie finanzieren sich und ihre 'guten' Werke aus ihren eigenen Reihen.
Helene am Permanenter Link
Sie hätten ja völlig recht, wenn es nicht so wäre, dass die Kirchen in gewissen Gegenden praktisch Monopolanbieter sind.
Rudi Krebsbach am Permanenter Link
Wie gewohnt von dir liebe Ingrid: verständlich und sauber formuliert. Gut gemacht!
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Das Bundessozialgericht hat bekanntlich schon mehr als einmal durchaus entsprechend dem aktuellen Urteil des EuGH geurteilt. Was vom Bundesverfassungsgericht umgehend wieder blockiert wurde.
Kleiner Hinweis am Rande: Bitte nicht den Kirchens auf den Leim gehen, indem sogar hier vom "gesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen" gesprochen wird. Ja, das ist deren Lesart, die durch die faktischen Entscheidungen insbesondere des BVerfG bestärkt wird - aber nichtsdestoweniger falsch. Das "Recht, die eigenen Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig zu ordnen und zu verwalten" (Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV) ist ein Selbstverwaltungsrecht, das sich nur wenig von dem unterscheidet, das die ersten Paragrafen des BGB jedem Kaninchenzüchter- und Modellflugverein zugestehen. Es ist kein Selbstbestimmungsrecht - das würde die Kirchen ja geradezu über den Staat hinausheben bzw. sie zum "Staat im Staate" machen. Das Gegenteil dessen, was die Weimarer Reichsverfassung regeln wollte. Klar, die Kirchen kommen sich so vor. Es ist aber nicht so. Und genau da liegt ja auch die Krux. die ein "innerkirchliches Arbeitsrecht" unzulässig macht - als "außerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes".
Klaus Bernd am Permanenter Link
Leider ist das wohl ein Siberstreif, der weit unter dem Horizont der Mehrzahl der Betroffenen bleiben wird, die sich weder von den intellektuellen noch den finanziellen Möglichkeiten ein Gerichtsverfahren leisten könn
https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2018-04-17/reaktionen-auf-urteil-zu-kirchlichem-arbeitsrecht
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Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum kirchlichen Arbeitsrecht generell begrüßt. "Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Kirchen grundsätzlich weiterhin berechtigt sind, im Rahmen des Bewerbungsverfahrens und der Einstellung nach der Religionszugehörigkeit des Stellenbewerbers zu differenzieren" erklärte der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, am Dienstag in Bonn. Allerdings unterlägen die von den Kirchen aufzustellenden Anforderungen künftig einer intensiveren gerichtlichen Überprüfung.
"Die Kirche legt ihr Selbstverständnis fest"
Langendörfer betonte, die katholische Kirche habe in der Vergangenheit in ihren eigenen Regelungen deutlich gemacht, ob und insbesondere für welche Tätigkeiten sie die Religionszugehörigkeit ihrer Angestellten zur Bedingung der Beschäftigung mache. "Damit hat sie auch bislang stets gewährleistet, dass sie insbesondere nicht unverhältnismäßige Anforderungen an die Mitarbeit im kirchlichen Dienst stellt."
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Ibs. der letzte Satz zeigt deutlich, dass da nicht die geringste Bereitschaft besteht, weitere Änderungen vorzunehmen.
Oder:
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Diakonie sieht sich nach EuGH-Urteil bestätigt
Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Ulrich Anke, erklärte, der Gerichtshof habe die Autonomie des kirchlichen Arbeitsrechts grundsätzlich bestätigt. Zugleich bedauerte er, dass das Gericht die Gestaltungsfreiheit der Kirchen bei der Personalauswahl eingeschränkt habe.
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Nun, wegen der gerichtlichen Überprüfung dürften sich die kirchlichen Arbeitgeber schon wegen der überwältigenden finanzielllen Überlegenheit keine großen Sorgen machen, sie sind da offenbar nur ein wenig beleidigt. Und dass erst das EuGH der Klägerin da ein bisschen Recht gegeben hat, zeigt ja, dass bei den deutschen Gerichten keine große Gefahr besteht, dass die kirchlichen Arbeitgeber Prozesse verlieren könnten. Was so ein Prozess bedeutet, zeigt außer dem aktuellen Fall die jetzt über 20-jährige Prozessgeschichte des Organisten Bernhard Schüth. Nachzulesen auf
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/endlos-prozesse-um-entlassenen-kirchenmusiker
Seine jetzige Frau ist übrigens Juristin.
So bleibt es z.B. bei massiven Einschränkungen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung, denn auch nach der neuen Fassung des katholischen Arbeitsrechts von 2015 gilt laut
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/wo-liegen-die-unterschiede
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Fassung 2015
(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr,...
(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten im Sinn des Art. 4 als schwerwiegend an:
1. Bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:
a) das öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass), b) schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, …
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Man beachte die beliebig auszulegenden „tragenden Grundsätze“ und „schwerwiegenden sittlichen Verfehlungen“ sowie die infame aber sicher nicht unbeabsichtigte Aneinanderreihung von Abtreibung und Fremdenhass.
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2. Bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:
a) den Austritt aus der katholischen Kirche, b) Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß c. 1364 …
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Katholische Mitarbeiter haben also kein Recht mehr auf Religionsfreiheit und wie beliebig „Häresie“ ausgelegt werden kann zeigen 2000 Jahre Kirchengeschichte.
Und wie hochnothpeinlich und beliebig die Einzelfallprüfung sein wird, zeigt der folgende Abschnitt:
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(3) Liegt ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nach Absatz 2 vor, so hängt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von der Abwägung der Einzelfallumstände ab….
Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung... Von einer Kündigung kann in diesen Fällen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen.
Gleiches gilt für den Austritt einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus der katholischen Kirche.
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Will heißen, wer sich nicht unterwürfig und reuig zeigt, hat keine Chance, dass „schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese (die Kündigung) als unangemessen erscheinen lassen.“
Einen richtigen Silberstreif könnte ich erst erkennen, wenn die z.T. flächendeckende Monopolstellung der sozialen Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft endlich, endlich Vergangenheit ist. Nur das wird den nötigen Druck aufbauen, um auch innerhalb dieser Einrichtungen das allgemeine mit dem GG vereinbare Arbeitsrecht zu etablieren.
Rolf Heinrich am Permanenter Link
Was ich bei Ingrid Matthäus-Maier vermisse, ist der Hinweis, dass die Kirchen mit "ihren" sozialen Einrichtungen öffentliche Aufgaben wahrnehmen, die sie gar nicht, oder nur zu einem geringen Teil selbst fin